Im Mai trafen sich 450 junge Menschen im Rahmen der JugendPolitikTage auf dem Washingtonplatz in Berlin und gaben der Bundesregierung Empfehlungen für deren Jugendstrategie mit auf den Weg. Jonas Bär hat ausführlich analysiert, was die Ministerien daraus gemacht haben.
Wenn ständig von Rentenreform und Senkung des Rentenalters gesprochen wird, kommt schon die Frage auf, wann etwas für Leute unter 30 getan wird. Dabei sind doch immerhin 17 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen Jugendliche oder junge Erwachsene.
Anfang Dezember kam die Antwort: Das Manuskript, das Bundeskanzlerin Angela Merkel und Jugendministerin Franziska Giffey präsentierten, zählt stolze 160 Seiten und 163 Handlungsmaßnahmen, aufgeteilt auf neun Handlungsfelder. Einige Empfehlungen der JugendPolitikTage haben es in die vorgestellte Jugendstrategie der Bundesregierung geschafft oder haben zumindest ihre Spuren hinterlassen haben. In welchem Maße unterscheidet sich jedoch von Handlungsfeld zu Handlungsfeld gravierend und lässt den Eindruck entstehen, dass das ein oder andere Ministerium der Jugend mehr zu gesteht als das andere.
Mehr ÖPNV und sozialer Wohnraum
Städte und Dörfer war eins der vier Themen- und Handlungsfelder der JugendPolitikTage. Besonders wichtig war den jungen Menschen, dass die Wahl des Wohnraums nicht von infrastrukturellen, finanziellen oder sonstigen Faktoren abhängig ist. Konkret vorgeschlagen wurde eine Förderung sozialen und inklusiven Wohnungsbaus, die Einbindung von Jugendlichen in die Gestaltung öffentlichen Raumes, sowie mehr Investitionen in den öffentlichem Nahverkehr und eine Förderung von Bike- und Carsharing-Angeboten.
Laut Jugendstrategie will das Familien- und Jugendministerium sozialen Wohnungsbau in den nächsten zwei Jahren mit je einer Milliarde Euro fördern. Modellhaft sollen Ridesharing-Projekte im ländlichen Raum getestet werden. Im “Förderprogramm soziale Stadt“ werden Jugendliche bei der Planung von öffentlichem Raum mitwirken. Recht vage heißt es außerdem noch, die Schnittstelle zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln solle optimiert werden.
Die im selben Atemzug vorgeschlagene Förderung alternativer Wohnformen wie zum Beispiel Genossenschaften, findet sich dagegen nicht in der Jugendstrategie. Genauso wenig Hinblicke auf ein Kostenlose Nahverkehrstickets für Jugendliche.
Bildung bleibt Ländersache
Im Handlungsfeld Bildung und Arbeit haben die Teilnehmenden der JugendPolitikTage ihren Wunsch nach einer bundesweiten Vereinheitlichung des Bildungssystems festgeschrieben. Ein tatsächlicher Eingriff in das Schulsystems steht jedoch nicht auf der Agenda der Bundesregierung.
So wird auch den folgenden Empfehlungen nicht nachgegangen: Unterricht in politischer Bildung ab der fünften Klasse, regelmäßige Überprüfung des Schulgebäudes und ein jährlicher Antirassismus-Tag an der Schule. Vielmehr will sich die Bundesregierung auf einen besseren Übergang von Schule zu Ausbildung oder Hochschule konzentrieren. Dieser wird mit vielen Maßnahmen gefördert – auf den JugendPolitikTagen wurde er jedoch nicht besprochen.
In Sachen Arbeitsrecht sieht die Jugendstrategie auch keine gravierenden Änderungen vor. Nach einer Erhöhung des Mindestlohns, dessen Einführung für Jugendliche, oder der Vorschrift zur Nutzung einer anonymisierten Bewerbungsvorlage sucht man in der Jugendstrategie jedenfalls vergeblich.
Neuland Internet
Die 450 Teilnehmenden der JugendPolitikTage sind alle im Zeitalter des Internets und der Digitalisierung aufgewachsen. In vielen Bereichen findet man daher auch den Wunsch nach transparenten, digitalen Übersichten für bestehende Strukturen oder einer Einbindung des Internets. Auch die Bundesregierung sieht die Notwendigkeit zur Modernisierung vieler Lebensbereiche durch eine Einbindung des Internets. Viele der Modell- und Förderprojekte werden daher ihre eigene Internetpräsenz haben.
