Im Ausland die Welt verändern?

Leben

Workcamps, darunter kann sich gerade unsere Generation sehr wenig vorstellen. Ist das jetzt einfach Urlaub mit etwas mehr Aufwand oder doch ein 30 Stunden Job im Ausland? Ich, politikjam (nun politikorange) Redakteurin Lena, habe in den Ferien an einem Workcamp in Tschechien teilgenommen und berichte von meinen Erfahrungen.

Foto: Lena Brenken.

Für den Abschlussjahrgang 2023 starten schon jetzt die Vorbereitungen auf das weitere Leben. Studium, Ausbildung oder doch ein Jahr Freiwilligendienst? Das Letztere scheint gerade in meinem Umfeld immer beliebter zu werden und diesen Eindruck habe nicht nur ich. Mehr als 80.000 Menschen absolvieren deutschlandweit nach der Schule ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr. Ich finde soziales Engagement auch essenziell für die Gesellschaft und Auslandserfahrungen mache ich auch gerne, doch nach der Schule will ich eigentlich sofort studieren, daher bin ich hier fündig geworden: kurze Workcamps im Ausland. Doch sind diese überhaupt sinnvoll für die Gesellschaft oder doch eher persönliche Auslandserfahrungen? Kann ich in ein paar Wochen wirklich etwas bewegen? Und sind solche Kurzaufenthalte am Ende doch mehr Urlaub als Arbeit?

Wie habe ich mein Camp gefunden?

Nach einer kurzen Suche auf Portalen wie rausvonzuhaus.de bin ich schon fündig geworden, denn kurze Freiwilligendienste werden in fast jedem Land angeboten. Natürlich sind die Camps in Südostasien oder Amerika sehr verlockend, doch auch wahnsinnig teuer. Ich werde stutzig, teilweise kosten diese Camps mehr als ein durchschnittlicher Urlaub im Inland, Anreise muss ich nämlich selber bezahlen, plus eine Gebühr vor Ort und die Vermittlungsgebühr meiner Organisation IGB. Workcamps bucht man nämlich nicht über eine normale Reisevermittlung – sie sind Jugendaustauschprogramme, die in der Regel weniger kosten als eine Jugendreise, da man hier eine gemeinschaftsfördernde Arbeit im sozialen oder ökologischen Bereich ausübt. Ebenso werden diese Programme auch von vielen Vereinen gefördert, da sie dem interkulturellen Austausch dienen und Eigenschaften wie Toleranz und Eigeninitiative fördern. Am Ende bewerbe ich mich in Frankreich und Tschechien und bekomme im letzteren Land tatsächlich eine Zusage. Im Juli geht es also für mich etwas mehr als eine Woche nach Tschechien, Anreise per Bahn ist hier am umweltfreundlichsten und auch aus Norddeutschland vergleichsweise schnell. Manche meiner Freunde verstehen meinen Enthusiasmus über das bevorstehende Projekt jedoch nicht: „Lena, bezahlst du also, um in den Ferien arbeiten zu dürfen?“. Sie haben einen aus ihrer Sicht berechtigten Einwand, meine Freude bleibt jedoch trotzdem groß, es geht hier ja schließlich auch um das Gemeinwohl und nicht ausschließlich um einen günstigen Urlaub. So denken auch viele Menschen, die ein Workcamp besucht haben, die Zugangsstudie zum internationalen Jugendaustauch zeigt, dass es nicht einen einzelnen ausschlaggebenden Grund gibt, sondern dass die meisten Menschen aufgrund von vielen Faktoren wie Spaß, neue Erfahrungen, andere Kultur kennenlernen etc. mitmachen.

Bei der Arbeit. Foto: Lena Brenken.

