Zwanzig Likes – gute Laune. Fünf Likes – tiefste Depression. Warum werde ich bei Instagram zur Selfiequeen? Ein Seelenstriptease.
Mayfair ist gut. Als würde mein Gesicht mit warmen Honig übergossen. Ich sehe süß aus. Die Schatten betonen meine Wangenknochen. Und verstecken diesen kleinen roten Fleck an meinem Kinn. Ich wähle den Filter aus. Hashtags #guteZeit und #loveofmylife. Standort? Auf der Sonnenseite des Lebens. Ich werde unruhig, als das Hochladen länger dauert als sonst. Jetzt nur noch auf Likes warten. Das erste kommt nach 30 Sekunden. Rekord. Ich freue mich, aber ich will mehr.
Marmeladenglasmomente
Mein Leben auf Instagram ist filmreif. Eine Aneinanderreihung von Marmeladenglasmomenten – nur konserviert im Netz. Ich grinse glückselig in die Kamera, schlürfe Brokkoli-Smoothies und laufe Marathon. In Wahrheit fläze ich in Jogginghose auf der Couch, esse Chips und suche nach dem besten Filter für mein Foto. Aber das sieht ja niemand.
Fünfzehn Minuten später checke ich die Likes wieder. Fünfzehn Herzchen ploppen in einem kleinen orangefarbenen Viereck auf. Und in mir ein Glücksgefühl. Yes. Ich fühle mich gut. Die Bestätigung macht mich high. Instagram ist der Joint für mein Ego. Kommentare sind fast noch besser als Herzchen. Das Ecstasy für den Ego-Trip. „Nice!“ – Musik in meinen Ohren. Dabei bin ich noch lange kein Profi. Es gibt User, die viel mehr Likes und viel mehr Follower haben. Für meine Selbstoptimierung ist also noch Luft nach oben.
Es stört mich, dass mein Selfie nach zwanzig Minuten nur zwanzig Herzchen wert ist. Kein guter Schnitt. Genervt touche und tippe ich auf dem Bildschirm herum. Als würde das etwas an meiner verzweifelten Lage ändern. Aber stopp mal. Was mache ich da eigentlich?
Inhaltslosigkeit
Eigentlich wollte ich das alles gar nicht. Eigentlich ist das gar nicht meine Art, so oberflächlich. Eigentlich habe ich mich nur auf Instagram angemeldet, „um mal zu gucken“. Eigentlich. Uneigentlich bin ich schon längst ein Like-Junkie. Aber wieso?
Vielleicht, weil ich im Offline-Leben gar nicht so selbstsicher bin wie online. Vielleicht, weil ich mir selbst nicht genüge. Insgeheim lechze ich nach Anerkennung. Ständig und überall werde ich bewertet, es geht darum, wer zu sein. Schule, Studium, Beruf. Eine Ziffer für meinen Gesellschaftswert. Daumen hoch fürs Selbstbewusstsein.
Vielleicht mache ich mir es aber auch zu einfach. Vielleicht bin ich schlichtweg egoistisch. Das Sammeln von Likes als konsequente Evolution des Homo oeconomicus. Die Währung des digitalen Zeitalters sind kleine blaue Däumchen. Und wer hat, der hat – mehr Aufmerksamkeit und mehr Möglichkeiten. Sich das einzugestehen tut irgendwie weh. Ein kleiner Piks, kurz oberhalb der Magengegend.
Übrigens geht uns das alle an. Lob hört jeder gern. Egal wie unabhängig, egal wie alternativ. Aber ein Logout ist auch keine Lösung. Soziale Netzwerke und unser soziales Leben sind untrennbar verbunden. Gut, auch ohne Instagram ist zivilisiertes Leben möglich. Aber wir müssen uns doch für digitale Liebesbekundungen nicht schämen. Wir alle haben einen Daumen nach oben verdient. Nur dafür, dass wir echt sind. Ohne klebrigen Honig über dem Gesicht. Ich poste jetzt ein Selfie. Ohne Filter. Und dann warte ich auf Likes.