Was passiert eigentlich im Konflikt um die Westsahara? Unsere Autorin Stefanie Huschle macht gerade in der marokkanischen Hauptstadt Rabat ein Praktikum bei einer politischen Stiftung und erklärt, worum es geht.
Vor 42 Jahren machten sich etwa 350 000 marokkanische Zivilistinnen und Zivilisten auf, um die Grenze zur Westsahara zu übertreten – friedlich, mit Nationalflaggen und Koranbüchern in den Händen. Dieser historische „Grüne Marsch“ – nach der Farbe des Islam benannt – wurde vom damaligen König Hassen II initiiert. Mit der Demonstration brachte er die marokkanischen Besitzansprüche auf das Gebiet der Westsahara zum Ausdruck. Die Westsahara war damals noch eine Kolonie Spaniens.
In Marokko wird der „Grüne Marsch“ jedes Jahr am 6. November als genialer Coup des ehemaligen Königs zelebriert. Dieses Datum kann jedoch auch als der symbolische Beginn des bis heute andauernden Westsaharakonflikts betrachtet werden. In dem Konflikt beanspruchen zwei Parteien die Herrschaft über das Territorium der Westsahara: Marokko und die Polisario-Front. Letztere repräsentiert die Sahrauis, arabische Nomaden, die den Großteil der westsaharischen Bevölkerung ausmachen.
Wie kam es zum Westsaharakonflikt?
Für mehr als 90 Jahre, von 1884 an, war die Westsahara eine Kolonie Spaniens. Im Jahr 1973 gründete sich die Befreiungsfront Polisario und forderte die Unabhängigkeit der Westsahara. Die Vereinten Nationen unterstützten diese Forderung, sie plädierten schon seit 1965 für eine unabhängige Westsahara.
Spanien kündigte schließlich 1974 an, in der Westsahara ein Referendum über die Unabhängigkeit des Gebiets abzuhalten. Doch nicht nur die Polisario-Front, sondern auch Marokko und Mauretanien erhoben Ansprüche auf das Territorium und wandten sich damit noch im selben Jahr an die UN-Vollversammlung. Diese betraute den Internationalen Gerichtshof in Den Haag damit, die Berechtigung der von Marokko und Mauretanien geäußerten Gebietsansprüche zu untersuchen.
Der internationale Gerichtshof wies im Oktober 1975 die Herrschaftsansprüche beider Staaten zurück und befürwortet eine Selbstbestimmung der Bewohner der Westsahara. In der Vergangenheit hätten zwar teilweise rechtliche Bindungen von Marokko und Mauretanien zur Westsahara bestanden. Diese reichten jedoch nicht aus, um einen Gebietsanspruch zu rechtfertigen.
Für König Hassan II genügte die Bestätigung dieser ehemaligen rechtlichen Bindungen zwischen der Westsahara und Marokko, um den „Grünen Marsch“ zu initiieren. Die mehrtägige Demonstration wurde von der spanischen Besatzung geduldet. Etwa einen Monat nach dem „Grünen Marsch“ beschloss Spanien, sich aus der Westsahara zurückzuziehen und das Gebiet zu einem Drittel Mauretanien und zu zwei Dritteln Marokko zu überlassen. Im Gegenzug erhielt Spanien Bergbauanteile und Fischfangrechte.
Die Polisario-Front, unzufrieden mit der Aufteilung der Westsahara, forderte weiterhin die Unabhängigkeit des Gebiets. 1976 rief sie die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) mit einer Exilregierung in Algerien aus. Mehrere Jahre führte die Polisario-Front Krieg gegen Marokko und Mauretanien – ein großer Teil der Sahrauis flüchtete nach Tindouf in Algerien und wartet dort noch heute auf eine Lösung des Konflikts.
Mauretanien schloss 1979 einen Friedensvertrag mit der Polisario-Front und zog sich aus der Westsahara zurück. Daraufhin besetzte Marokko auch diesen Teil des Landes. In den 1980er-Jahren errichtete Marokko einen mehr als 2000 Kilometer langen und teilweise verminten Schutzwall. Heute kontrolliert das Land mehr als zwei Drittel des Territoriums der Westsahara. Seit 1991 herrscht Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario-Front. Ein UNO-Friedensplan sieht die Durchführung eines Referendums vor, bei dem die Bewohner und Bewohnerinnen der Westsahara zwischen Unabhängigkeit und der Zugehörigkeit zu Marokko wählen können. Bis heute streiten sich Polisario und Marokko darüber, welche Teile der Bevölkerung abstimmungsberechtigt sein sollten. Der Konflikt bleibt also ungelöst. Währenddessen kritisieren Menschenrechtsorganisationen Marokko regelmäßig für seinen Umgang mit der westsaharischen Bevölkerung.
Warum ist die Westsahara so wichtig für Marokko?
Die Westsahara spielt für Marokko eine große wirtschaftliche Rolle. Im Nordwesten des Gebiets befindet sich eines der größten Phosphatvorkommen der Welt. Außerdem verfügt das Territorium über Eisenerz, Kupfer und ergiebige Fischgründe im Atlantik.
Wie positionieren sich die EU und Deutschland in dem Konflikt?
Weder die Europäische Union noch Deutschland erkennen die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) als Staat an. Von einigen anderen Staaten wird die DARS hingegen anerkannt, von einem Teil der Länder der Afrikanischen Union zum Beispiel. Die DARS ist Mitglied der Afrikanischen Union.
Deutschland legt Wert darauf, die Beziehungen zu Marokko nicht zu belasten. Im Februar 2016 haben sich die beiden Staaten darauf geeinigt, dass marokkanische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ohne Aussicht auf Asyl schneller nach Marokko zurückgeführt werden können. Im Gegenzug hat Deutschland Marokko bei einem Verfahren der EU gegen die Polisario-Front unterstützt.
Im Zuge dieses Verfahrens hat der Europäische Gerichtshof im Dezember 2016 entschieden, dass die Westsahara nicht Teil Marokkos ist, und damit das Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU nicht für Produkte aus der Westsahara gilt.
Der ehemalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler ist dieses Jahr zum UN-Sonderbeauftragten für den Westsaharakonflikt ernannt worden.