Gesine Meißner (FDP) ist nicht gekommen, um ewig zu bleiben. Politikerin ist sie, weil das Leben sie zu einer machte. Als sie gehen wollte bat Ex-Parteichef Rösler sie, für Europa zu kandidieren. Im Parteivorstand blieb sie solange, bis eine Frau sie beerbte. Mit KollegInnen anderer Fraktion ist sie per Du und ihr Essen genießt sie mit Bambusbesteck. Jonas Gebauer sprach mit ihr über das Meer und vieles mehr.
Guten Tag Frau Meißner. In der Debatte mit den Schülerinnen und Schülern haben Sie gesagt, Sie benutzen Bambusbesteck und einen wiederverwertbaren Trinkbecher. Sind Sie damit in der FDP nicht in der falschen Partei und müssten nicht eher Mitglied bei den Grünen sein?
[lacht] Das fragen mich ganz viele. Ich kenne einige, die das auch machen, aber es sind nur wenige. Kleine Geschichte dazu: Melati Wijsen ist 17 Jahre jung und aus Bali. Als sie zwölf war, hat sie sich mit ihrer zehnjährigen Schwester etwas überlegt, um die Welt zu verbessern. Weil es so viel Plastik gab, haben sie es eingesammelt. Inzwischen hat sie es auf Bali geschafft, dass es dort nur noch wenig Plastik gibt. Ich habe sie eingeladen und sie hat mir das Besteck gezeigt. Da habe ich meins aus der Tasche geholt.Viele wissen nicht, dass es so etwas gibt. Deshalb werde ich es zu Weihnachten verschenken. Das ist eine Sache, die man viel mehr wissen muss. Auch mit dem Becher. Ich bin viel unterwegs und da liegt es auf der Hand: Saft oder Kaffee. Da hab ich mir gesagt: Ich nehme diesen durchsichtigen Becher mit und lasse ihn mir auffüllen.
Sie haben ursprünglich mehrere Berufe gehabt und sind dann in die Politik gekommen. Erst ging es in den Landtag, schließlich ins Europäische Parlament. Wie sind Sie politisch geworden und von der Berufswelt in die Berufspolitik gekommen?
Mein Vater war Politiker und ich habe gedacht, Politik ist gar nichts für mich. Das ist was, was gerade Mädchen oder Frauen oft denken, die sich sozial engagieren – so wie ich. Dennoch denken sie, es handelt sich dabei nicht um Politik. Das ist es aber auch.
Ich habe unterschiedliche Berufe gemacht, weil ich vielseitig bin. Ich bin Hotelkauffrau, ich bin sogar spanischer Barmann…
Nicht Barfrau?
Tatsächlich Barmann. Ich habe ein Zertifikat und war die einzige Frau, die da war.
Das ist spannend. Wie ging es weiter?
Ich war auch Berufsschullehrerin, war aber nie in der Schule, weil ich in der Erwachsenenbildung tätig war. Dort bin ich gleich stellvertretende Direktorin geworden und habe irgendwann begonnen, mich auch direkt politisch zu engagieren. Aus der Politik wurde ich dann ein halbes Jahr überzeugt, zu kandidieren. Ich hatte nichts gegen Landtage, aber ich hatte ganz andere Dinge vor. Zum Beispiel habe ich mit Langzeitarbeitslosen gearbeitet, da habe ich fast nichts verdient. Ich habe Management-Seminare gemacht, da habe ich gut verdient. Nebenbei habe ich meine Kinder versorgt, einen Mann habe ich auch. [lacht]
Dann ging es in den Landtag und ich bin wiedergewählt worden. Da ticke ich auch wieder ‚grün‘, denn ich wollte eigentlich nach zwei Perioden wieder raus. Ich finde nämlich nichts schlimmer, als Politiker, die Dienst nach Vorschrift machen. Ich finde, wenn man Demokratie liebt – und das tue ich – dann muss man einfach für die Politik brennen und darf nicht früh Feierabend machen, sondern muss viel machen. Deswegen wollte ich 2013 eigentlich raus. Doch dann kam damals Philipp Rösler [Anm. d. Red.: ehemaliger Landesvorsitzender der FDP in Niedersachsen, später Vizekanzler und Parteivorsitzender] 2008 und sagte: Ich brauch dich in Europa. Da habe ich gesagt: Sag mal spinnst du? Ich hatte gerade für den Landtag kandidiert und hatte 14 Tage Zeit, mich zu entscheiden. Meine Kinder sagten ‚Klar, super Schokolade in Brüssel‘, mein Mann sagte, ich spreche viele Sprachen. Ich habe es gemacht und nicht bereut. Inzwischen bin ich dort auch schon wieder in der zweiten Periode. Aber ich trete nicht wieder an. Demnächst mache ich ehrenamtlich Ozeanrettung.
