Eine Gruppe ehemaliger Schüler*innen der Gesamtschule Bremen-Mitte engagiert sich für gleichberechtigten Austausch zwischen Afrika und Deutschland. Auf der ZukunftsTour bieten sie Skype-Videochats mit Jugendlichen aus ganz Afrika an. Albert Wenzel hat dabei zugeschaut.
Endlich sind sie da. Sehnsüchtig erwarteten die Vereinsmitglieder von „Partner über Grenzen e.V.“ Chat-Partner*innen für die afrikanischen Jugendlichen. Allerdings bleiben die meisten Hamburger Schüler*innen nur bis Punkt 13 Uhr auf der Veranstaltung, dann ist schließlich Wochenende. Doch zwei Schülerinnen aus Oldenburg finden sich doch noch und wagen das kulturelle Experiment.
Ein Experiment ist es gewiss, denn Entwicklungsarbeit mit Afrika ist traditionell sehr einseitig: Die europäischen Organisationen schicken Geld oder materielle Hilfe und die Afrikaner*innen bedanken sich mit Texten und Fotos. „Daraus entsteht oft eine Erwartungshaltung“, sagt die 19-jährige Svea, eine Teamerin des Projekts. Sie stellt klar: „Wir hingegen wollen eine Begegnung auf Augenhöhe!“
Dass das nicht einfach ist, haben die ehemaligen Schüler*innen der Gesamtschule Bremen-Mitte schon auf zwei Austauschen feststellen können. 2011 begleiteten sie in Mali den Neubau einer Dorfschule und wurden oft sehr überrascht und neugierig beäugt. Die meisten Menschen vor Ort hatten zuvor keine Europäer*innen gesehen, es gibt dort kaum Tourismus. Ganz anders in Kenia. Dort besuchten die Schüler*innen ein Partner-Internat: Hier sind Weiße vor allem als reiche Tourist*innen bekannt, die sich nur für Sehenswürdigkeiten, den Strand oder Sex interessieren würden. In dieser Schublade landeten zunächst auch die Schüler*innen aus Bremen.
Mit erschreckenden Vorurteilen aufräumen
Doch erschreckende Vorurteile gibt es auf beiden Seiten. Der 17-jährige Schüler Paul wurde von seiner Oma nach dem Kenia-Austausch gefragt, ob er denn „mitgehungert“ hätte. Svea erinnert sich, wie ein Afrikaner zu ihr sagte, er würde sich in Europa die Haut bleichen lassen, sie sei schließlich „dreckig“. Genau mit solchen Bildern möchte der Verein aufräumen. Afrikaner*innen und Europäer*innen seien schließlich „mehr als ‚arm‘ und ‚reich‘“, findet Paul.
Das Herz dieses Projekts ist Eckhardt Kreye: Der Lehrer der Gesamtschule Bremen-Mitte startete mit einem Wahlpflichtkurs für die Klassen neun und zehn, dessen Höhepunkt der Austausch mit Mali darstellte. Mittlerweile gründete er mit den Ex-Schüler*innen den Verein. Svea ist Teilnehmerin der ersten Stunde: „Ecki ist toll und wahnsinnig engagiert, aber er weiß auch andere Engagierte zu binden.“ Für Paul ist er nur der „Superhero.“ Der Lehrer hat auch einen jungen nigerianischen Mann aufgenommen, damit er in Deutschland studieren kann.
Offenheit und Gelassenheit sind gefragt
Für den gleichberechtigten Austausch müssen die Jugendlichen einiges mitbringen: Vor allem Gelassenheit, Spontaneität und Offenheit sind gefragt. Einmal unternahm die Gruppe eine Flussreise mit einem kleinen Boot. Auf dem Rückweg fiel dann streckenweise der Motor aus, sodass sie eine Nacht länger auf dem Boot verbringen mussten – die Nacht vor dem Rückflug. „Da mussten wir uns dann gegenseitig beruhigen“, erinnert sich Svea, „wir die Afrikaner, dass es keine Krokodile gibt und sie uns, dass wir den Rückflug nicht verpassen.“
Manchmal gibt es aber auch sehr schwierige Situationen: Im kenianischen Internat werden Schüler*innen schon mal mit Schlägen oder Putzaufgaben bestraft. Da stand Svea dann in einem Gewissenskonflikt, obwohl sie sich sehr wunderte, als sie erfuhr, dass „Nachsitzen für die dortigen Schüler*innen viel erniedrigender ist als Putzen.“
Mit den Videochats möchte der Verein den Horizont von Jugendlichen erweitern. Tabea und Rike aus Oldesloe sind zwar nur noch 15 Minuten auf der Veranstaltung, aber zu einem kurzen Gespräch mit vier Jungs aus Kamerun reicht die Zeit noch. Nach einigen technischen Problemen geht es los – mit Smalltalk. Namen, Alter, Herkunft werden ausgetauscht. Dann geht es um den kleinsten gemeinsamen Nenner, das Schulsystem, wobei hier schon erste kritische Punkte touchiert werden. Zum Beispiel, dass in Kamerun nicht jede*r zur Schule gehen kann. Dann ist die Zeit auch schon vorbei und es geht für Tabea und Rike zurück nach Oldesloe. Aber vorher werden noch die Facebook-Kontakte ausgetauscht – vielleicht wird ja mehr daraus.