Der Zustrom an Flüchtlingen fordert Veränderungen in der Stadtentwicklungspolitik. Jens-Holger Kirchner, grüner Stadtrat für Stadtentwicklung im Rathaus Pankow, erklärt im Interview mit politikorange, wie er Ghettos vermeiden will und wie die Berliner das Systemversagen der Politik auffangen.
Wie viele Turnhallen haben Sie in Pankow noch, in denen sie Flüchtlinge unterbringen können?
An sich sind das noch eine ganze Menge, aber eigentlich wollen wir das nicht. Der Bezirk Pankow hat dem LAGeSo auch angeboten, andere Liegenschaften zu verwenden, die aus unserer Sicht deutlich besser geeignet wären. Ein halbes Jahr in einer Turnhalle ist eine Zumutung. Aber die Senatsverwaltung, als auch der Krisenstab, als auch das LAGeSo bevorzugen offenbar Turnhallen.
Welche Maßnahmen haben Sie denn schon getroffen, um auch langfristig Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen?
Man müsste eigentlich sagen: langfristig Wohnraum schaffen. Es geht ja nicht bloß um die Flüchtlinge. Das ist nur eine zusätzliche Herausforderung. In der ganzen Metropolregion Berlin-Brandenburg gibt es schließlich Wohnungsknappheit. Wir arbeiten in Pankow auf Hochtouren an der Realisierung großer Bauvorhaben mit Wohnungsbaugesellschaften. Aber, ich will das jetzt auch gar nicht separat betrachten, weil Wohnungen für Flüchtlinge, Wohnungen für alle – wo soll man da trennen? Der Druck ist bloß höher. Eine Obdachlosenunterkunft zu schließen und da Flüchtlinge rein zu packen, ist der falsche Weg.
Haben Sie das mal erlebt?
Es ist mal vorgesehen gewesen, also so nach dem Motto: Die Obdachlosen müssen dann halt sehen, wo sie bleiben. Kann ich alles als Reflex verstehen, wenn man weiß: Da kommt schon der nächste Zug! Oder die nächsten zwanzig Busse! Wir müssen einfach aufpassen, dass die Politik da keine Schieflage kriegt.
In der Elisabeth-Aue sollen bald 3.000 Wohnungen auf der grünen Wiese entstehen. Dagegen gibt es eine Bürgerinitiative, die den Landschaftsschutz gefährdet sieht. Können Sie das gerade angesichts der Wohnungsknappheit nachvollziehen?
Ich kann das nur bedingt nachvollziehen. In einem demokratischen Gemeinwesen ist es natürlich wichtig, dass alle zu Wort kommen dürfen und auch zu Wort kommen. Ich kann auch nachvollziehen, dass die Elisabeth-Aue als Hort der ökologischen Landwirtschaft und des Naturraums gesehen wird. Da ist auch was dran. Gleichzeitig bedarf es in dieser Stadt an Flächen für Wohnungsneubau. Nicht nur in der Innenstadt, sondern auch draußen. Ich glaube aber, dass Flächen wie die Elisabeth-Aue bebaut werden. Zwangsläufig. Wo, wenn nicht dort? Die Stadt wächst und irgendwohin muss sie ja hin wachsen. Und da geht es ja eher darum, wie sie wächst. Und ich bin davon überzeugt, dass man beides verbinden kann, Grün und Wohnen.
In Hamburg wird in Neugraben-Fischbek gerade ein neuer Stadtteil für 3.500 Flüchtlinge geplant. Ist das eine gute Idee?
Nee, überhaupt nicht. In der Not ist das vielleicht gut. Das ist ja auch ein Akt der Humanität. Aber moderne Stadtentwicklung sieht ja eben genau so eine Sortierung in Bevölkerungsgruppen nicht vor. Und stellen Sie sich das mal vor: 3.500 Flüchtlinge auf einem Haufen. Unser Ansatz ist ja eigentlich, wir müssen einfach viele Wohnungen für alle bauen. Meine Idee von Stadt ist ja immer noch die bunte Mischung – so wie viele ja auch von Berlin schwärmen. Warum soll es uns nicht gelingen, dieses Prinzip fortzuführen?
Und haben Sie da spezielle Konzepte oder sagen Sie einfach, wir bauen so viele Wohnungen wie geht und dann wird sich das darüber regeln?
Nee, das wird sich ja nicht über die Masse regeln, sondern darüber, wer da baut. Und wenn Sie eben ein großes Areal bebauen: Wenn Sie dort Wohnungsbaugesellschaften, -genossenschaften, aber auch Private bauen lassen, dann entsteht schon durch die Bauherren eine Mischung. Wenn Sie viele kleine Wohnungen bauen, haben Sie eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, genauso, wie wenn Sie nur große Wohnungen bauen. Über die Wohnungsgrößen und somit auch über die Wohnpreise kann man die Mischung steuern. Wenn Sie nur geförderten Wohnungsbau machen, dann entsteht keine Mischung, sondern dann haben Sie wieder nur eine Monokultur, die nicht Stadt ist. Sondern Ghetto.
Ist die Bevölkerung in Pankow bereit für die starken Veränderungen, die durch die Migration ausgelöst werden?
Ich staune immer wieder, wie ungern der gemeine Berliner Veränderungen annimmt. Da geht es aber nicht bloß um Migration oder so. Schon wenn Sie Parkplätze wegnehmen wollen, faucht der gemeine Pankower sofort. Und wenn dann auch noch vor der eigenen Haustür gebaut wird, umso mehr. Doch wir erfahren beim Systemversagen in der Flüchtlingsunterbringung, wie großherzig, offen und freundlich die Berliner sind. Wie lange das Verständnis noch trägt, weiß ich nicht. Wir merken, dass es da überall im Hintergrund grummelt, grummelt, grummelt. Doch die Bereitschaft ist glaube ich sehr groß. Ich meine, wir haben hier in Berlin nicht diese Riesendemos. Bergida, wer ist das? Das macht die NPD, das sind so ein paar Hansel. Wie die Berliner sagen: Wir helfen! Egal wo die herkommen, egal wie die aussehen, egal was die hier wollen. Da kann einem ja fast warm ums Herz werden. Die helfen erstmal – auch wenn die Klopse da oben in der Senatsverwaltung, im LAGeSo das nicht hinkriegen: Da ist eine Welle der Solidarität.