Die CDU erzielt in Thüringen ein starkes Ergebnis. Doch richtige Feierstimmung kommt bei der Wahlparty nicht auf. Kein Wunder: Jetzt dürfte es erst so richtig anstrengend werden.
Die Menschen klatschen wie beim Countdown eines Boxkampfs, dazu dröhnt Einlaufmusik aus den Lautsprechern. Mario Voigt, CDU-Spitzenkandidat in Erfurt läuft ein, schüttelt ein paar Hände und tritt auf die Bühne – ohne gegnerischen Kämpfer. Der befindet sich aus Sicht Voigts woanders und hat sich zudem multipliziert: Zum einen, nur wenige Kilometer Luftlinie, entfernt der Faschist und eindeutige Wahlgewinner Björn Höcke. Ein paar Kilometer weiter, Berlin, die Ampelregierung. Und dann sind da auch noch zwei Kameramänner. Doch von Anfang an.
Eine knappe Viertelstunde vorher erweitert ein freundlicher Herr von der CDU die Absperrung für die Presse. Die Fotografinnen und Fotografen standen ungünstig, man will ja um Punkt 18 Uhr, also zur Bekanntgabe der ersten Wahlprognosen, gute Bilder produzieren. Jubel. Freude. Doch das ist gar nicht so einfach, denn die Vorzeichen sind, nun ja, wechselhaft. Die AfD stark wie nie. Von der errungenen Sperrminorität wird die Partei Gebrauch machen. Ohne Höckes Gnaden wird es fortan häufiger nicht gehen. Die AfD etabliert sich bei den Wählerinnen und Wählern. Die AfD eine reine Protestpartei? Das war mal. Und irgendwie passt es, dass der Veranstaltungsort im letzten Jahrhundert erst eine Gewehrfabrik war, dann ein Heizwerk. Später produzierte man hier Schreibmaschinen und mittlerweile lässt sich die „Zentralheize“ als hippe Eventlocation mieten, hohe Decken und Industrial Look inklusive. Alles etwas wechselhaft und diffus, wie auch der gesamte Wahlkampf.
Da waren beispielsweise die Themen: Allem voran die Migration, Krieg und Frieden in der Ukraine bestimmten den Wahlkampf, garniert mit einer mehrfachen Portion an Ampel-Unzufriedenheit. Blöd, dass die bisherige wie auch künftige Landesregierungen darauf nur mäßig Einfluss hat. Und es ist ja nicht so, als ob das nicht schon ausreichend komplizierte Themen seien. Verkürzt wurde trotzdem ordentlich: „Rechnen statt Gendern“ las man auf BSW-Wahlplakaten von einer Politikerin, die in Thüringen gar nicht zur Wahl steht, ein mehr als dünnes Wahlprogramm präsentiert und kaum über Inhalte reden mochte, vor wenigen Wochen noch gar nicht existierte, aber durch ihren Namen und Gesicht trotzdem zum Machtfaktor werden dürfte. Und es ging ja noch weiter: Der bis dato amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow, beliebt wie kein anderer, doch in einer Partei im bemitleidenswerten Zustand, wurde abgewählt. Die Widersprüche waren also zahlreich bei dieser Wahl.
Springt die CDU lieber ins Ungewisse als über den eigenen Schatten?
Mario Voigt jedenfalls, mittlerweile auf dem Weg zur Wahlparty seiner Partei, der CDU, muss gleich irgendwie erklären, dass man mit der stärksten Partei nicht koalieren will. Zu extrem. Dass das in den letzten Wochen und Monaten nicht alle in seiner Partei so sahen, vor allem auf kommunaler Ebene, das erwähnt er natürlich nicht. Der, nach seiner CDU, drittstärksten Kraft, dem BSW, hatte sein Vorgesetzter, CDU-Chef Friedrich Merz, eigentlich links- wie rechtsextremistische Züge vorgeworfen. Voigt will trotzdem mit dem Protest-Startup sprechen, den Spagat wagen. Und mit der viel demokratischeren Linkspartei hat die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss formuliert. Also lieber ins Ungewisse springen als über den eigenen Schatten? Für Interviews steht der Spitzenkandidat leider nicht zur Verfügung. Bleibt noch die SPD, der Voigt seinen Respekt ausspricht. Doch selbst als Dreierbündnis zwischen CDU, BSW und SPD wäre eine Mehrheit im Landtag nicht sicher. Von den inhaltlichen Klüften mal ganz zu schweigen. Und vom Rand winkt Björn Höcke freundlich, streckt in späteren Interviews seine Hand aus, spricht schelmisch von einer gescheiterten Brandmauer-Strategie.
Mario Voigt jedenfalls steht nun auf der Bühne und bedankt sich bei seinen Wahlkämpferinnen und -kämpfern, lässt sich bejubeln. Er sieht sich und seine CDU als die „stärkste Kraft der politischen Mitte“, auch wenn seine Mimik und Gestik nicht ganz so euphorisch dabei sind. Was die beiden Kameramänner im Pressebereich ein wenig verzweifelt wirken lässt, bis zum Schluss Mario Voigt es tatsächlich wagt, beide Daumen in die Höhe zu strecken. Klick, klick, klick. „Na, endlich!“, murmelt einer der beiden.
Unter den hohen Decken der „Zentralheize“ wird es jetzt ruhiger, Spitzenkandidat Voigt düst direkt weiter in den Landtag. Die Presse rückt ab nach einigen Interviews ab und zurückbleibt das ungewisse Gefühl: Jetzt wird’s erst so richtig kompliziert.