„Begegnungen sind komplex“

Sich auf Widersprüche einzulassen, ist wichtig, findet Regisseur Christian Weinert (Foto: Tim Lüddemann)
Deutsche Freiwillige und ihre Arbeit sind nicht immer gut bei lokalen Partner*innen angesehen, wie der Film „Blickwechsel – Sichtweisen auf deutsche Freiwillige“ zeigt. Regisseur Christian Weinert erklärt, warum er es wichtig findet, beide Seiten der Medaille zu betrachten.

Christian, der Film „Blickwechsel“ ist auf vielerlei Weise anders als bisherige Filme über Freiwillige. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Ich war selbst Freiwilliger in Schottland und Gambia und begleite derzeit junge Freiwillige bei ihren Diensten pädagogisch. Daher hat es mich zunächst persönlich interessiert: Was denken eigentlich die Menschen vor Ort über Reisende? Wie wirkt sich das ständige Kommen und Gehen deutscher Freiwilliger vor Ort aus?
Hinzu kommt ein filmischer Aspekt: Ich bin Filmjunkie, sammle seit vielen Jahren afrikanische Filmproduktionen und arbeite seit vier Jahren in kleineren Filmprojekten zusammen mit gambischen Filmemachern. Mein Filmpartner Ferdinand Carrière und ich wollten eine Dokumentation drehen, die ausschließlich Stimmen von vor Ort zu Wort kommen lässt. Diese Perspektiven und Meinungsbilder werden in Freiwilligendiskursen und medialer Berichterstattung über Freiwillige viel zu selten gezeigt.

Was willst du mit dem Film erreichen?

Ich will vor allem Anstoß geben, neue Perspektiven eröffnen und der Komplexität der Begegnung zwischen Norden und Süden ein Forum geben. Wenn das zu einer Wertschätzung eines solchen Aufenthalts beiträgt, nach dem Motto „Was ist das für ein gewaltiges Privileg, das tun zu können?“ und für diesen Kontinent wie auch immer sensibilisiert, dann bin ich zufrieden. Ich starte allerdings selten ein Projekt mit einem Ziel, sondern lasse mich überraschen und bleibe offen für das, was mir begegnet.

… wo wir schon bei der nächsten Frage wären: Wie liefen die Dreharbeiten vor Ort? War es einfach, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen?

Verschlossen war jedenfalls keiner. Es unterscheidet sich ein wenig von Region zu Region, wie kameraaffin die Leute sind. In Südafrika war es einfacher, Leute vor der Kamera zum Reden zu bringen, die ließen sich lieber filmen. In Ghana und Gambia war das oft schwieriger und verkrampfter, aber keiner hat sich prinzipiell zum Gespräch verweigert.

Hat sich deine weiße Hautfarbe bei den Dreharbeiten bemerkbar gemacht?

In diesem Kontext wird meine Herkunft immer eine Wirkung haben. Über diese Frage haben wir uns vorab und während der Dreharbeiten viele Gedanken gemacht. Wir haben beispielsweise einige Interviews auf lokale Partner übertragen. In der Praxis hat sich dann herausgestellt, dass in diesen Fällen keine tiefgründigeren oder kritischeren Anmerkungen kamen, sondern eher das Gegenteil. Das hat vor allem wohl damit zu tun, dass dieses Thema bei unseren Filmpartnern weitaus weniger leidenschaftlich interessant war als für uns Projektinitiatoren. Nichtsdestotrotz sind im Film auch Gespräche zu sehen, wo überhaupt kein Europäer am Set und in der Nähe war. Um die Menschen zum Reden zu bringen, waren es auch nicht immer Interviews, sondern teilweise lockere Gruppengespräche und Unterhaltungen, die dann aufgezeichnet wurden.

Der Freiwilligendienst kommt in dem Film nicht immer gut weg. In einem Interview hast du mal gesagt, der Film solle keine Richtung vorgeben und Interpretationsspielraum lassen. Wie reagierst du, wenn Freiwillige durch den Film von einem Freiwilligendienst abgeschreckt sind und Projekte dadurch brachliegen?

Der Film soll nicht unbedingt diese Wirkung entfalten, aber wenn es so rüberkommt, ist das auch okay. Es ist keine Schande, keinen Freiwilligendienst im Ausland zu machen. Ich möchte aber vermitteln, dass, wenn man schon einen Freiwilligendienst absolviert, diesen mit einer großen Wertschätzung, Dankbarkeit und Neugierde annimmt und sich auf Widersprüche einlässt.

Was meinst du damit?

Begegnungen sind komplex, gerade wenn sich Leute mit ganz unterschiedlichen Möglichkeiten begegnen. Als Freiwilliger kannst du dir nicht nur ganz andere Dinge leisten als viele Menschen vor Ort. Die Erwartungen an den Freiwilligendienst sind in der Regel auch vollkommen andere. Freiwillige wünschen sich, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern, neue Kulturen kennenzulernen und an Lebenserfahrung zu gewinnen. Einige der Projektpartner hingegen haben Freiwillige, weil sie den Status der Organisation erhöhen wollen oder weil sie sich Spendenbereitschaft über den Freiwilligendienst hinaus erhoffen. Diese unterschiedlichen Erwartungen miteinander in Einklang zu bringen, ist eine große Herausforderung.

Warum bewegt dich das Thema so sehr?

Vermutlich, weil mich die Begegnungen in meinem eigenen Freiwilligendienst sehr, sehr stark geprägt hat. Ich bin ein großer Befürworter von Neugierde und Perspektivwechsel. Das gilt auch für das eigene Land. Das versuche ich auch in diesem Film umzusetzen. Wenn er Augen öffnet und zeigt, dass es noch andere Perspektiven auf Begegnungen gibt als die eigene, dann bin ich zufrieden.

Wie geht es bei dir weiter?

Ferdinand und ich wollen demnächst einen Film über Migration drehen. Wir wollen in Gambia mit Leuten darüber reden, was sie von Europa halten und was sie über die Migration nach Europa denken. Uns interessieren Menschen, die eine persönliche Geschichte haben, weil ein Familienmitglied nach Europa gegangen ist oder weil sie Angehörige auf der Reise dorthin verloren haben. Uns interessieren auch Menschen, die zurückbleiben, die abgeschoben wurden und wieder zurück in Gambia sind. Das sind emotionale und teilweise ganz andere Geschichten als hier in den Asyl-und Migrationsdebatten. Wir möchten die andere Seite beleuchten, schauen, was dahinter steckt und Flüchtlingen – egal ob nun politisch Verfolgter oder sogenannter Wirtschaftsflüchtling – ein Gesicht geben.

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