Beim „Kongress junger Demokrat_Innen“ haben Christopher Folz und Henri Maiworm den Autor und „interkulturellen Friedensstifter“ Ali Can interviewt.
Was machst du hier?
Ich bin hier beim Kongress junger Demokrat_Innen, weil ich mit anderen jungen Menschen zusammen ein Zeichen setzen möchte für die Demokratie und für die Jugend, die sich mehr engagieren und wählen gehen sollte.
Wie ist der Kongress entstanden?
Ich hatte irgendwann mal die Idee, dass ich auch einen Kongress starten möchte, nachdem Rechtspopulisten wie Frauke Petry, Geert Wilders und Marine LePen einen Kongress in Koblenz abgehalten haben. Da habe ich mich gefragt, wieso nicht andere Parteien auch auf die Idee kommen, sich überregional zu organisieren. Ich habe dann gesagt, ich mach so ’nen Kongress!
Ich habe einen Facebookpost gemacht und den „Kongress Junger Demokrat_Innen“ genannt. Tatsächlich wollte ich aber keinen Konter-Kongress gegen die AfD haben – theoretisch hätte auch jemand aus dieser Partei hier dabei sein können. Es sollte einfach nur ein großer Kongress sein, der gewisse Werte wie die Demokratie und Europa befürwortet, bei dem man aber auch ins Gespräch miteinander kommt.
Was bedeutet Demokratie für dich?
Partizipation. Demokratie heißt für mich, dass wir uns alle für unsere Interessen einsetzen. Es bedeutet aber auch Argumente – und die, die die besten haben, werden letzten Endes entscheiden.
Du wählst dieses Jahr zum ersten Mal. Warum das?
Ich hatte bis vor zwei Jahren die türkische Staatsangehörigkeit. Deswegen konnte ich lange Zeit nicht wählen, obwohl ich jetzt 23 bin und vor vier Jahren theoretisch meine Stimme hätte abgeben können.
Gestern ist dein erstes Buch herausgekommen: „Hotline für besorgte Bürger“. Worum geht’s?
Das Buch handelt von meinem Projekt: einem Bürgertelefon für „besorgte“ Bürgerinnen und Bürger, die aufgrund der Einwanderung von Flüchtlingen Sorgen, Bedenken, Zweifel entwickeln oder schlechte Erfahrungen gemacht haben und sich deshalb auflehnen.
Ich möchte ein Brückenbauer für diese Menschen sein: Ich möchte Verständnis schaffen. So habe ich gemerkt, dass man sich auch mit nach rechts tendierenden Menschen zusammensetzen, durch wertschätzende Kommunikation ins Gespräch kommen und einen Dialog haben kann.
Der Sinn ist, mit dem Buch zu veranschaulichen, wie man solche Gespräche führen kann. Es soll aber auch informieren, worüber die besorgten Bürgerinnen und Bürger sprechen und wie ihre Ansichten zustande kommen. Im Epilog geht es darum, was heute die Anforderungen an die Politik und Gesellschaft sind. Zudem gibt es eine Check-Liste, wie man Gespräche mit „besorgten“ Bürgern auf Augenhöhe führen kann.
Gibt es ein Gespräch, das du als das Interessanteste betiteln kannst?
Das Gespräch mit einem AfD-Wähler war das interessanteste Gespräch, weil dabei auch ich etwas gelernt habe. Der Gesprächspartner hat mich dafür sensibilisiert, dass wir alle hier mit unserem Lifestyle und unserem Konsumverhalten ein Stück weit dazu beitragen, dass Fluchtursachen überhaupt existieren.
Kinderarbeit, Hunger, unfaire Arbeitsbedingungen, Chancenlosigkeit….Der Teufelskreis der Armut besteht ja auch unter anderem dadurch, dass wir eben günstige Kleidung kaufen, dass wir Technik haben, die aus bestimmten Rohstoffen oder von Kinderhänden hergestellt ist.
In deinem Buch erzählst du, dass du einen Schoko-Osterhasen auf der Pegida-Demo dabei hattest. Wie kam es denn dazu?
Als ich bei Pegida war, habe ich gemerkt, dass ich Schwierigkeiten habe, Gespräche zu beginnen, weil die Menschen dort oft in ein Schubladendenken verfallen. Ist ja klar: Ich als jemand, der migrantisch aussieht, fällt eben auf. Da denken die Leute nicht unbedingt: „Mit dem rede ich jetzt!“ Stattdessen sind sie erst einmal verwundert und irritiert.
Irgendwann kurz vor Ostern hatte ich dann einen Schoko-Osterhasen in meiner Tasche. Den wollte ich essen. Aber als ich den Hasen herausgeholt habe, habe ich gemerkt, wie das Paar neben mir geschmunzelt hat. Da habe ich mich an einen Artikel aus einer Zeitschrift erinnert, den mir ein Freund geschickt hat. Da stand drin, dass man zum Beispiel bei Frauen besser ankommt, wenn man Neugier schafft und Fragezeichen hinterlässt.
Mit dem Osterhasen in der Hand habe ich Fragezeichen hinterlassen. Die Leute waren positiv überrascht, weil ein Osterhase ja eigentlich auch ein schönes Symbol ist, das irgendwo mit dem Christentum in Verbindung steht. Der Hase zeigte also gewissermaßen meine positive Absicht gegenüber der christlichen Kultur, was es leichter machte, Gespräche anzufangen.
Was planst du für die Zukunft?
Die Welt zu retten. Ich glaube, dafür werde ich erstmal mich selbst retten. Indem ich mich selbst ändere, werde ich versuchen, die Menschen zu ändern. Das heißt: Ich werde versuchen mich weiterzubilden, reflektierter zu sein, friedliche Kommunikation besser zu lernen, mich besser zu organisieren, um dann hin und wieder Projekte wie diesen Kongress hier zu machen.
Gibt es eine Frage, die du schon immer mal gefragt werden wolltest?
Ja. Eine Frage, die ich mir selbst gestellt habe, ist: „Was lerne ich aus alledem? So dem ganzen Projekt; was ist mein Ausblick?“
Ich glaube, dass wir viel mehr Brückenbauer brauchen – und Menschen, die Kulturen wertschätzend zusammenbringen: Menschen des Vertrauens. Ob das ein Syrer des Vertrauens, Migrant des Vertrauens, Muslim des Vertrauens, Jude des Vertrauens, Deutscher des Vertrauens ist, ist egal. Oft braucht man erst einmal Menschen, die einem das Gefühl geben, dass man den Kontakt haben, dass man nett sein kann.
Das habe ich gelernt. Ich hoffe, dass ich damit irgendwann auch mein Geld verdiene und mich über die Runden halten kann – mit so einem Job als sinnbildlicher Brückenbauer, das wäre doch schön.