„Hotline für besorgte Bürger“ heißt das erste Buch von Ali Can. Christopher Folz hat es gelesen und findet: „weit mehr als nur ein Telefongespräch.“
Ali Can, selbsternannter „Asylbewerber Ihres Vertrauens“, beschreibt einen Teil der Geschichte seiner kostenlosen Telefonhotline. Jede und jeder kann ihn anrufen, um über Flüchtlinge, PEGIDA und eigentlich auch sonst jedes Thema, das irgendwie mit Migration zu tun hat, zu reden.
Moment mal: Wie kann man ein Buch über eine Hotline schreiben? Das war mein erster Gedanke, als ich den Titel las. Klar: Es geht noch um viel mehr als das. Um Migration und Politikverdrossenheit in Deutschland zum Beispiel. Aber sind diese Themen nicht langsam mal erschöpft?
Weit gefehlt.
Ali Can zeigt ganz neue Seiten der Flüchtlingsthematik, die man als Nicht-Betroffener gar nicht erahnt.
Der „Migrant unseres Vertrauens“ beginnt sein Buch mit einer für ihn sehr emotionalen Reise in seine ehemalige Heimat, Pazarcik in der Türkei. Dort wurde er zum ersten Mal mit der grausamen Vergangenheit über die Kämpfe zwischen der PKK und dem türkischen Militär konfrontiert. Es folgen ein Kapitel über seine PEGIDA-Erfahrungen und der ersten Begegnung mit besorgten Bürgern. Skurril: Bei der führte Can einen Schokoladenosterhasen mit sich.
Und dann fängt das Buch eigentlich erst an.
Nach einem kurzen Kapitel über den Start der Hotline folgt ein Gespräch mit Frau Linde, 64 Jahre alt und unglaublich liebenswürdig, wenn auch etwas naiv. Sie redet über türkisches Essen und scheint sich dort sogar besser auszukennen als Ali Can selbst, was ungewöhnlich und logisch zugleich ist. Denn wie man später im Buch erfährt, ist Can so deutsch, dass er selbst mehr über die Kultur sagen kann als ein AfD-Politiker.
Fazit: Wenn ich auch anfangs mal über einen Satz gestolpert bin, hat es Ali Can dennoch geschafft, mir mit diesem Buch die ein oder andere Gänsehaut zu bescheren.
Auch spätere Gespräche, über die er schreibt, geben einen interessanten Einblick in die Gedanken Anderer. Dabei macht es ein wenig traurig, dass manche Menschen gehässig werden – und das nur, um andere zu verletzen.
Besonders cool: Das Buch hilft sogar herauszufinden, wie deutsch man als Leser selbst ist. Wie das geht? Mit einem Einbürgerungstest ganz nach Ali Cans Geschmack. Ich habe den Test gemacht und musste feststellen: So wirklich deutsch bin ich auch nicht. Mein Ergebnis ist „(E) besonders individuell“. Netterweise wird dabei auch erklärt: „Das Deutsche“ gibt es gar nicht. Zwischen Freiburg und Kiel liegen so viele Unterschiede, dass es totaler Unsinn wäre, zu behaupten, es gäbe eine rein deutsche Kultur.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Ali Cans Buch ist ebenso berührend wie abschreckend, ebenso informativ wie unterhaltend.
Empfehlenswert für jeden, der sich auch nur im Entferntesten für Politik und Migration interessiert. Ali Can beschreibt Zusammenhänge, die man so gar nicht erwartet hätte.
Auf eine Fortsetzung lässt sich deshalb nur hoffen.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Eine ganz tolle Rezension Christopher. Danke!