politikorange-Redakteurin Marie-Theres Böhmann besuchte am Freitagabend zum ersten Mal eine Critical Mass-Veranstaltung. Sie erzählt von ihren schockierenden Erfahrungen und fragt sich, wo überhaupt der Sinn der Aktion ist.
Es heißt ja, dass man unvoreingenommen an neue Dinge gehen soll – das klappt bei mir nicht immer. Doch heute, am Freitagabend, will ich mich einmal ganz auf die neue Sache einlassen und radle ohne jegliche Vorahnung zur Critical Mass Berlin. Zuvor habe ich noch nie etwas von Critical Mass gehört, auf der Internetseite der Aktion steht „Fahrradfahrer fahren unter Einhaltung aller Verkehrsregeln gemeinsam durch die Stadt.“ So stehe ich am Freitag um 20 Uhr am Mariannenplatz in Berlin und warte mit knapp 3.000 anderen Fahrradfahrenden darauf, endlich in die Pedalen treten zu können.
Verzweifelte Blicke aus dem Bus
Als es losgeht, erwarte ich ein entspanntes, gemeinsames Fahrradfahren durch die Stadt. Doch schon an der ersten Kreuzung wird mir der Sinn – oder auch Unsinn – der Aktion immer bewusster. Zwei Busse, voll besetzt, stehen an der Kreuzung und kommen nicht weiter. Irgendwie habe ich schon Mitleid mit dem armen Busfahrer und seinen Fahrgästen, die eigentlich nur schnell ihr Ziel erreichen wollen und jetzt durch uns dort feststecken. Schon jetzt fange ich an, die Aktion in Frage zu stellen. Klar, verstehe ich, dass Berlin für Radfahrende kein Paradies ist. Doch macht es wirklich Sinn den ÖPNV der Stadt lahm zu legen, um darauf aufmerksam zu machen?
Ausweichmanöver des Krankenwagens
Das Engelchen auf meiner Schulter erinnert mich an mein Mantra für den Abend: Unvoreingenommen an die Sache herangehen und sich auf das Geschehen einlassen!
Also radle ich weiter. Quer durch Berlin. Über die Köpenicker Straße, vorbei an der Oberbaumbrücke und über die Kreuzung an der Friedrichstraße. Irgendwie ist es ja auch ganz schön, mit so vielen Menschen Rad zu fahren und es ist auch ein gutes Gefühl, mal die stärkste Gruppe im Verkehr zu sein.
Doch spätestens als ich hinter mir das Martinshorn höre und das Blaulicht sehe, zweifle ich vollständig an der ganzen Veranstaltung. Der Krankenwagen muss mitten auf der Kreuzung wenden und fährt in den Gegenverkehr. Eine Gefährdung des Verkehrs – das kann doch nicht Ziel der Veranstaltung sein! Wie schrecklich muss es für die Krankenwagenfahrerin sein, die eine schwerverletzte Person im Wagen hat und eine blockierte Straße vor sich sieht? Was, wenn der Krankenwagen auf der Gegenfahrbahn einen Unfall baut? Ziel von Critical Mass sei es angeblich, nicht die Straßen zu verstopfen, sondern sich lediglich für eine Weile in den Verkehr einzumischen, heißt es auf der Webseite der Veranstaltung. Aber legt Critical Mass den Verkehr in diesem Moment nicht lahm?
Und dann: Ein Unfall…
Aber ich gebe der Aktion eine letzte Chance – also weiter geht’s. Das Tempo der Gruppe wird schneller und immer öfter überholen mich Rennradfahrende. Auch ich liebe schnelles Fahrradfahren – in so einer großen Gruppe finde ich es aber verantwortungslos. So kommt es, wie es kommen muss: Ein Fahrradunfall. Der verletzte Radfahrer bleibt zwischen den verhakten Rädern bewegungslos auf dem Boden liegen. Ich sehe noch, wie sich seine Freunde um ihn versammeln, aber Stehenbleiben ist für mich in der Masse undenkbar.
Kann mir bitte jetzt noch einmal jemand erklären, warum Critical Mass wirklich wichtig ist? Worin besteht der Sinn, wenn Einsatzfahrzeuge nicht den schnellsten Weg wählen können, unnötige Unfälle passieren und der öffentliche Nahverkehr blockiert wird? Fahrradfahrer haben natürlich ein Recht darauf, ebenfalls die Straßen zu benutzen, aber diese Art der mutwilligen Blockade des Verkehrs ist für mich unsinnig. Meine positive und unvoreingenommene Meinung von Critical Mass ist auf jeden Fall dahin. In Zukunft nehme ich lieber mein Rad und fahre wieder alleine durch die Stadt – mit Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmenden.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hi Marie,
ich komme aus Hamburg und fahre jetzt seit einem halben Jahr bei Critical Mass mit. Ich finde deine Artikel sehr interessant, weil es in Hamburg genau andersherum ist. Bei Unfällen hilft die Masse, Rettungswagen, Polizei etc. haben höchste Priorität! Mich würde interessieren ob bei euch auf die Polizei mitgefahren ist. Außerdem ist Critical Mass ja nichts neues. Die Leute dürften inzwischen wissen das immer am letzten Freitag im Monat der Verkehr zum erliegen kommen. Die könnten doch Fahrradfahren! ;D
Viele grüße,
Tom
Es ist wohl beim Versuch der Unvoreingenommenheit geblieben….
