Lotte Laloire arbeitet als Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen in Berlin und setzt sich täglich für die Pressefreiheit auf der ganzen Welt ein. Nebenbei ist sie als freie Journalistin tätig. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit und gibt Einblicke in die diesjährige weltweite Rangliste zur Pressefreiheit.
politikorange: Wieso hast du dich dafür entschieden, für Reporter ohne Grenzen zu arbeiten?
Lotte Laloire: Ich war selbst freie Journalistin und habe in dem Rahmen Polizeigewalt erlebt. Das war für mich ein sehr einschneidendes Erlebnis und hat mir definitiv vor Augen geführt, wie wichtig es ist, das Grundrecht auf Pressefreiheit zu haben und zu wahren. Gerade angesichts der vielen Angriffe, die wir auch in Deutschland erleben. 2021 gab es 80 gewaltsame oder physische Angriffe auf Journalist*innen.
Was genau ist deine Funktion in der Organisation? Was sind deine Aufgaben?
Ich bin Referentin im Kommunikationsteam und beantworte Presseanfragen. Ich schreibe Pressemitteilungen, gebe Interviews und versuche, in diesem Rahmen auf Übergriffe auf die Presse aufmerksam zu machen. Unser Ziel ist es, jegliche Angriffe auf die Pressefreiheit laut und entschlossen in der Öffentlichkeit zu kritisieren und zu skandalisieren, damit die ganze Gesellschaft das mitbekommt und das unterbunden werden kann. Konkret bin ich zuständig für Deutschland, Türkei und die Länder südlich der Sahara. Wir sind mehrere Referent*innen hier im Team, die sich die 180 Länder der Welt untereinander aufteilen. Dann gibt es noch ganz viele andere Referate. Weltweit gibt es Büros und Repräsentant*innen, mit denen wir zusammenarbeiten.
Wie genau geht ihr als Organisation beim Schutz der Pressefreiheit weltweit vor?
Grundsätzlich leistet Reporter ohne Grenzen Nothilfe, das heißt wir unterstützen ganz akut einzelne Journalist*innen. Ein Beispiel ist Afghanistan: Die Taliban übernehmen die Macht und bedrohen Journalist*innen teilweise mit dem Tod. Dort haben wir mit der Kabul Luftbrücke dafür gesorgt, dass möglichst viele Personen das Land verlassen können. Dann haben wir dieses Jahr den JX Fond gegründet, an den alle, die Journalismus im Exil unterstützen wollen, spenden können. Dieser Fond soll dabei helfen, dass geflüchtete Journalist*innen ihre Redaktionen im Exil wieder aufbauen und ihre Arbeit fortsetzen können. Unsere Nothilfe macht auch ein Stipendienprogramm. Neulich war ein ziemlich berühmter Journalist aus Mexiko, der dort mit dem Tod bedroht wurde, hier und hatte durch unser Stipendienprogramm die Möglichkeit, ein paar Wochen aus seinem Land rauszukommen.
Gibt es gerade weitere Brennpunkte? Du hast einige erwähnt, aber gibt es noch andere Orte, an denen ihr gerade aktiv seid?
Es gibt entsprechend der politischen Gesamtlage Krisenherde, in denen meistens auch die Presse bedrohter ist, in Kriegsgebieten zum Beispiel. Aber es gibt auch Regime, die die Daumenschrauben anziehen und plötzlich Journalist*innen mehr verfolgen als vorher. Durch den großen Einfluss Chinas über Hongkong ist dort die Lage der Pressefreiheit sehr viel schlechter geworden in den letzten Jahren, ohne dass dort ein Krieg stattfindet. In Ägypten und Tunesien werden immer wieder sehr viele Journalist*innen einfach inhaftiert. In Griechenland wird Überwachungssoftware benutzt. Das sind nur ein paar Beispiele, um einen Eindruck zu vermitteln, wie unterschiedlich die Form der Verfolgung ist. Der Punkt ist, auch ohne Krieg kann die Arbeit von Journalist*innen durchaus gefährlich sein.
Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jährlich eine Rangliste zur weltweiten Pressefreiheit. Du hast eben schon darüber gesprochen, dass sich die Repressionen, mit denen Journalist*innen konfrontiert werden, in den einzelnen Ländern unterscheiden können. Wie geht ihr bei der Erstellung des Rankings vor, um einen Vergleich dieser verschiedenen Situationen zu ermöglichen?
Wir befragen in jedem der 180 Länder Expert*innen. Das sind Journalist*innen, aber auch Medienrechtsprofessor*innen oder Mitglieder von Rundfunkanstalten, also Leute, die in Aufsichtsgremien arbeiten, die mit Medien zu tun haben und sich gut auskennen. Weltweit sind es ungefähr 600 Menschen, die an dieser Befragung anonym teilnehmen. Es sind mehr als 100 Fragen, die wir stellen. Die Fragen lassen sich in fünf Kategorien einordnen. Da geht es um ökonomische Faktoren, um die Gesetzeslage, um die Sicherheitslage auf der Straße, aber auch im Internet. Hierzu haben wir letztes Jahr noch einige Fragen hinzugefügt, weil vor allem digitale Gewaltformen gegen Journalist*innen immer mehr zunehmen. Es geht auch um die gesellschaftliche Stimmung, die Wertschätzung gegenüber der Presse. Aber auch der Einfluss der Regierung auf die Redaktionen spielt eine Rolle. Zu jedem dieser Bereiche werden jeweils ungefähr ein Dutzend Fragen gestellt
Die Rangliste für das Jahr 2023 erscheint heute am internationalen Tag der Pressefreiheit. Letztes Jahr stieg Deutschland von Rang 13 auf Rang 16 ab. Setzt sich dieser Trend fort?
Deutschland hat sich weiter verschlechtert und ist von Rang 16 auf Rang 21 abgestiegen. Das ist eine Verschlechterung um 5 Plätze und der schlechteste Rang, den das Land je hatte. Der Hauptgrund ist die schlechte Sicherheitslage, die hohe Gewalt gegen Journalist*innen auf der Straße. Die Gewalt hat während der Coronapandemie bei den „Querdenker“-Protesten weiter zugenommen. Es ist wichtig klarzustellen, dass es schon immer viel Gewalt gegen die Presse in extrem rechten und verschwörungsideologischen Kontexten gab. Zugenommen hat sie nur, weil diese Menschen mehr auf der Straße unterwegs waren und auch leider neue Personen mobilisieren konnten. Die gleichen Leute demonstrieren jetzt weiter, zum Beispiel bei den sogenannten Friedensdemos. Dort ist zwar mit Russland und der Ukraine das Thema ein anderes, aber teilweise werden sogar die gleichen Plakate mitgebracht.
Hast du abschließend noch ein paar Worte an jüngere Journalist*innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen? Wie kann man euch unterstützen?
Wir setzen uns für die Pressefreiheit und somit für euer aller Freiheit ein und auch dafür, dass ihr frei und sicher arbeiten könnt. Deswegen freuen wir uns über Spenden oder sogar Mitgliedschaften. Es reicht aber auch, wenn ihr uns auf Social Media folgt und euch einen Eindruck macht. Lasst euch nicht entmutigen. Seid neugierig. Lasst euch nicht sofort von Kritik einschüchtern. Arbeitet ordentlich, aber arbeitet weiter. Und wenn ihr Unterstützung braucht, meldet euch bei uns oder anderen Organisationen.