Das MISSY MAGAZINE wurde in einer Zeit gegründet, als es neben der EMMA keine einzige feministische Zeitschrift gab. In gemütlicher Wohnzimmer-Atmosphäre spricht Chefredakteurin Katrin Gottschalk über Frauenmagazine, unangenehme Chefs und darüber, was Vielfalt für sie bedeutet.
Wer beim Besuch des MISSY MAGAZINEs eine große, schicke Redaktion erwartet, vielleicht ein bisschen wie in dem Film „Der Teufel trägt Prada“, der wird in jedem Fall enttäuscht werden. Unscheinbar verbirgt sich der Sitz der Zeitschrift in einer Seitenstraße nahe des Hackeschen Marktes. Der Schriftzug „Missy Magazine“ ist nur auf dem Klingelschild links neben der schwarzen Eingangstür zu lesen. Erst wer die knarrenden Stufen des schmalen Treppenhauses erklimmt, gelangt zum Büro des Magazins.
Gegründet wurde das MISSY MAGAZINE von Stefanie Lohaus, Chris Köver, Margarita Tsomou und Sonja Eismann. Vorbild war das amerikanische Magazin BUST, welches Chris ihrer Studienfreundin Stefanie eines Tages mitbrachte, wie Chefredakteurin Katrin Gottschalk erzählt. Weil sie der Meinung waren, dass ein ähnliches Magazin in Deutschland noch fehle, reichten sie beim Hobnox Evolution Contest die Idee für das MISSY MAGAZINE ein. Der Wettbewerb lobte 25.000 € Preisgeld für den besten Heftvorschlag aus. Per Online-Abstimmung wurde MISSY zum Sieger gewählt, das Preisgeld diente als Startkapital. Im Herbst 2008 erschien die erste Ausgabe.
Redaktion mit Wohnzimmer-Atmosphäre
In den Räumen der Redaktion, die aus zwei Büros und einem unwesentlich größerem Konferenzraum besteht, hätte man auch eine 2er-WG einrichten können. Und wenn Chefredakteurin Katrin Gottschalk eine*n durch die Räumlichkeiten führt, fühlt man sich – wie sie selbst auch sagt – tatsächlich eher wie beim Besuch bei einer Freundin, die einem ihre Wohnung zeigt.
Wahrscheinlich würde eine große, schicke Redaktion aber auch gar nicht zum MISSY MAGAZINE passen.
Das MISSY MAGAZINE ist eine Frauenzeitschrift. Und irgendwie auch nicht. „Musik, Film, Kunst, Politik, Sex, DIY [Do it yourself, Anm. d. Red.] und mehr“ steht bei der Print-Ausgabe kleingedruckt unter dem Titel. Darüber mit feministischer Haltung zu berichten, ist Idee und Ziel des MISSY MAGAZINEs. „Im Gegensatz zu anderen Frauenzeitschriften wollen wir unseren Leser*innen nicht erklären, wie sie besser werden und leben können“, fasst Katrin Gottschalk zusammen. „Es soll nicht um Äußerlichkeiten gehen, sondern um Inhalte.“
„Mit zehn habe ich mich zu Fasching als Journalistin verkleidet“
Katrin Gottschalk arbeitet seit 2011 beim Missy Magazin. Journalistin habe sie schon immer werden wollen: „Als ich zehn Jahre alt war, habe ich mich tatsächlich zu Fasching als Journalistin verkleidet. Ich habe ’ne Basecap verkehrt herum getragen und mir aus einer Klopapierrolle und einer Styroporkugel ein Mikrofon gebastelt.” Schon während der Schulzeit schrieb sie neben der Schülerzeitung auch für die Jugendzeitschrift SPIESSER, nach dem Abitur arbeitete sie dort weiter, war bald mit zuständig für das Zusammenstellen des Heftes und übernahm die Redaktionsleitung für Sachsen. Trotz Spaß an der Arbeit haben sie gewissen Strukturen abgestoßen: „Da gab es ganz klassisch einen Verlagschef und einen Chefredakteur, so Typen, die eigentlich ein bisschen unausstehlich sind. Dann bin ich da auch weg und war ein Jahr im Ausland, hatte angefangen zu studieren. Und ich wusste, dass ich das immer noch gerne machen würde, aber ich war auch ein bisschen abgeschreckt von den Kollegen und diesen Männerstrukturen, in denen Frauenmeinungen einfach weniger ernst genommen werden. Da wusste ich nicht, ob ich da noch Lust drauf habe.“
Zwischen Bachelor- und Masterstudium machte sie ein Praktikum beim MISSY MAGAZINE und fing anschließend parallel zum Studium an, dort zu arbeiten. „Das war dann sehr schön zu merken, dass das auch anders funktionieren kann, dass man einen unangenehmen Chef auch vermeiden kann, indem man eigene Strukturen schafft.“
Dass gewisse Ungezwungenheiten sicherlich Bestandteil dieser eigenen Strukturen sind, wird im Gespräch mit Gottschalk deutlich: Sie lacht viel, streichelt ab und zu den Hund einer Freundin, den sie gerade betreut und mit in die Redaktion gebracht hat, oder baut sich beim Reden Frisuren in die Haare und lässt sie dann dann wieder zusammenfallen.
