Seit einiger Zeit bekommen Geflüchtete nach der Ankunft in Deutschland ihre Sozialleistungen nicht mehr in Form von Bargeld von der Regierung, sondern erhalten den Großteil des Geldes in Form von Guthaben auf einer Bezahlkarte. Allerdings erschwert diese Regelung an vielen Stellen den Alltag für Geflüchtete, wie Arif Haidary Politikorange-Redakteur Jonas im Interview erklärt.
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© Arif Haidary
Arif Haidary kam vor 9 Jahren aus Afghanistan nach München und engagiert sich seitdem stark für Geflüchtete. Er ist stellvertretender Vorsitzender im Migrationsbeirat München, Mitbegründer der MUT-Partei, und hat Konzerte in Flüchtlingsunterkünften organisiert und viele weiter Projekte in der Flüchlingshilfe umgesetzt.
Seit Mai gilt ja das neue Bezahlkartensystem für Geflüchtete. Was hat sich damit konkret geändert?
Früher haben die Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland Bargeld bekommen, nun wurde dieses Bargeld größtenteils durch eine Bezahlkarte ersetzt. Die Menschen kriegen nur noch 50 Euro Bargeld pro Monat. Das schränkt deren Leben stark ein, da es immer noch nicht überall möglich ist, mit Karte zu bezahlen.
Warum hat die Regierung die Regelung trotz der Kritik auf den Weg gebracht?
Die Politik dachte, damit bekämpft sie die Schleuserkriminalität. Aber ich persönlich habe noch nie Schleuser*innen gesehen, die mit Ratenzahlungen arbeiten. Einige Politiker*innen behaupten außerdem, die Geflüchteten würden das meiste Geld nach Hause schicken. Die Realität sieht anders aus: wenn man in Deutschland ankommt, kümmert man sich erst einmal um die Finanzierung von lebensnotwendigen Dingen hier vor Ort, besonders München ist ja nicht gerade billig. Nach einiger Zeit hier im Land schicken die Menschen dann vielleicht mal 50 Euro in die Heimat – meiner Meinung nach ist das auch deren gutes Recht. Ich finde, diese Maßnahme gehört zu einer populistischen Politik der Regierungen in Bayern und Berlin, die annehmen, die Bezahlkarte sei eine einfache Problemlösung.
Um Geflüchteten mit der Bezahlkarte ein wenig mehr Flexibilität zu ermöglichen, gibt es jetzt in München eine neue Aktion der Initiative ,,OFFEN! München” in Kooperation mit vielen anderen Organisationen und Vereinigungen, bei der es um den Tausch von Gutscheinen gegen Bargeld geht. Wie genau funktioniert das?
Geflüchtete kaufen zuerst mit der Bezahlkarte in einem Discounter Supermarkt an der Kasse einen Gutschein. Den geben sie dann ab an einer der teilnehmenden Tauschstellen in der Stadt. Dort kriegen sie dafür 50 Euro Bargeld, teils auch etwas mehr. Menschen aus der Zivilgesellschaft können dann wiederum einen Gutschein von uns kaufen. So entsteht für niemanden ein Wertverlust, und privilegierte Bürger*innen können Solidarität zeigen für alle, die es schwerer haben.
Wie groß ist die Nachfrage bis jetzt?
Bis jetzt läuft es ganz gut, wir mussten teilweise sogar die Öffnungszeiten verlängern, weil der Ansturm so groß war.
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© Arif Haidary
Habt ihr Angst, die Politik könnte eure Aktion versuchen zu stoppen? Schließlich wird eine Gesetzesregelung damit ein wenig ,,umgangen”
Es ist nicht illegal, Gutscheine zu kaufen und zu tauschen. Wir werden es sowieso kaum schaffen, einen flächendeckenden Tausch in Bayern zu ermöglichen. Uns ist es auch wichtig, mit der Kampagne ein Signal zu senden: Geflüchtete kommen nicht wegen der Sozialleistungen nach Deutschland, sondern weil sie dringend Schutz suchen.
Welche Aktionen gibt es noch von ,,OFFEN! München“?
In den ca. 2 Jahren, in denen es die Kampagne gibt, haben wir viele Demos organisiert und mehrere andere Kampagnen gestartet. Wir versuchen einfach, einen alternativen Weg für die Politik aufzuzeigen, wie humaner mit Geflüchteten umgegangen werden kann. Außerdem verbinden wir Kritik an der aktuellen Migrationspolitik der Regierung mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen. Wir sind beispielsweise für ein gutes Sozialsystem, offene Grenzen und eine Ausbildungs- sowie Arbeitserlaubnis für Geflüchtete, damit sie langfristig eine Perspektive in Deutschland haben.
Gibt es bei dir noch neue Ziele und Projekte, die du in Zukunft geplant hast?
Auf jeden Fall will ich weiter im Migrationsbeirat arbeiten und dort Druck auf die lokale Politik ausüben. Denn Geflüchtete sind auch Menschen, die als solche wahrgenommen werden wollen. Vielleicht können wir irgendwann den falschen Narrativen, die über Geflüchtete existieren, ein Ende setzen, und mehr die gute Seite von Migration zeigen.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für diesen wirklich wertvollen Beitrag. Ein Land das versteht wie wertvoll jeder Mensch hier sein kann ist ein Land das eine positive Entwicklung zeigt. Ich bedanke mich bei Arif für sein unermüdliches Engagement.
Hallo Jonas,
Toller Artikel und sehr interessant 🤓
Ich hätte gerne zum Schluss, nach dem letzten Satz, noch mehr über die « guten Seiten der Migration » gelesen. Denn das fehlt vielleicht vielen Menschen, um den Blick auf Migration ins Positive zu wenden.
Auf jeden Fall toll geschrieben !