Lasst Aktionen statt Worte sprechen! Interview mit Stephanie Haury

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) hat das Jugendforum initiiert. Maßgeblich daran beteiligt war Stephanie Haury. politikorange hat sie getroffen und über Pilotprojekte, die Chancen von Jugendlichen in der Stadtentwicklung und sinnlose Gesetze gesprochen.

Stephanie Haury sitzt vor einer Graffiti-besprühten Wand
Stephanie Haury, 41 Jahre alt, wohnt in Bonn und arbeitet im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Dort befasst sie sich in der Forschung mit Jugendlichen und Stadtentwicklung. Freiraumforscherin wäre eine passende Bezeichnung, meint sie, obwohl sie sich selbst nicht so nennen würde. Foto: Dustin Sattler.

Warum sind Freiräume für eine Stadt und die Stadtbewohner so wichtig? Welche Funktion erfüllen sie, insbesondere für Jugendliche?

In erster Linie sind Freiräume Treffpunkte und Flächen zum Austausch. Für Jugendliche sind Freiräume auch Orte der Präsentation, um soziale Rollen zu erproben und auch um mit Erwachsenen zusammenzutreffen. Sie brauchen auch einen Raum, um sich zurückzuziehen, aber auch mal laut zu sein. Durch die gesellschaftliche Mischung müssen Freiräume immer wieder ausgehandelt werden, da kann kein Stadtplaner eine Nutzung festlegen. Letztendlich entscheiden die Anwohner wie sie den Freiraum nutzen.

Welche Möglichkeiten haben Jugendliche, sich Brachflächen oder öffentliche Plätze anzueignen?

Es gibt auf jeden Fall viele Projekte in denen sich Jugendliche zusammen finden, die ein gemeinsames Interesse, wie zum Beispiel eine Sportart, haben. Diese Gruppe eignet sich dann eine Freifläche an und nutzt diese. Das nennt sich das bottom-up Prinzip. Im top-down Ansatz stellt die Stadt eine Fläche zur Verfügung. Für diese Fläche können Jugendliche ihre Ideen zur Nutzung der Fläche vorstellen und letztendlich bekommt eine Gruppe die Fläche zur Verfügung gestellt. Generell wünsche ich mir aber, dass sich Jugendliche mehr in der Stadtentwicklung engagieren. Natürlich ist das auch mit einem großen Zeitaufwand verbunden. Durch zum Beispiel Leitfäden oder Praxisbeispiele versuchen wir Jugendlichen die Möglichkeiten aufzuzeigen.

Ideen und Wünsche zur Nutzung von Flächen gibt es viele, oft scheitern diese aber an den bürokratischen Hürden. Was kann das BMUB tun, um die Partizipation den Jugendlichen zu erleichtern?

Generell kann das BMUB wegen des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes wenig Konkretes in den Kommunen anstoßen. Wir probieren aber, über Beispiele anhand von Pilotprojekten und mit Hilfe einer Fibel, Jugendliche über ihre Rechte und die Möglichkeiten zu informieren. Der Abstand zwischen dem Bundesministerium und den Jugendlichen ist allerdings unglaublich groß. Deswegen muss es vor Ort Anlaufstellen für Jugendliche geben.

Welche Chancen und Potenziale sieht das BMUB in der Beteiligung von Jugendlichen in der Stadtentwicklung?

Wenn Räume für Jugendliche entworfen werden, sollten auch Jugendliche gefragt werden, wie diese Räume aussehen könnten. Indem man die Jugendlichen von heute in die Stadtentwicklung mit einbindet, sensibilisiert man die Erwachsenen von Morgen für stadtpolitische Themen. Wir Stadtplaner mussten lernen, dass Stadt ohne bürgerliche Beteiligung nicht funktioniert. Stadtplaner haben nur einen begrenzten Einfluss. Es sind die Projekte der Bürger, die Städte erst richtig lebendig machen. Indem wir Jugendliche dafür begeistern, erhoffen wir uns eine gewisse Nachhaltigkeit.

