Brasilien, Indien oder Papua-Neuguinea – Alltag adé. Über 20 Schüler*innen der Fachoberschule aus Nürnberg erfahren, wie „globales Lernen“ funktionieren kann.
In Schwellen- und Entwicklungsländern „über den eigenen Tellerrand schauen und erleben, wie Menschen leben, die oft nicht die gleichen Chancen haben wie wir“, so erklärt Eva Schuster von der Eine Welt-Station Nürnberg die Idee von weltwärts und dem globalen Lernen. Im Kaminzimmer des Prinz-Carl-Palais, dem Amtssitz des Bayerischen Ministerpräsidenten, begleiten Workshops und Kurzvorträge das Programm der ZukunftsTour. Doch weder ein gemütlicher Kamin, noch Decken und Tee erwarten die Besucher, stattdessen kleine Stuhlkreise und Zeit zum Fragenstellen – der Stundenplan der Zukunftstour ist dicht bepackt. Eva Schuster und „ihre“ vier ehemaligen Freiwilligen haben eine halbe Stunde Zeit, um den 16- und 17-jährigen Jugendlichen neue Impulse zu geben. Amelie, Vera, Anna und Timo sind vor Kurzem aus China, Tansania und Papua-Neuguinea zurückgekommen und berichten von ihren Erfahrungen.
Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst weltwärts wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert. Seit 2007 sind rund 20.000 Freiwillige im Alter von 18 bis 28 Jahren in über 80 Länder ausgereist. Sie engagieren sich in einem Entwicklungsprojekt und nehmen Erfahrungen mit, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten.
„Nur das Nötigste“
Timo war als Musiklehrer für zwölf Monate in Papua-Neuguinea. In einer Evangelistenschule brachte er Lehrern Notenlesen und Gitarrespielen bei. Als „ursprünglich“ und „gelassen“ habe er das Leben dort empfunden und Pünktlichkeit und Perfektionismus an den Nagel gehängt, erzählt er. Seine Mitbürger*innen auf Zeit lebten in selbstgebauten Häusern und arbeiteten „nur das Nötigste“: Eine Gesellschaft, die einfach so glücklich ist. „Wir Deutsche sind mit all der Arbeit glücklich, dafür haben wir aber Burn-Out und Stress“. Ein Schüler hat Bedenken zur Sicherheitslage im Land, doch Timo winkt ab: Generell seien die Leute gesellig und überaus freundlich. Die Sprache habe er schnell gelernt, etwa 800 Wörter und kaum Grammatik. Er begleitete die Missionare in die Schule und bei der Jagd, lebte in einem der luxuriöseren Steinhäuser mit Dusche, fließend warmen Wasser und Strom. Nebenbei blieb Zeit zum Reisen, Berge besteigen und Sich-neu-Erfinden. „Natürlich hatte ich meine Aufgaben, aber da sie mir Spaß gemacht haben, hatte ich ein Jahr Ferien“.
Bezahlter Abenteuerurlaub oder sinnvoller Lerndienst?
Für die anwesenden Schüler*innen hört sich das nicht schlecht an: Übernommen werden Taschengeld, Unterkunft, Flugkosten, Visakosten, Seminarkosten – ein Jahr all inclusiv. 25 Prozent der Kosten, etwa 1500 Euro sollen die Freiwilligen nach Möglichkeit durch einen Unterstützerkreis sammeln.
„Der Aufenthalt ist kein reiner Abenteuerurlaub.“, betont Eva Schuster. Drei Seminare – während, vor und nach dem Jahr – sollen auf den Dienst vorbereiten und die jungen Freiwilligen sensibilisieren. Es geht auch darum, „wie man sich als Deutscher oder Weißer in einem Land des globalen Südens verhält“. In den Seminaren geht es um kritische Auseinandersetzung mit dem Weißsein, globale Strukturen von Benachteiligung und die eigene Verantwortung bei Berichterstattung, aber auch Reflexion über Vorurteile, Sorgen und Erfahrungen der Freiwilligen werden thematisiert. „Das Ziel ist es nicht, die Menschen in den Projekten zu belehren“, betont Eva Schuster, „die Freiwilligen selbst sollen lernen“.
Das BMZ stellt für Rückkehrer*innen und ihre Projekte jährlich über eine Million Euro zur Verfügung. Freiwillige als Multiplikatoren, so schreibt das BMZ, sollen andere an ihrem Lernprozeß teilhaben lassen. Sie sind Menschen, die oft ihr Leben lang eine besonderes Interesse am ehemaligen Gastland haben. Ein besseres Verständnis und Empathie sind für Entscheidungen in einer nachhaltigeren Politik und Wirtschaft von Bedeutung.
„Armut beseitigen? Utopisch!“
Ein Multiplikator soll auch Timo sein. Seine Erfahrung habe ihn verändert. Man merkt, er ist politisch interessiert. Die langen Aussprachen und viele Versprechen für die nächsten Jahre in der Politikarena hält er für „gutgeredet“. Er hätte sich richtige Diskussionen gewünscht: „Es ist utopisch zu glauben, dass in 20 Jahren keiner mehr verhungert“. Timo kritisiert die Asylpolitik und fordert, den zahlreichen gut ausgebildeten Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, damit sie hier leben und Steuern zahlen.
Was er selber für die Zukunft machen kann? „Vielleicht ein Flüchtlingsheim bauen“.
Die Schüler*innen scheinen sichtlich angetan von Timos Erzählung: „Wenn man nicht weiß, was man nach der Schule machen soll, ist so ein Dienst doch ganz sinnvoll, um die Zeit zu überbrücken“. Die Zukunft, die hier so breit beredet wird, ist zum größten Teil ihre.
Du arm, ich reich: Von Bildern im Kopf
Das bemängeln Kritiker von weltwärts. Denn vom sogenannten globalen Lernen profitiert größtenteils die Bildungselite – 97 Prozent der Freiwilligen sind Abiturient*innen. Um gesellschaftlich breitere Impulse zu geben, müssten verstärkt Menschen mit Behinderung, Migrationshintergrund oder Hauptschulabgänger angeworben werden.
Es ist die Reise eines Privilegierten, das Gegenüberstellen von „Wir“ und den „Anderen“. Der Weiße, der sein Ansprüche für kurze Zeit herabschraubt. Die anderen sind arm, wir sind reich – die einen sind Geber, die anderen Nehmer. „Wir“ glauben zu wissen, was anderen zum Glück verhilft.
Doch wenn eine Begegnung mit Respekt und Demut, Geduld und Zurückhaltung beginnt, kann es für beide Seiten eine große Bereicherung sein. Viele ehemalige Freiwillige halten noch lange Zeit danach Kontakt mit Gastfamilie, Freunden und Bekannten. Sie bringen Musik, Gewohnheiten und Ideen mit nach Deutschland und erzählen von einem Land, wie es Touristen oft nicht erleben können. Sie beginnen, Konzepte vom Wir und den Anderen aufzubrechen. Unbekanntes nicht zu vergleichen, sondern als Neues anzunehmen.
Ein Austausch über kontinentale Grenzen hinweg kann für junge Menschen in einer globalisierten Welt eine wertvolle und nachhaltige Erfahrung sein und im besten Fall Verständnis für andere Menschen, andere Gedanken und Angewohnheiten fördern. Ein Bewusstsein für globale Zusammenhänge kann ein Umdenken im eigenen Handeln bewirken. Und das ist vielleicht weitaus förderlicher für unsere Zukunft als jeder Brunnen, jede Spende, jeder Euro.