Im Jahr 2008 wurden in Potsdam Wohnungen für 24 Flüchtlinge gesucht. 2015 sollen schon 2065 Flüchtlinge bis Ende des Jahres in der Stadt untergebracht werden. Jörg Bindheim, der seit einem Jahr Flüchtlingskoordinator der Stadt Potsdam ist, stand uns im Rahmen des 8. Jugendforums Frage und Antwort.
Sie haben vor Ihrer Arbeit als Flüchtlingskoordinator im Jobcenter gearbeitet. Wie sind Sie an das Amt als Flüchtlingskoordinator gekommen?
Ich habe Soziologie mit dem Schwerpunkt Entwicklungspolitik Schwarzafrika studiert, war dann lange in Simbabwe, der Elfenbeinküste und nebenbei noch ein Semester in Nicaragua. Vor einem Jahr haben mich die Kollegen aus der Stadtverwaltung angefragt und gesagt: „Hier ist Bedarf da. Wir sehen, dass eine größere Menge von Menschen wahrscheinlich nach Potsdam kommt. Die Aufgabe, das zu koordinieren, geht über die personellen Möglichkeiten des vorhandenen Personals im Bereich Soziales hinaus.“ Auf die Frage, ob ich mir das beruflich vorstellen könne meinte ich: „Na klar.“
Die Geflüchteten in Potsdam haben die Möglichkeit sich mit Betreuern über ihre Wünsche und Erfahrungen bezüglich der neuen Situation zu unterhalten. Wird dieses Angebot wahrgenommen?
Noch zu wenig. Wir haben vor, in den Heimen Beiräte zu gründen, in denen die Flüchtlinge selber vertreten sind. Was wir in Potsdam schon haben ist der sogenannte Migrantenbeirat. Bei jeder Wahl der Stadtverordneten findet eine zweite Wahl statt, bei welcher alle Menschen mit nicht-deutschem Pass wählen dürfen. Der Migrantenbeirat ist ein Gremium, bestehend aus acht Mitgliedern, die in allen wesentlichen Ausschüssen vertreten sind und somit mitbestimmen und Stellungnahmen abgeben, wo neue Standorte entstehen sollen. Da sind bisher noch zu wenige Geflüchtete selbst drin. Primär kümmern sich die Menschen, wenn sie gerade nach Deutschland gekommen sind, darum, Deutsch zu lernen.
Besteht der Tagesablauf der Flüchtlinge zum größten Teil aus Deutschunterricht, oder gibt es andere Integrationsprogramme?
Deutschkurse gibt es, ja. So etwas wie Programme sind momentan noch im Entstehungsprozess. Es geht zunächst darum zu wissen, was die Menschen überhaupt mitbringen. Und die bringen sehr viel mit. Das Problem ist nur, dass sie es nicht nachweisen können. Viele Menschen, die über das Mittelmeer oder die Balkanroute gekommen sind, haben ihre Papiere gar nicht mitgenommen oder unterwegs verloren. Die müssen dann erst einmal einen Prozess durchlaufen, in welchem sie nachweisen, welche Qualifikationen sie haben. Sollten die Geflüchteten noch ein Stück Papier bei sich tragen, muss auch geprüft werden, ob dies auch den deutschen Vorstellungen des jeweiligen Berufs entspricht. Hiernach kann man überlegen, wie der Flüchtling zu einem in Deutschland anerkannten Zertifikat kommen kann. Das ist ein langer Prozess, bei welchem wir noch ganz am Anfang stehen.
Sie haben heute den Teilnehmern des Jugendforums Stadtentwicklung einiges über die Entwicklung Potsdams hinsichtlich der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen erzählt. Was erhoffen Sie sich vom Jugendforum?
Zunächst einmal finde ich es toll, dass sich Jugendliche mit dem Thema hier auseinander setzen. Die Teilnehmer kommen aus verschiedenen Bundesländern hierher und bringen alle ihre Ideen mit. Wie wird etwas in anderen Bundesländern und Städten gemacht? Das erfahren sie hier. Wenn die Jugendlichen im Laufe des Jugendforums auf funktionierende Strukturen aus anderen Gegenden stoßen, können sie sich hier Ideen von anderen abschauen, mitnehmen und in heimische Strukturen einspeisen.
Was möchten Sie jedem mitgeben, hinsichtlich des Kontaktes zu Flüchtlingen?
„Welcome Refugees“, möchte ich jedem mitgeben. Begrüßen Sie Leute. Reden Sie mit den Leuten. Gehen Sie nicht einfach wortlos vorbei, sondern versuchen Sie so normal wie möglich Kontakt aufzunehmen. Das sind keine Menschen, die irgendwelche Defizite haben. Das sind Menschen wie Du und Ich, die sich in der Fremdsprache nicht richtig ausdrücken können, aber die wie Nachbarn behandelt werden möchten. In Potsdam gibt es eine tolle Initiative, die heißt „Einladungsinstitut“. Die vermitteln Leute, die sich gegenseitig zum Essen einladen. Also erst der Deutsche den Flüchtling und dann der Flüchtling den Deutschen. Das finde ich eine gelungene Art von Kontaktherstellung. Ich saß letztens in der Straßenbahn und dann stiegen zehn unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge ein. Die waren zwar begleitet, aber so heißen die nun mal. Der eine setzte sich neben mich und schaute mich grinsend an und fragte: „Guten Tag, wie geht’s?“ Man sollte dann nicht betroffen weg gucken, sondern sagen: „Mir geht’s gut!“ Einfach mit den Leuten sprechen. Das ist unheimlich wichtig für die Leute.