Big Brother im Umbau: Warum das Haus langsam zur Baustelle wird

Wir schreiben das Jahr 2000: Reality-Formate erleben in den USA, dem Ursprungsland von Real Life Soaps, einen Boom und auch in Deutschland sorgt nun „Big Brother“ für Aufmerksamkeit. RTL 2 (heute: RTLZWEI), Produktionsfirma der ersten Staffel, kündigt diese damals schon als „alles andere als korrekt“ an. Diskussionen über die Menschenwürde sorgen schon vor der Ausstrahlung für Aufsehen. Denn das neue Format, bei dem Personen ständig von Kameras umgeben sein sollen, wird eine Revolution des Fernsehens einläuten.

Alter Kastenfernseher, in welchem eine bunte Sendung läuft.
Inzwischen Retro? 2000 lief in Deutschland die erste Staffel von Big Brother. Foto: Aleks Dorohovich (Unsplash).

Von Tradition zu Trash

Auf Grund der Einführung des dualen Systems in der BRD, wodurch privat-kommerzieller dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gleichgesetzt wird, erhalten private Fernsehsender, welche keinen festen Programmauftrag verfolgen müssen, mehr Aufmerksamkeit. Kandidat*innen dieser Reality-Shows sollen hierbei einer zugewiesenen Biografie entsprechen, was auch von Seiten der Redaktion festgelegt wird. Bereits in der ersten Staffel von Big Brother werden so Kandidat*innen als „Machosingle“ präsentiert und auch noch 2020 hat sich an dieser Art der Sexualisierung nichts geändert. Im Jahr 2000 läuten Reality-Shows den Wandel einer Gesellschaft ein, welche geprägt ist von traditionellen Lebensformen und nach persönlicher Identität und eigener Entscheidung sucht. Nach dem Soziologen Michael Hainz ist dieser Vorgang durch die Individualisierung der Menschen und die folgende Ausstrahlung und Präsentation des Privatlebens nach außen zu begründen. Ulrich M.Schmitz, Psychologe in der ersten Staffel, nennt das neue Zeitalter bereits 2001 ein Zeitalter der Grenzüberschreitung, welches durch die neue Verbindung durch das Internet ermöglicht wird. Big Brother integriert bereits zu Anfang die Zuschauer*innen und entwickelt das Einbeziehen des Publikums bis heute immer weiter, wodurch es den Zuschauer*innen ermöglicht wird, Entscheidungen durch das Internet für die Kandidat*innen zu treffen und auch auf Streaming-Formaten die Sendung zu verfolgen.  

Von Kritik zu Interessenverlust

Die Show erreicht 2000 einen durchschnittlichen Marktanteil von 20% der 14- bis 49-Jährigen Doch diese Zahl nimmt stetig ab. Bereits in der dritten Staffel eröffnet sich eine große Breite an Big Brother-ähnlichen Formaten, welche Zuschauer*innen den Überblick verlieren und die Quoten einstürzen lässt. Die Kritik ist zahlreich und sorgt auch dafür, dass 20 Jahre später der Marktanteil in der jungen Zielgruppe nur noch bei etwa zwei Prozent liegt. Und dennoch: Die Zielgruppe der Show bleibt über die Jahre gleich. Unklar bleibt jedoch auch nach Jahren der Entwicklung, wie viel Teilnehmer*innen der Reality Formate über die anstehenden Aufgaben und Risiken wissen und welche Einschränkungen mit der aktiven Entscheidung des Einzuges verbunden sind. Privatsphäre würde, bestätigen Interne, ermöglicht werden, doch Toiletten-Szenen aus den Anfangsjahren und eine noch heute andauernde Überwachung auf der Toilette, welche für Sicherheit sorgen solle, stellt hierzu ein Gegengewicht dar und veranlasst auch die Landesmedienanstalten in 2000 dazu, ein Ausstrahlungsverbot erreichen zu wollen.

Heute wird nur noch selten über die Risiken und Einschränkungen diskutiert, denn seit 2000 erweitert sich das Angebot- und Streaming-Dienste gewinnen an Reichweite. Außerdem entwickelt sich das Interesse der Zuschauer*innen hinzu Shows mit Prominenten-, sowie Dating-Shows, wie es auch eine Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2023 zeigt. Während sich für die zweite Staffel noch 70.000 Interessierte bewerben, sind es davon in 2024 nur noch ein Fünftel. So wurde nach 2011 der Dreh von Big Brother eingestellt und bis 2020 nicht mehr fortgeführt.

Während dieser Zeit nimmt der ebenfalls privat-kommerzielle Sender Sat.1 den Dreh der Promi-Version von Big Brother auf, welcher eine auffällig hohe Quote erreicht. Diese folgt nun nicht mehr dem Prinzip, dass unbekannte Menschen unvoreingenommen ihren Alltag präsentieren, was nach der Soziologin Angela Keppler1 das Prinzip von Real-Life-Soaps sei. Der aktuelle Wunsch nach Diversität in Reality-Shows besteht und bereits im Jahr 2000 wird bei Big Brother auf individuelle Charaktere geachtet. Auch der Executive Director Rainer Laux wünscht sich für 2024 Menschen, welche normalerweise nicht abgebildet werden, unabhängig von Alter und Beruf. Warum Sat.1 sich entschieden hat, erneut Prominente zu wählen und damit rückläufig hinsichtlich Diversität arbeitet, liegt wahrscheinlich an dem Interesse der Zuschauer*innen. 

Von Erfolg zu Langeweile

2024, nach jahrelangen Unsicherheiten wer Big Brother ausstrahlt, läuft die Reality-Life-Soap heute fast nur noch auf dem Anbieter „Joyn Plus“. Für die ständige Liveübertragung muss hier ebenso bezahlt werden, wie bereits schon für die fünfte Staffel. Für die aktuelle Staffel gibt es auf X viel Kritik. Es wird darüber diskutiert, warum die Teilnehmer*innen in die gleiche Unterkunft ziehen, wie die vorherigen Promi Big Brother Teilnehmer*innen. Weitere Kritik sind mangelnde Abwechslung und empfundene Langeweile beim Schauen der Livestreams. Sat.1 wird in dem Zuge vorgeworfen, dass es kein Interesse an Big Brother hätte.

Das Ergebnis, dass die Einzugsshow der Promi Version eine  mit 1,73 Millionen etwa 700.000 Menschen mehr eingeschaltet haben, als zur nicht-Promi Version, spiegelt die Interessen der Zuschauer*innen wieder und somit auch die der Produzent*innen. In einem Gespräch mit einem Psychologen, welcher die Kandidat*innen der ersten Staffel betreute, spricht dieser im Spiegel über die verfliegende Faszination des Alltagslebens. Schmitz gibt an, dass Produzent*innen einen gewissen Druck hätten, etwas Neues zu machen, wenn die Faszination nicht mehr da ist, was sicherlich auch als ausschlaggebender Punkt für den Drehstart von Promi Big Brother gilt. Jene Ergebnisse zeigen auf, dass die Entwicklung von Reality-TV abhängig ist von Interessen der Zuschauer*innen und somit nicht direkt als positiv oder negativ dargestellt werden kann, da diese Shows stückweise unsere Gesellschaft widerspiegeln und Produzent*innen auf Änderungen dieser reagieren.

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