Die ZukunftsTour in Potsdam findet ihren Ausklang mit dem „Havel Slam“, einem Poetry Slam zu globalen Themen. Dennis Beltchikov schaute zu und schildert seine Eindrücke.
Mittwoch Abend, der Ende eines ereignisreichen Tages. Voller Eindrücke über Nachhaltigkeit, globale Entwicklungspolitik und nach zahlreichen Inputs bietet die ZukunftsTour in Potsdam ihren Besuchern mit dem „Havel Slam“ einen etwas entspannteren letzten Programmpunkt – vor allem aber eine neue Vermittlungsebene der Thematik: Lyrik. In ruhiger Abendstimmung, fernab der tags die Lautstärke dominierenden Schulklassen, empfängt die Potsdamer Schinkelhalle zum Slam.
Fünf Poeten aus den unterschiedlichsten Ortschaften Deutschlands stellen sich dem interessierten Publikum, um zu slammen. Stets unter dem Grundsatz „respect the poems“ bewerten fünf Freiwillige aus dem Publikum – von den Moderatoren auch „Volksvertreter“ genannt – die inhaltliche Leistung, aber auch die szenische Darbietung des lyrischen Spektakels auf einer Skala von eins bis zehn. Von den fünf Wertungen werden jeweils die höchste und die niedrigste gestrichen, um Ausreißer zu vermeiden. Die Platzierungen ergeben sich also aus der Summe der drei mittleren Wertungen. Durch den Abend führen die unterhaltsamen Moderatoren Temye Tesfu und Robin Isenberg.
„Ich sehe euch zwar nicht, aber ihr seid sympathisch.“
Noch vor Beginn des eigentlichen Slams darf man sich auf den „special act“ BAASZTIAN, selbstbezeichnender „Comedy-Singer-Songwriter, über den Blickwinkel eines Migrantenkindes auf entwicklungspolitische Themen wie Klimaschutz oder Globalisierung freuen. Ruckzuck geht es aber weiter und schon steht der erste Slammer auf der Bühne. Ganz selbstverständlich begrüßt Stefan Dörsing aus Wetzlar uns erst einmal herzlich: „Ihr seid mir alle sympathisch. Auch ihr da hinten. Ich sehe euch zwar nicht, aber ihr seid sympathisch.“ Danke.
Dörsing erzählt von „bescheuerten Dingen“, kommt auf Pseudoindividualismus zu sprechen und bereichert seinen Slam durch lustige szenische, aber auch musikalische (Rap)Einlagen. Sein Text handelt vom „Wohlstandsopfer“ und ist eine humorvoll umgesetzte Gesellschaftskritik. Er kassiert 25 von 30 Punkten.
Absurdität führt zum Nachdenken
Auf Dörsing folgt Herold: Phillip Herold aus Heidelberg möchte uns erst einmal sein Lebensmotto nahe bringen: „Ficke nicht dein Leben, sondern lebe deinen Fick“, okay, wieso eigentlich nicht? Er schließt an mit einer Anekdote über den Ort, an dem der Pfeffer wächst. Herolds Text ist ein wenig märchenlastiger und damit anders als man es von klassischen Slams gewohnt ist. Aber es hat etwas Besonderes. Überzeugend legt Herold diese kleine philosophische Geschichte dar und verdient sich dadurch 26 Punkte. „Und nun folgt jemand, der wahrscheinlich noch weniger Bartwuchs hat als ich“, stellt der 19-jährige Moderator Robin Isenberg den amtierenden Slammeister Berlin-Brandenburgs, Noah Klaus, vor. Mal arm, mal reich gewesen, wolle Klaus mit uns einige Weisheiten teilen: „Lebensansichten eines verzogenen Bonzen“ ist hochkomödiantisch und lässt einen gerade deshalb im Nachhinein sein eigenes Konsumverhalten kritisch reflektieren. Es sind diese Überspitzungen, die die Absurdität unseres Verhaltens deutlich machen und zum Hinterfragen anregen. Noah Klaus erhält 21 Punkte.
Aufklebebärte und ein Tampon für den Sieger
Zwischendurch werden auch Geschenke eingesammelt – für den Gewinner. Die Moderatoren reichen eine Tüte durch das Publikum, in die jeder, der möchte, einen möglichst ungewöhnlichen Gegenstand zulegen soll. Am Ende füllen die interessantesten Dinge die Tüte: Der Gewinner darf sich über Aufklebebärte, Sanifair-Bons, eine mathematische Formelsammlung, über einen Tampon und vieles mehr freuen. Noch einfacher hätte man sich wohl kaum ein Bild über die Menschen im Publikum machen können.
Und zu guter Letzt die einzige Dame des Abends: Die Hamburgerin Franziska Holzheimer hat mit „Mehrwert“ eine Kapitalismuskritik über die „Attitüde einer globalen Finanzwelt“ geschrieben und legt uns diesen Beitrag sehr bildhaft dar. Durch Provokationen wie „Dein Selbstwert ist dein Gehalt“, „Sieh das Leben als ein Ticket zum Entwerten“ oder „Menschlichkeit? Ach, du meinst Humankapital!“ kritisiert sie gekonnt die Profitgier unserer Zeit und legt einen spannenden Slam hin. Es werden 21 Punkte.
Ein Gewinner, aber keine Verlierer
Nach einer Pause werden Stefan Dörsing, Phillip Herold und Noah Klaus aufgrund ihrer hohen Punktzahlen zum Finale geladen und sind in dieser letzten, entscheidenden Runde nicht mehr an thematische Einschränkungen gebunden. Es folgen mythologische Annäherungen an das Element „Feuer“ von Phillip Herold, ein offener Brief an die NSA von Noah Klaus („Ihr habt also Metadaten gesammelt? Ja klar, ich hab‘ auf Youporn letztens auch nur Metadaten gesammelt!“) und einige Lebensweisheiten á la „Eins plus eins ist eins oder eben elf“ von Stefan Dörsing.
Nach drei weiteren, qualitativ sehr hochwertigen Beiträgen, wird nun, wie sonst auch beim Poetry Slam üblich, nach Publikumsapplaus entschieden, wer gewonnen hat. Doch die Moderatoren können sich nicht einigen und so muss, anlässlich der Räumlichkeit der Schinkelhalle Potsdam, auf die „Schinkel-Abstimmung“ zurückgegriffen werden: Das Publikum soll jeweils für jeden der drei Finalisten „Schinkel“ rufen. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht: Der Slammer, bei dem am lautesten „Schinkel“ gerufen wird, hat gewonnen.
Nach einigen „Schinkels“ und einer kurzweiligen Absprache der Moderatoren können die beiden verkünden: Stefan Dörsing ist Erstplatzierter! Philip Herold und Noah Klaus teilen sich den zweiten Platz. Beim Slam gibt zwar nur einen Sieger, aber keine Verlierer. Denn jeder Slam ist ein Gewinn.