„Ja, wir haben einen Häkelpenis im Regal stehen“, sagt sie auch einmal.
Menschen, die sonst nicht gehört werden, zu Wort kommen lassen
Auf die Frage, was Vielfalt für sie bedeutet, betont sie, dass es wichtig sei, Meinungen darzustellen, die sonst nicht gehört werden. Dabei geht es für sie vor allem darum, Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensumständen, beispielsweise aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihrer Hautfarbe oder auch ihrer Körperform, zu Wort kommen zu lassen.
Dieser Aspekt wird beim Magazin vor allem dann berücksichtigt, wenn Aufträge für Text und Bild vergeben werden. Neben Frauen sollen nach Möglichkeit auch Menschen repräsentiert werden, die sich nicht in männlich oder weiblich kategorisieren lassen wollen, die Trans* sind oder sich keinem der beiden Geschlechter zugeordnet fühlen.
„Hier in der Redaktion sind wir relativ homogen, was den sozialen Hintergrund angeht, insofern, dass alle studiert haben. Aber es sind nicht alle heterosexuell, nicht alle aus Westdeutschland, es haben nicht alle deutsche Wurzeln oder die gleiche Körperform. Und es definieren sich gar nicht alle als Frauen“, erzählt Gottschalk. „Also im Verhältnis zu anderen Redaktionen eine ganz gute Mischung, aber es kann auf jeden Fall noch besser werden“, fügt sie selbstkritisch hinzu.
Meinungsverschiedenheiten auch innerhalb der Redaktion
Das 14-seitige Dossier der jüngsten Ausgabe thematisiert die Situation von Frauen in Griechenland und was die Krise mit den Geschlechterverhältnissen macht. Da erzählen Griech*innen, wie die Anzahl sexueller Belästigungen gegen Frauen am Arbeitsplatz gestiegen ist und diese dadurch zurück an den Herd gedrängt werden. Andere Frauen, deren Männer arbeitslos geworden sind, werden mit ihren schlecht bezahlten Jobs plötzlich zu Familienernährerinnen. „Das ist unser feministischer Ansatz: zu gucken, wie sich diese Krise bis auf die kleinsten Ebenen auswirkt, was es für Diskriminierungsformen gibt, was passiert, und wie man das ändern kann.“
Was ins Heft kommt, ist immer das, worauf sich die Redaktion einigen kann. Gottschalk betont aber, dass es Meinungsverschiedenheiten zu gewissen Themen natürlich trotzdem gebe: „Ein schwieriges Thema sind immer Musiker*innen, Nicki Minaj zum Beispiel, die sich bewusst in sexualisierte Posen begeben, was einerseits etwas Selbstermächtigendes haben kann, andererseits aber auch eine Reproduktion von bestimmten Bildern ist.“
Einmal, als es gerade um den Austausch mit ihren Leser*innen geht, bemerkt Katrin Gottschalk schelmisch lächelnd: „Die Zeitschrift Freundin gibt es zwar schon, aber Missy ist eigentlich auch sowas wie eine Freundin“. Eine Freundin besucht zu haben – dieses Gefühl bleibt auch nachdem man das Redaktionsgebäude wieder verlassen hat.