Tierschutzpartei, Die Partei oder ÖDP – sie alle haben etwas gemeinsam: Sie werden in Wahlumfragen unter „sonstige Parteien“ zusammengefasst und verpassen regelmäßig den Einzug in die Parlamente. Aus welchen Motiven engagieren sich junge Menschen gerade dort? Ein Nachmittag im Wahlkampf mit Adrian Mauson.
„Neue Politiker braucht das Land“ steht in Großbuchstaben auf dem Plakat, das Adrian Mauson von der verschmutzten Straßenkreuzung aufhebt. Er sieht sich als einer von ihnen. Mauson ist Direktkandidat in Halle und Spitzenkandidat auf der Landesliste Sachsen-Anhalt der Kleinpartei MLPD. Statistisch stehen seine Chancen für einen Einzug in den Bundestag allerdings schlecht: Bei der letzten Bundestagswahl holte seine Partei bundesweit nur 0,1% der Stimmen, in Sachsen-Anhalt immerhin 0,2%.
Der 28-jährige DHL-Angestellte klemmt sich das lädierte Plakat kurzerhand unter den Arm und läuft weiter seinem Ziel entgegen.
Früh übt sich, wer ein Spitzenkandidat werden will
Mausons politisches Interesse beginnt 2009: Als Jugendlicher engagiert er sich bei den Bildungsprotesten gegen die Abschaffung des BAföGs und ein Jahr später, nach dem Reaktorunfall von Fukushima, in der Anti-AKW-Bewegung. Auf einer Mai-Demo lernt er schließlich den Jugendverband REBELL der MLPD kennen. „Ich war begeistert von dieser Einheit aus Wort und Tat“, erinnert er sich. Schon wenig später lässt Mauson sich als MLPD-Direktkandidat für den Wahlkreis Mansfelder Land aufstellen, „um ein bisschen mitzubekommen, wie man einen Wahlkampf führt“, erklärt er.
Im Jahr 2021 tritt Mauson als Direktkandidat in Halle und Spitzenkandidat auf der Landesliste Sachsen-Anhalt an. „Ich bin kontaktfreudig und in guter körperlicher Verfassung, was wichtig für die Wahlkampfwochen ist. Mit der Mitarbeit in Gewerkschaft und Vereinen und der Entscheidung selbst Arbeiter zu werden, passe ich gut zum Profil der MLPD“, begründet Mauson seine Entscheidung. Da das Engagement und die Kandidatur viele Seiten seines Privatlebens tangieren, muss alles gut miteinander verknüpft werden, meint der 28-Jährige: „Es gehört zum Beispiel dazu, dass man sich einen Wahlvorbereitungsurlaub nimmt. Dieser ist in den meisten Fällen unbezahlt. Demzufolge muss man ein bisschen planen, dass noch genügend Geld für den Monat zur Verfügung steht.“ Mit seiner Kandidatur geht auch einher, dass er sich verstärkt in die Öffentlichkeit begibt. „Das ist schon eine Hürde, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass dann mal eben die Privatadresse im Internet gelistet wird, da sie ins Amtsblatt kommt.“ Der Wahlkampf konzentriert sich insgesamt auf vier bis sechs Wochen. Neben den inhaltlichen Diskussionen muss auch das Wahlprogramm verabschiedet werden, danach folgt die Plakatierung. Die Kampagne endet schließlich mit einer Wahlfete.
„Taktisch zu wählen ist keine Lösung“
Zur Bundestagswahl 2021 wurden 44 Vereinigungen zugelassen – mehr als je zuvor. Auch die 1982 gegründete linksradikale „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“, kurz MLPD, steht wieder auf dem Wahlzettel. Sie setzt sich für einen „revolutionären Sturz der Diktatur des Monopolkapitals“ ein und wird aufgrund dieser verfassungsfeindlichen Zielsetzung durch den Verfassungsschutz beobachtet. Als Vorbilder orientieren sich die Mitglieder an Kommunisten wie Friedrich Engels, Karl Marx, und Wladimir Iljitsch Lenin, aber auch Mao Tse-tung oder Josef Stalin. Die MLPD konnte noch keine Mandate bei Wahlen auf Bundes- oder Landesebene für sich gewinnen. Bei der Bundestagswahl 2017 lag ihr Anteil der Erst- und Zweitstimmen bei jeweils rund 0,1 Prozent. Erst ab einem Ergebnis von 1,0 Prozent bei Landtagswahlen und 0,5 Prozent bei Bundestags- und Europawahlen erhalten die Parteien allerdings Zuschüsse durch den Staat, die sogenannte staatliche Parteienfinanzierung.