Sie waren Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen. Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben? Denn es wird häufig gesagt ‚Wir brauchen mehr Frauen und junge Menschen in der Politik‘ – häufig jedoch von Männern, die mindestens 50 Jahre alt sind und ihr Amt für den Nachwuchs oder Frauen nicht räumen würden. Welchen Tipp haben Sie da?
Erst einmal müssen sich junge Frauen klarmachen, dass sie Interessen haben, die in der Politik am besten durchzusetzen sind. Wenn sie für etwas ‚brennen‘, ist es meist etwas, was sich politisch besser regeln lässt. Da kommen Mädchen irgendwie weniger drauf als Jungs – das ist eben so. Auch deswegen, weil Mädchen und auch Frauen es oftmals blöd finden, wie es in der Politik abläuft. Da wird viel gefochten, da geht es um Strategien, um Absprachen am Telefon. Ich kenne viele Frauen, die das nicht gut finden. Viele Männer sind da schmerzfrei, wenn es darum geht, das Gleiche wie der Vorgänger immer wieder zu sagen – Hauptsache man redet. Frauen finden so etwas doof. Frauen machen das anders, das muss man sich klar machen.
Ich bin deshalb auch schon lange für eine Quote – das ist auch nicht typisch für die FDP. Oft wird gesagt, wir hätten nicht genug Frauen. Es gibt in jeder Partei genug Frauen, auch an der Basis. Die Grünen und Die Linke haben die Quote und deshalb hat man sich dort daran gewöhnt, dass es eben auch gute Politikerinnen gibt. Ich darf mich nicht beschweren, schließlich wurde ich immer direkt gewählt. Aber bei uns ist es so, dass es viele Frauen gibt, die raus gemobbt werden und das ist einfach falsch!
Sie waren auch mal im Bundesvorstand der FDP…
Und wäre auch noch drin, wenn ich gewollt hätte. Aber ich wollte nicht mehr und stattdessen Jüngere ranlassen. Ich habe auch darauf bestanden, dass wenn ich nicht mehr da bin, eine Frau aus Niedersachsen nachkommt. Ich hatte eine Periode länger gemacht, weil vorher ’nur‘ ein Mann gekommen wäre. Ich habe nichts gegen Männer, aber unserem Landesvorsitzenden habe ich mal abgerungen, wenn drei aus Niedersachsen im Bundesvorstand sind, ist immer eine Frau dabei. Das war ganz lange ich und erst als ich sicher war, es kommt eine Frau nach, habe ich aufgehört.
Ich möchte noch einmal zurück auf Ihr Herzensthema ‚Meer‘ kommen. Was sind die Aufgaben, die in Ihrer neuen Position nun auf Sie warten?
Ich bin sehr gerne am Wasser, an der Nordsee, und ich habe mich immer dafür interessiert. Ich wollte Ozeanographie studieren, kam aber vom Dorf und da haben alle gesagt ‚Mädchen mach etwas vernünftiges, damit verdienst du kein Geld‘. Ich habe im Europaparlament gemerkt, dass es diese Integrierte Meerespolitik gibt. Das Meer wird von den Menschen gebraucht. Wir haben den blauen Planeten, aus dem Meer kommen Energien und Nahrungsmittel, Handel findet übers Meer statt und gleichzeitig ist das Meer in einem immer schlechterem Zustand – das müssen wir ändern. Das finde ich wichtig und habe deshalb diese Meeresgruppe [Anm. d. Red.: Searica] gegründet. Ich bin inzwischen als Präsidentin der Gruppe international bekannt und werde auch zu internationalen Treffen eingeladen. Deswegen bin ich nun Sonderbotschafterin für Meerespolitik des Europäischen Parlaments.