Um den Jugendmedienschutz zu verbessern, werden von Seiten des Bundesjugendministeriums Studien zur Digitalkompetenz durchgeführt und ein neuer Rechtsrahmen geschaffen. Eine Datenethikommission könnte außerdem bald zur Entwicklung neuer Werte im Internet beitragen. Ob das alles reicht um die Privatsphäre im Internet zu sichern, oder ob eine Datenlöschungspflicht, wie sich das die Teilnehmenden der JugendPolitikTage sich vorgestellt hatten, besser gewesen wäre, wird sich in Zukunft zeigen.
Nicht alle Forderungen der Jugendlichen zum Thema Digitalisierung wurden aufgenommen. Eine europäische Digitalunion wird in der Jugendstrategie jedenfalls nicht ausgerufen. Dafür wird es eine deutsch-französische Plattform im Internet geben auf der sich ausgetauscht werden kann. Überhaupt ist der Abschnitt Europa in der Jugendstrategie allerdings recht kurz ausgefallen.
Im Mai hatte man sich ganz klar für eine gemeinsame europäische Migrationspolitik ausgesprochen. Zu diesem, auch bei der Vorstellung der Jugendstrategie, oft diskutierten Thema gibt es allerdings keine neuen Maßnahmen. Eine weitere Idee erschienen den Teilnehmenden europäische Tandem-Partnerstädte, die aktiv Schüler- und Schülerinnenaustausch betreiben. Etwas in der Art wird mit einem Deutsch-Griechischen Jugendwerk kommen, das Leipzig und Thessaloniki verbinden soll.
Topthema Klima
Im Themenfeld Umwelt und Gesundheit haben die Teilnehmenden der JugendPolitikTage viele konkrete Klimaziele und Ansätze zum Umweltschutz formuliert. Unter anderem fordern sie einen Stop des Exports von Elektroschrott, Senkung des entstehenden Energieverbrauchs durch Digitalisierung oder kostenlosen Nahverkehr bis 2025. Die Maßnahmen zum Themenfeld Umwelt in der Jugendstrategie greifen diese ausdrücklichen Pläne nicht auf. Vielmehr wird hier finanzielle allgemeine Projektförderung angekündigt. Außerdem soll die Jugend in Zukunft in viele Prozesse des Umweltministeriums eingebunden werden.
Auch das Fahrrad fahren erschien den jungen Menschen auf den JugendPolitikTagen eine gute Option, um aktiv etwas gegen den Klimawandel zu tun. Dementsprechend gab es die Empfehlung an die Bundesregierung, Radfahren attraktiver zu gestalten. Das Verkehrsministerium nennt nun Maßnahmen, um die Sicherheit auf der Straße für Radfahrende zu steigern.
Das wird in der Jugendstrategie nicht direkt mit Umweltschutz in Verbindung gestellt, greift aber definitiv den grundsätzlichen Wunsch auf, die Beliebtheit des Radfahrens zu steigern. So sollen beispielsweise Fahrradzonen eingeführt werden, in denen ein Überholverbot von Radfahrenden herrscht. Außerdem ist von einem Halteverbot auf Fahrradstreifen und einem generellen Mindestüberholabstand die Rede.
Ein Projekt namens StatusRad soll zudem das Ziel verfolgen Jugendlichen das Fahrrad als Statussymbol zu vermitteln.
Jugendbeteiligung verbessern – aber wie?
Ein großes Anliegen der Teilnehmenden der JugendPolitikTage im Themenfeld Zusammenleben und Demokratie war die Sicherung effizienter und regelmäßiger Jugendbeteiligung. Der Wunsch zur Absenkung des Wahlalters auf 14 wurde hier von der Jugendstrategie nicht erhört. Die Forderung einer transparenten Einsicht der Ergebnisse von Jugendkonferenzen soll dafür in der Seite jugendgerecht.de ihre Umsetzung finden.
Ein weiterer im Mai festgeschriebener Vorschlag war der Anspruch auf einen festen “jungen Platz” in den Kommunalparlamenten für Delegierte aus den Jugendgremien. Nun steht fest, dass die Bundesregierung zwar Jugendparlamente fördern will, eine solche Regelung sich allerdings nicht in den geplanten Maßnahmen der Bundesregierung wiederfindet.
Deutlich bemerkbar durch überdurchschnittlich viele Projekte zur Stärkung der Jugendbeteiligung macht sich das Umweltministerium (BMU). Als einzige Regierungsbehörde möchte das BMU die Jugend in relevanten Entscheidungen beteiligen. Planspiele und Empowerment-Formate sollen fortgeführt werden. Außerdem soll die BMU-Jugendstudie zu Umwelt und Klimathemen Anfang 2020 und von dort an regelmäßig erscheinen. Eine weitere Idee der JugendPolitikTage war es, dass ab einer bestimmten Anzahl von Teilnehmenden bei einer Demonstration, das Thema dieser Demo im Bundestag diskutiert werden muss; das kommt auch nicht.