Najeha Abid stellt beim Jugendforum Stadtentwicklung die internationalen Gärten in Göttingen vor, erzählt von ihren eigenen Erfahrungen als Geflüchtete und erklärt politikorange ganz nebenbei noch, was eine gelungene Integration ausmacht.
Vor 25 Jahren ist Najeha Abid nach Deutschland gekommen. Als Geflüchtete aus dem Irak. „Ich bin eine von denen“, sagt sie. „Zu fliehen“, sagt sie, „das ist keine freiwillige Entscheidung. Es ist notwendig, um das eigene Leben zu retten.“ Heute reist sie durch ganz Deutschland und erklärt auf Seminaren das Konzept ihres Vereins „Internationale Gärten Göttingen“. Seit 19 Jahren ernten dort Deutsche, Geflüchtete und andere Migrant*innen zusammen Gemüse und pflanzen Obstbäume. Interkulturelles Urban Gardening sozusagen. Und das ist zu einem wichtigen Teil von Abids persönlicher Lebensgeschichte geworden.
Gefangen in den eigenen vier Wänden
Als die gebürtige Irakerin in Göttingen ankommt, wird sie wie eine Analphabetin behandelt. Arbeiten darf sie zunächst nicht. Ihre Ausbildung wird von den deutschen Behörden nicht anerkannt. Dabei hat sie in Bagdad bereits sechs Jahre lang an einem großen Gymnasium Arabisch und Farsi gelehrt. Außerdem spricht sie Kurdisch und Englisch. Aber noch kein Deutsch.
In der ersten Zeit fühlt sie sich wie gefangen in den eigenen vier Wänden. Ihr Alltag ist geprägt von Einsamkeit und Isolation. Sie fragt sich: „Wo bin ich eigentlich und wie kann ich mich integrieren?“ Integration – das ist ein Wort, das Abid zuvor noch nie gehört hat. Woher auch?
Mit Sprache Grenzen überwinden
Schnell ist klar: Sie muss Deutsch lernen. Sprache ist der Schlüssel – um sich zurecht zu finden, um Kontakte zu knüpfen und vor allem um etwas tun zu können. „Es gibt kein Leben ohne Sprache“, erklärt Abid. In den ersten Monaten in Deutschland besucht sie mehrere Deutschkurse an der Volkshochschule. Ihre Aufenthaltsgenehmigung hat sie durch ihren Mann bekommen, der schon vor ihr nach Deutschland gekommen ist. Deshalb ist ein staatlich finanzierter Sprachkurs nicht möglich und sie muss selbst zahlen. „Man muss mutig sein“, sagt sie.
Wenn sie auf der Straße Passant*innen grüßt, kommt oft keine Antwort. Ihre kleine Tochter fragt: „Warum sagt die Frau denn nicht Hallo?“ Sie erklärt: „Sie hat dich bestimmt nicht gesehen.“ Das sei eine schlimme Zeit gewesen, erzählt Abid.
Dann geht sie das erste Mal zur Teestube. Auf Initiative der evangelischen Kirchengemeinde und der Stadt Göttingen treffen sich hier einmal die Woche Geflüchtete und Deutsche zum gemeinsamen Kaffeetrinken. Die Frauen kommen ins Gespräch, spenden Trost. Sie lachen und weinen zusammen und finden so einen Weg aus Isolation und Tatenlosigkeit.
Urban Gardening zur interkulturellen Annäherung
Auf Initiative einer Mitarbeiterin des Migrationszentrums in Göttingen entstand dann im Jahr 1996 der erste internationale Garten Deutschlands – für die Frauen aus der Teestube. Gerade für die Frauen aus Abids Heimat ist der Garten etwas, das sie an zu Hause erinnert. Wo sie etwas tun, wo sie aktiv werden können.
In einer Baulücke beginnen die geflüchteten Frauen aus dem Iran, aus Irak, Afghanistan und Bosnien zusammen mit Deutschen und anderen Migrant*innen, Bäume zu pflanzen und Gemüse anzubauen. Sie lernen nicht nur, wie man Tomaten zieht, sondern auch wie man Deutsch spricht. „Der Garten wird zum Ort der Begegnung und des Lernens: Jeder profitiert von den Fähigkeiten des anderen“, erklärt Abid.
Internationale Gärten werden zum deutschlandweiten Projekt
Zwei Jahre später gründet sich der Verein „Internationale Gärten Göttingen“. Das Projekt wird ausgebaut. Abid ist dabei, übernimmt die Verantwortung für Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltung. Bald darauf wird der internationale Garten in Göttingen zum Projekt der Stiftungsgemeinschaft „anstiftung & ertomis“, die Do-it-yourself-Projekte in Städten erforscht und sie fördert. Dadurch wird das Konzept in ganz Deutschland verbreitet: Im Jahr 2015 gibt es schon 176 internationale Gärten, Tendenz steigend.
Heute reist Abid für die Stiftungsgemeinschaft durch ganz Deutschland und berichtet über das Projekt. Sie erklärt das Konzept, gibt Workshops und Seminare und erzählt ihre Geschichte. Sie zeigt, was möglich ist und was noch geht. Und engagiert sich nebenbei weiter ehrenamtlich für Geflüchtete. Najeha Abid scheint angekommen zu sein.