Über Jugendliche im öffentlichen Raum wird nicht nur wohlwollend gesprochen. Es gibt häufig Konflikte rund um Lärm, Alkoholkonsum und Müll. Wie lassen sich diese Probleme vermeiden oder lösen?

Konflikte mit Lärm gibt es immer, in jeder Nachbarschaft, bei jedem Fest. Das ist kein spezifisches Problem der Jugendlichen. Solche Konflikte sind in einer Stadt ganz normal und lassen sich nicht vermeiden, die kommen schon durch die Vielfalt der Bewohner. Ich finde bei diesen Themen muss man offen und tolerant aufeinander zugehen, Kommunikation ist das wichtigste. Die Stadt und auch Nachbarn müssen es dulden, wenn ab und an ein Konzert stattfindet, aber auch wenn ein Straßenfest gefeiert wird. Dafür sollte es zu anderen Zeiten auch leise sein.

Einige Projekte, wie Besetzungen von Freiflächen, entschließen sich bewusst dazu, nicht den Weg über die Behörden zu nehmen. Sie befürchten, dass ihr Projekt sowieso nicht genehmigt wird. Ist das ein Mittel um auf die Probleme von Freiflächen aufmerksam zu machen?

Veränderungen kommen durch Experimente. Entwicklung heißt auch, etwas anders zu machen und Grenzen zu überschreiten. Deshalb ist es manchmal sinnvoll, Dinge außerhalb von Regularien umzusetzen und Gesetze zu hinterfragen. Wenn eine Bank einfach ohne Genehmigung auf einen Fußgängerweg gebaut wird und alle sie nutzen, dann sollte die Verwaltung überlegen, Gesetze anzupassen. Ich finde im kleinen und kreativ umgesetzten Rahmen ist es wichtig, sich zu überlegen, wie Ausnahmen ausgehandelt werden können. Das ist ein wichtiger Prozess, um Städte zu verändern. Wenn niemand etwas ausprobiert, weiß der Gesetzgeber auch nicht, was möglich ist. Aktionen haben außerdem auch eine viel größere Wirkung als ein Brief.

Nach dem Workshopwochenende wir das Konzeptpapier der Jugendlichen überreicht und im Ministerium diskutiert. Was wurde von den letzten Jahren bereits umgesetzt, wie ernst nimmt das Ministerium die Meinung der Jugendlichen?

Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Forschungsprojekte umgesetzt. Dadurch ist im Ministerium eine ganz neue Sichtweise auf das Thema Jugendliche und Stadt entstanden, das ist momentan ein sehr wichtiges Thema. Bei der letzten Baugesetzbuchänderung wurde aufgenommen, dass Kinder und Jugendliche explizit an der Stadtentwicklung zu beteiligen sind. Jetzt kann sich keine Kommune mehr dagegen wehren. Dass diese Themen permanent auf der Agenda des Ministeriums stehen, dazu hat sicherlich auch das Jugendforum beigetragen. Auf Anregung des letzten Jugendforums schreiben wir jetzt ein Projekt aus, bei dem eine Rechtefibel für Jugendprojekte entstehen soll. Ich denke, es ist wichtig, dass das Ministerium sich bei neuen Projekten von Jugendlichen beraten lässt und deren Handlungsempfehlungen mit einfließen.

 

5 Fragen an Stephanie Haury

Redakteurin Mona und Stephanie Haury sitzen an einem Tisch für ein Interview
Freiraumforscherin Stephanie Haury steht uns Rede und Antwort. Foto: Dustin Sattler.

Wo hast du früher mit Freunden in der Stadt/dem Dorf abgehangen?

Wir waren richtige Landeier und saßen in der Natur auf Baumhäusern.

Was ist dein Freiraum?

Mein Freiraum ist der Raum, den ich mir selbst nehme.

Was machst du damit, wenn man dir 10 qm Rasen schenkt?

Schafe ansiedeln.

Was inspiriert dich?

Mich inspirieren unsere Jugendprojekte und die engagierten Menschen, die ich in den letzten Jahren kennen gelernt habe.

Welche Frage hätten wir dir noch stellen sollen?

Warum sich das Bundesbauministerium überhaupt für Jugendliche interessiert.

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