Und Sie haben tatsächlich unter tausend guten, einige wenige Begleiterscheinungen gefunden.
Jeder Berliner Bus steht tausendmal im Stau, jeder Krankenwagenfahrer wird auf entgegengesetzten Verkehr geschult, weil er das in jeder Rushhour nutzen muss und Verkehrsunfälle mit Radlern gibt es auch täglich mehrmals, weil Autofahrer sie nicht (be-) achten.
Und wenn Spaß für Sie kein Sinn einer Veranstaltung ist, sollten Sie das Schreiben für die Allgemeinheit einmal überdenken.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit Ralf
Ich war am Freitag auch das erste Mal bei der CM in Berlin. Allerdings habe ich doch einen positiven Blick auf die CM B. Unfälle gibt es täglich im Straßenverkehr. Wenn sich zwei Räder in einander verhaken gibt es selten schwer Verletzte. Im urbanen Verkehr stehen oftmals die Autos in zweiter Reihe oder verstopfen Kreuzungen. Gaffer tun ihr Übriges. Aber hier liegt auch schon mal das Problem. Wenn einmal im Monat eine Critical Mass durch den Freitag Abend rollt pöbeln die Autofahrer bzw. diejenigen Mitmenschen. Warum kann man als Radfahrer auch mal im Stau stehen? Im Gegensatz zur motorisierten Masse haben die Radfahrer auch Spaß dabei. Musik auf der Straße gibt es obendrein. Also habt Spaß im Straßenverkehr und beteiligt Euch bei der nächsten CM.
Bei diesem Beitrag frage ich mich schon in welcher Welt die Reedakteurin eigentlich lebt. Glaubt Sie etwa das der ÖPNV immer freie Fahrt hat wenn keine Radfahrer die Straße „blockieren“. Vom Krankenwagen ganz zu schweigen, denn dann hat Sie noch nie im täglichen Verkehr beobachtet das diese Manöver häufig in Berlin zu sehen sind, da die meisten Autofahrer mit der Bildung einer Rettungsgasse überfordert sind.
Schlimm ist am ganzen Beitrag eigentlich aber die Stimmungsmache gegen Menschen welche zum Ziel ein lebenswerteres Berlin haben und dies wird mit dem immer weiter ausufernden Neubau von Autobahnen und Straßen für den motorisierten Verkehr niemals erreichbar sein. Ein Grund mehr für die allgemeine Politikverdrossenheit in unserem Kand und unserer Stadt.
Mit freundlichen „Fahrradfahrenden“ Grüßen
Leider bin auch ich heute „Opfer“ der Critical Mass geworden. Ich fahre in Berlin Straßenbahn. Und ja, Autos, Busse und auch Straßenbahnen stehen nunmals leider Gottes mehrmals täglich im Stau. Dennoch hält man sich (bei Autos leider viel zu öft nicht) an rote Ampeln. Aber es kommt 20-30 Minuten lang zu einem völligen erliegen des ÖPNV im betroffenen Bereich. Das kann es nicht sein. Natürlich nutzen die Teilnehmer nur ihr Recht an der Teilnahme am Straßenverkehr. Dazu gehören aber auch Regeln. an Roten Ampel zu halten, ist nur eine dieser Regeln. Aber auch dies wird vollkommen ignoriert. Die Critical Mass ist nur eine Massenansammlung von sich nicht an Verkehrsregeln haltenen Fahrradfahrern. Tut mir leid, wenn ich damit jemden Verletzt haben sollte. Aber das ist meine Meinung dazu. Nach einem 9 h Dienst in einer Straßenbahn auf der Linie M10 (die weiß Gott kein Zuckerschlecken ist) möchte man einfach nur noch Feierabend haben. Aber nein… Da kommen tausende Radfahrer… die nichtmal 5 Sekunden lang eine Tram aus der Schleife fahren lassen können… Es ist einfach Rücksichtslos. Würde mich mal interessieren was Radfahrer davon halten würden wenn Trams einfach mal für 30 Minuten einen großteil der Kreuzungen zu machen würden. Sodass kein Radfaherer mehr durch kommt. Aber dann ist die BVG ganz böse… Was bilden die sich nur ein…