Anreise und der erste Tag

Die Anreise verlief außer der obligatorischen Verspätung der Deutschen Bahn überraschend gut, ich hatte aber auch schon etwas mehr Zeit eingeplant. Nach einem Zwischenstopp in Prag geht es nach Mělník, eine Kleinstadt, circa eine Stunde von Prag entfernt. In dieser treffe ich auf meine Gruppe, die ich vorher einmal per Zoom kennenlernen durfte. Ich bin zwar nicht die jüngste, aber mit 17 Jahren komme ich nicht gegen ein paar 30-Jährige an. Workcamps sind für junge Menschen konzipiert, aber bei vielen gibt es keine klare Altersgrenze. Wichtig ist nur, dass die teilnehmende Person sich körperlich zu den Aufgaben vor Ort in der Lage fühlt und eine aufgeschlossene Haltung hat. Diese kommen aus verschiedenen europäischen Ländern und machen mit, da sie günstig reisen wollen, ihren Lebenslauf aufbessern oder sich einfach engagieren wollen. Meist ist es eine Mischung aus allem. Nach der gemeinsamen Busfahrt in das Dorf Vysoka und das Auspacken im Gruppenschlafsaal für alle weiblichen Personen geht auch schon das Abendessen und die Einweisung los. Wir sind 10 Helfer*innen inklusive unserer zwei Campleader, die für unsere tschechische Organisation arbeiten. Wir selber haben zwei freie und fünf Arbeitstage, sowie einen An- und Abreisetag, es ist sozusagen eine normale Arbeitswoche. Die Aufgaben sind körperlich ausdauernde wie zum Beispiel das Abreißen einer Steintreppe oder Gartenarbeit. Obwohl wir auf keinem voll funktionsfähigen Bauernhof wohnen, sind ein paar Beete noch vorhanden. Es gibt daher auch die Möglichkeit, diese instand zu halten, ebenso können Stühle bemalt werden und zu den Mahlzeiten muss auch für die gesamte Gruppe gekocht werden. Diese vielfältigen Aufgaben sind der Tatsache geschuldet, dass unser Gastgeber sich 2014 einen alten Bauernhof gekauft hat und diesen in ein Kunstzentrum umfunktioniert hat. Es werden zum Beispiel in der alten Scheune Fotos ausgestellt und im alten Stall befindet sich eine Musikbühne mit Equipment. Einige Gebäude müssen jedoch noch umgebaut werden, um für die Kunstprojekte genutzt werden zu können. Da Vysoka ein sehr kleines Dorf ist, gibt es dort außerhalb der Schule keine Räume für Kunst und Kreativität, weswegen das Farmstudio dem Dorf und den anliegenden Dörfern einen wichtigen Raum bietet. In der Hauptstadt Prag und in größeren Städten Tschechien sind Theater, Konzerthäuser und Museen keine Seltenheit, auf dem Land fehlt es aber noch an solchen Angeboten. Allgemein klingen die Tage sehr anstrengend, ich freue mich jedoch trotzdem.

Die Stelle wo mal die Treppe stand. Foto: Lena Brenken.

Zeit im Camp

Im Camp habe ich viel Neues gelernt und bin an meine körperlichen wie auch geistigen Grenzen gekommen. Ich bin zwar gerne draußen, doch bei über 30 Grad Steine in eine Grube werfen ist gewöhnungsbedürftig. Mit vielen Menschen 24/7 aufeinander zu hocken und kaum Zeit alleine zu verbringen war mir teilweise zu viel, so nett die Leute auch waren. Die neuen Erfahrungen haben mir aber trotzdem viel gebracht, an meine Grenzen zu kommen war eine Erwartung an das Workcamp, die ich schon im Vorfeld hatte. Nicht nur deshalb war das Workcamp ein voller Erfolg. Unsere Gruppe hat es in einer Woche geschafft, eine Steintreppe abzureißen, viele Stühle zu bemalen, Gartenarbeiten zu erledigen und dabei auch sicher nicht zu verhungern. In der Freizeit waren wir viel im Pub (der einzige des Dorfes) und haben versucht einige Wörter Tschechisch mit den Anwohnenden zu sprechen. Es war zwar nicht viel, aber das Gefühl dazuzugehören kam trotzdem in diesen Momenten auf. Ebenso haben wir einen Fotografie- und einen Work-Experience Workshop besucht und vor allem viel geredet über die unterschiedlichen Kulturen in unserer kleinen Gruppe. Es gab am Anfang einen kulturellen Abend, an dem wir spanischen Kuchen und türkisches Marzipan probieren durften. Auch bei den vielen Privatgesprächen habe ich z.B. etwas über den Alltag eines Politikstudenten in der Türkei oder das französische Schulsystem lernen dürfen. Der Wanderausflug und der Tag in der nahegelegenen Kleinstadt Melnik haben mir auch die Seiten von Tschechien gezeigt, die man als Tourist*in in Prag oder anderen großen Städten nicht gesehen hätte. Denn dort konnten wir das dörfliche Leben und die Gewohnheiten des Landes abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten und Urlaubsziele erleben. Am Ende der Woche waren alle sehr müde und der Abschied fiel trotzdem schwer.

Tschechische Natur. Foto: Lena Brenken.

Fazit

Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich ein Workcamp sehr empfehlen, um die Menschen und Gegebenheiten in einem Land noch intensiver und vor allem günstiger kennenzulernen. Ein Urlaub ist es trotzdem aufgrund der Arbeit nicht ganz, und das muss man sich auch von vornherein bewusstmachen. Eine aufgeschlossene Einstellung haben, um das Erlebnis genießen zu können, ist nicht nur von Vorteil, sondern unbedingt erforderlich. Die Zugangsstudie hat damals ergeben, dass 63% aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen potenziell Interesse an einem Workcamp haben könnten. Falls du nach diesem Artikel Interesse bekommen hast, kann ich die Reise nur empfehlen, denn in meinem Workcamp hatte ich das Gefühl, etwas vor Ort bewegen zu können, die Welt verändert hat es wohl nicht, mich als Person dafür jedoch sehr, Grund dafür waren die vielen internationalen Begegnungen und neuen Erfahrungen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.