Auf die Frage, weshalb er sich in einer Kleinpartei mit einem verhältnismäßig unbedeutenden Wahlergebnis engagiert, reagiert Mauson ungewohnt heftig: „Diese Sprachregelung ist eine Benachteiligung in der Öffentlichkeit. Sie bewirkt, dass die Parteien, die sich noch nicht etabliert haben, klein gehalten werden. So denken die Menschen bei den Wahlen eher taktisch. Aber taktisch zu wählen ist keine Lösung – Wählen aus Überzeugung ist viel wichtiger. Damit man sich nicht nach dem Wahltag ärgert, dass man eine halbe Sache gemacht hat.“
„Die Jugend ist in den letzten Jahren hellhörig geworden“
Nach der letzten Wegbiegung ist das Ziel erreicht: Adrian Mauson betritt eine pompöse Einkaufsstraße. Ein Mann mit Pferdeschwanz in roter Weste mit aufgedrucktem Parteilogo winkt Mauson zu sich heran. Dieser bahnt sich seinen Weg durch die Menschen zum Parteistand und die beiden Männer begrüßen sich freundschaftlich. Sie teilen einen Stapel mit Wahlprogrammen unter sich auf und Adrian stellt sich mit diesen und einer Unterschriftenliste in die Mitte der vorüberziehenden Passant*innen. Viele Menschen hasten in den ersten Minuten an ihm vorbei, die meisten ignorieren ihn komplett.
Mauson gibt zu, dass es für ihn als sehr jungen Kandidaten teilweise schwierig ist, von älteren Wähler*innen ernst genommen zu werden. „Gerade bei dem hohen Altersdurchschnitt in Deutschland ist das für den ein oder anderen eine Hürde. Gleichzeitig gibt es aber auch betagte Wählende, die es sehr begrüßen und sich wünschen, dass die Jugend wieder politischer wird und Verantwortung für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung übernimmt.“ So eine Tendenz konnte er tatsächlich beobachten, reflektiert Mauson: „Die Jugend ist in den letzten Jahren hellhörig geworden, was politische Inhalte betrifft. Vorrangig bei Themen wie Umwelt oder Antifaschismus gibt es ein großes Mobilisierungspotential, viele Demos werden gerade von Jugendlichen geprägt.“ Allerdings beobachte der 28-Jährige, dass nur wenige der jungen Erwachsenen in direkter Verbindung zu einer politischen Partei handeln. „Auch wenn das keine Notwendigkeit ist, schlägt es sich darin nieder, dass es bei den Wahlen wenig junge Direktkandidat*innen gibt.“
Gerade bei den jungen Wähler*innen gewinnen Kleinparteien jedoch an Bedeutung. So votierten beispielsweise bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 13 Prozent der unter 30-Jährigen für Vereinigungen, die unter „Sonstige“ zusammengefasst werden. Auch in Rheinland-Pfalz gingen zehn Prozent der Stimmen von den 18- bis 29-Jährigen an eben diese Gruppierungen.
Wahlkampf beim „Demokratischen Forum“
Die Nachmittagssonne kommt hinter einer Wolke hervor. In der Luft vermischt sich der Geruch aus der gegenüberliegenden Bäckerei mit dem vom Blumenladen nebenan. Sei es den angenehmen Ausgangsbedingungen oder ehrlichem Interesse geschuldet: Einzelne Menschen bleiben bei Adrian Mauson stehen, hören ihm zu, unterschreiben auf seiner Liste oder nehmen sich ein Wahlprogramm mit nach Hause. In solchen Momenten huscht ein Lächeln über das Gesicht des 28-Jährigen.
Immer mehr Personen mit MLPD-Buttons und roten Westen treffen ein. Sie alle sind für das „Demokratische Forum“ gekommen. Adrian Mauson erklärt: „Die Montagsdemo, die 2004 gegen die Hartz-IV-Gesetze entstanden ist, nutzen wir als moderiertes, demokratisches Forum. Dazu haben wir auch alle Kandidat*innen der anderen Parteien auf antifaschistischer Grundlage eingeladen.“ Obwohl letztendlich keine Person einer anderen Partei diese Möglichkeit wahrnimmt, ist dieser Wahlkampftermin etwas ganz Besonderes für Mauson: „Hier hat man die Möglichkeit, ganz spontan Personen zu erreichen, die sich vielleicht noch nicht so viele Gedanken gemacht haben. Der Querschnitt der Bevölkerung, der hier vorbeigeht, hat ganz direkt die Möglichkeit, Kritik loszuwerden oder Fragen zu stellen.“
Dann ist es so weit: Mauson hält eine kurze Rede und beantwortet beflissentlich die wenigen Fragen, die ihm Moderator oder Plenum stellen. Nach einer knappen Stunde ist die Veranstaltung vorbei. Erschöpft aber glücklich räumen die Akteur*innen ihren Stand auf, rollen die Banner ein und verabschieden sich. Auch Adrian Mauson tritt den Heimweg an. Für heute ist die Anstrengung vorbei. Dass das Engagement von Mauson und seinen Genossen mit dem Einzug in den Bundestag belohnt wird, ist auch bei dieser Wahl sehr unwahrscheinlich. Trotzdem werden sie in den Wochen bis zur Wahl weiterkämpfen.