Immer mehr junge Menschen wählen die AfD. Dieser Trend stellt die Qualität politischer Bildung und der Einbindung Jugendlicher auf den Prüfstand. Ein Essay von Jonathan Dusse.
Hessen und Bayern haben gewählt – und die AfD hat hohe Stimmanteile errungen. Besonders junge Wähler*innen scheinen angetan von der AfD, einer Partei, in der mehr als jedes dritte Mitglied als rechtsextrem gilt und die offen ethnische und kulturelle Minderheiten angeht. Trotzdem haben sie 18 Prozent der unter 30-Jährigen in Bayern gewählt und auch in Hessen erhielt sie acht Prozent Zuwachs bei Personen unter 24 Jahren.
Rechtes Gedankengut ist in der Jugend angekommen. Es stellt sich die Frage: Woran liegt das? Und: Kann man der Entwicklung mit mehr politischer Bildung und Einbindung Jugendlicher entgegenwirken?
Politisch interessiert, aber nicht gut genug beteiligt
Dass die Generation Z politisch ist, wissen wir mittlerweile aus vielen Studien: So geben in der Jugendstudie der Vodafone-Stiftung aus dem Jahr 2022 64 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren an, sich für Politik zu interessieren. Aber 74 Prozent sagen auch, dass ihre Interessen nicht gut vertreten sind. Den Jugendlichen fehlt ein Sprachrohr. Daran kann die AfD anknüpfen.
„Bei TikTok ist die AfD, was die Follower angeht, die stärkste Partei in ganz Deutschland“, sagt Max Kindler (CDU), Stadtrat für Jugend, Familie und Gesundheit in Friedrichshain-Kreuzberg. Das mache etwas mit jungen Menschen: „Es ist wichtig für sie, nicht vergessen zu werden.“ Kaweh Mansoori, Bundestagsabgeordneter der SPD, ergänzt, dass die AfD bei der Jugend weniger mit Themen und mehr mit Stil punktet: „Es geht darum, Problemlösungen in den Vordergrund zu stellen.“ Das kann die AfD besonders gut – wenn auch unterkomplex und populistisch.
Kindler sagt, man müsse Jugendliche mit Politik für ihr alltägliches Leben überzeugen und ihnen konkrete Zukunftsvisionen aufzeigen. Vor allem in Hessen hat der personennahe Wahlkampf der AfD zum Erfolg verholfen. Wenn sie Jugendliche von den Altparteien nicht angesprochen und abgeholt fühlen, könnte sie das direkt in die offenen Arme der AfD treiben.
Bildungs- und Partizipationsmöglichkeiten ausbaufähig?
Bildungsniveau und antidemokratische Tendenzen wie Rechtsextremismus korrelieren. Das geht aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2021 hervor. Von den befragten Erwerbstätigen mit Abitur zeigten nur drei Prozent antidemokratische Tendenzen, von denen mit mittlerer Reife hingegen 12 und mit Haupt- oder Volksschulabschluss sogar 21 Prozent. In der Studie ging es zwar nicht explizit um Jugendliche, sie führt aber trotzdem zu der Frage, ob man rechten Tendenzen mit mehr Bildung und besonders mit mehr politischer Bildung entgegenwirken kann.
An den meisten weiterführenden Schulen in Deutschland gibt es ein oder mehrere Fächer, in denen sich Schüler*innen mit Politik auseinandersetzen und gerade in Hessen ist Politik und Wirtschaftsunterricht längst in den Lehrplan integriert. Allerdings variieren Dauer und Niveau je nach Schulstufe. Eine lernende Person auf einer Hauptschule hat weniger Jahre Politikunterricht als eine auf einem Gymnasium. Doch auch der schützt nicht vor hohen Wahlergebnissen der AfD, zumal auch Björn Höcke in Hessen Geschichte unterrichten durfte. Auch die hessische Landesregierung sieht Handlungsbedarf und nimmt deshalb unter anderem an dem Pilotprojekt „Starke Lehrer – starke Schüler“ teil, bei dem Fortbildungen für Lehrkräfte an beruflichen Schulen angeboten werden.
Aber nicht nur mehr und bessere politische Bildung könnte helfen: Auch die Frage nach der politischen Einbindung Jugendlicher ist noch offen. An sich gebe es mittlerweile mehr Angebote, sagt eine Sprecherin der Servicestelle Jugendbeteiligung, einer Anlaufstelle für junges Engagement und Partizipation in Berlin. „Aber das erhöht nicht den Grad der Beteiligung. Dafür braucht es Verankerungen, rechtliche und psychologische”, sagt sie. Denn viele Angebote würden nicht automatisch zu viel Einbindung führen: „Wenn man sich engagiert, läuft man gegen Wände.“ Zudem gebe es gerade in ländlichen Gebieten noch Aufholbedarf, dort „machen meistens die Kirche oder die Nazis Jugendarbeit, und das nicht nur im Osten.“ Auch die linke Jugend sei zwar laut, sei aber gleichzeitig nicht barrierefrei und oft ausschließend. Dies ist nur eine Meinung, aber dennoch ist die Frage nach Partizipationsmöglichkeiten in der Stadt und im ländlichen Raum ein Thema, zu dem es noch viel Gesprächsbedarf gibt.
Anti-demokratische Tendenzen bei Jugendlichen
Aber ist es mit mehr Einbindung getan? Eine Datenanalyse des progressiven Zentrums zeichnet ein anderes Bild. So finden 29 Prozent der befragten jungen Menschen, die Bundesrepublik sei durch Personen mit Migrationshintergrund in einem gefährlichen Maß überfremdet. An dieser Stelle muss festgehalten werden, so ein Wir-Gegen-Die-Denken darf nicht zu einer pluralistischen Gesellschaft gehören. Eine demokratische Gesellschaft muss inklusiv sein. Eine Ablehnung gegenüber Vielfalt und kulturellem Pluralismus sind entsprechend Zeugnis mangelnder Aufklärung und Vermittlung der Grundwerte in Deutschland. Diese Ansichten bespielt die AfD mit ihrem politischen Programm. Frustration wegen mangelnder Einbindung durch Altparteien oder in der klassischen demokratischen Politiklandschaft ist ein Grund für den Zuspruch der AfD. Ein weiterer ist die mangelnde Bildung und Radikalisierung junger Menschen. Antidemokratische Tendenzen und Denkweisen sind demnach schon in der jugendlichen Gesellschaft verankert und werden weiterhin normalisiert.
Die Wahlerfolge der AfD stehen sinnbildlich für die zunehmende Akzeptanz antidemokratischer Tendenzen. Die Partei bekommt zwar in fast jeder Altersgruppe viel Zuspruch, allerdings lässt sich aufgrund des zunehmenden Zuspruchs unter Jugendlichen eine Prognose für die Zukunft abgeben. Wenn antidemokratische Tendenzen bereits früh verwurzelt sind, gefährden diese die Zukunft der Demokratie. Um die Zukunft demokratischer Parteien zu sichern, fordert Kindler: „Parteien müssen aktiv attraktive Angebote für junge Menschen gestalten, um sie einzubinden.“
Mansoori ergänzt: „Ich glaube, wichtig ist, dass wir uns alle etwas bewusst machen: Die Privilegien dieses liberalen Rechtsstaats, in dem wir leben, sind nicht in Stein gemeißelt.“ Weiterhin appelliert er daher an „Demokratinnen und Demokraten, nicht nur an junge Menschen, sondern an alle“, sie sollen etwas tun und die Betätigungsmöglichkeiten, die es gibt, nutzen.