Wie aber wird Ihre Arbeit dann auch effektiv in der Politik umgesetzt? Gibt es da sichtbare Erfolge?
Dieser Titel ist eine Sache, die Aufmerksamkeit erregt. Ansonsten mache ich mit meiner Gruppe jeden Monat mindestens eine Veranstaltung mit bis zu 200 Personen. Da kommen sowohl Greenpeace, als auch die Schiffsbauer, Politiker und Wissenschaftler. Das hat sich sehr bekannt gemacht, wodurch auch ich immer bekannter geworden bin. Dadurch konnte ich auch immer mehr Menschen mitziehen, Tiemo [Anm. d. Red.: Tiemo Wölken (SPD/S&D), MdEP aus Niedersachsen] ist einer der Aktivposten. Wir haben die Gesetzgebung beeinflusst, auch wenn es mir zuerst nicht so vor kam. Mein Büro hat 25 Änderungsanträge geschrieben, die alle Meeresbezug hatten. Ich habe Tiemo und Abgeordnete anderer Fraktionen unterschreiben lassen und dadurch haben wir das alles gewonnen. Das ist ein Trick, weil dann die Fraktionen auch dafür stimmen, wenn ihre einzelnen Mitglieder so stimmen.
Ansonsten ist es so, dass auch die UNO dieses Thema entdeckt hat, von 2020 bis 2030 eine Dekade für den Ozean macht und damit unter anderem in Schulen geht. Vom Auswärtigen Amt bin ich als deutsche Expertin vorgeschlagen worden. Ob ich gewählt werde, weiß ich nicht. Das ist ein Auswahlverfahren. Ich habe gesagt, ich mache alles, was das Thema irgendwie nach vorne bringt und erzähle deswegen auch furchtbar gerne darüber. Viele denken immer noch, der blaue Planet sei Quatsch, aber bei der wachsenden Weltbevölkerung werden wir das Meer unweigerlich brauchen. Jeder zweite Atemzug, den wir atmen, kommt aus dem Meer. Das produziert Sauerstoff, bindet CO2. Es gibt bereits viele Veränderungen, der Golfstrom verlangsamt sich. Ich könnte darüber stundenlang reden. Es sing ganz viele Sachen in Gange, die wirklich bedrohlich sind. Aber man kann etwas dagegen tun – das müssen wir nur machen!
Sie Duzen Tiemo Wölken. Versteht man sich als Abgeordnete aus Niedersachsen da untereinander sehr gut, auch unabhängig von den Fraktionen?
Ja! Ich pflege auch engen Kontakt zu Abgeordneten aus anderen Fraktionen. Aber Tiemo und ich sind nicht nur beide im Umweltausschuss, sondern auch maritim unterwegs und verstehen uns sehr gut. Er ist noch gar nicht solange Abgeordneter und könnte mein Sohn sein [lacht]. Wir machen viel zusammen. Gestern habe ich Vertreter von Ospar getroffen. Da konnte Tiemo nicht, war aber durch sein Büro vertreten.
Ansonsten ist es auch so, das ist das tolle am Europaparlament, dass man auch über Fraktionsgrenzen hinweg ganz eigenartige Freundschaften entwickelt. Ich habe eine finnische Freundin, die ist bei den Linken. Die ist auch keine echte Linke, finde ich. Die hat mir sogar mal Ringelsocken geschenkt. Sie war mal Verkehrsministerin in Finnland, ist sehr pragmatisch und lustig. Wir mögen uns einfach und stimmen sogar gelegentlich zusammen ab oder haben auch schon einmal gemeinsame Änderungsanträge im Verkehrsausschuss eingebracht.