Poetry und Politik

Der Poetry-Slam in Jena steht unter dem Titel: „Globalisierung geht uns alle an“. Inga Glökler zeigt, wo sich moderne Lyrik und große Politik treffen und welche Themen besonders wichtig waren.

Ein Poetry Slam unter dem Motto „Slam it – Globalisierung geht uns alle an“ in der Tonhalle der Imaginata.
Drei Poetinnen und ganz unterschiedliche Texte zum Thema Globalisierung. Lisa Stehnke und Elli Linn aus Jena und Ze Brisa aus Halle tragen vor, mahnen die circa fünfzig Zuhörer*innen ihr Konsumverhalten zu überdenken und bringen sie zum Nachdenken.

„Globalisierung, ich hasse dich!“

Ze Brisa tritt als Erste ans Mikrofon und hat einen aggressiven Hassbrief an die Globalisierung mitgebracht. Diese beschimpft sie in ihren unterschiedlichen Formen und stellt beängstigende Vergleiche wie den zu einer „Hydra, deren Köpfe man bis in die Ewigkeit abschlagen könnte“ auf. Sie spricht ganz allgemein von der Globalisierung – doch was bedeutet dieses allgegenwärtige Wort eigentlich? Wikipedia definiert es als „den Vorgang, dass internationale Verflechtungen in vielen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation) zunehmen, und zwar zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten.“ Dass es gerade in der Wirtschaft einige Negativ- Beispiele gibt, Ze Brisa nennt hier Primark, dessen Arbeitsbedingungen fragwürdig sind, ist unumstritten. Dass aber doch eine große Chance in der Globalisierung liegt – gerade für Politik und Kultur-, wird deutlich wenn man sich die Zukunftscharta durchliest. 2014 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung veröffentlicht, formuliert sie Aufgaben, Anspruch und Verantwortung für EINEWELT. Es wird deutlich, dass wir uns beim Thema Nachhaltigkeit nicht auf Deutschland beschränken können, sondern in einem globalen Kontext handeln müssen. Globalisierung hat also nicht nur negative Seiten, sondern heißt auch, dass alle zusammen etwas für eine bessere Welt tun.

„Ich kann das alles nicht mehr sehen.“

Ze Brisa sagt: „So geht es vielen und überall hört man es, ein weltweites ‚Ich gebe auf‘.“ Sie ist nicht die einzige, die diese Resignation beklagt. Immer wieder hört man davon, dass die ständige Flut an Schreckensnachrichten, die tägliche Berichterstattung über Umweltkatastrophen, Kriege und die Lage der Flüchtlinge uns alle abstumpft und das Entsetzen zum täglichen Begleiter wird. Davon ist auf dem Jugendnachhaltigkeitskongress in Jena allerdings nichts zu spüren. Unter den Schüler*innen herrscht Tatendrang, sie wollten ihre Chance nutzen der Politik zu sagen was ihnen wichtig ist. In den Workshops wird konzentriert gearbeitet und eine Menge Forderungen stehen zur Debatte. Herausgekommen ist die Jugend-Nachhaltigkeitsagenda Thüringen, in der 8 konkrete, von den Jugendlichen ausgewählte, Forderungen formuliert wurden. Ganz besonders engagiert sind die vier Vertreter*innen in der Diskussion mit dem Ministerpräsidenten und Staatsekretär Silberhorn am Ende der Politikarena. Sie wollen unbedingt gehört werden! Auch bei der Erarbeitung der Zukunftscharta setzte das Ministerium auf Dialog. Viele Bürger*innen nahmen die Möglichkeit wahr und brachten ihre Ideen mit ein. Auch Jena und die Jugendlichen aus Thüringen zeigen heute deutlich, dass sie möglicher Resignation ihr Interesse und Engagement entgegensetzen können und zusammen für eine nachhaltigere Welt eintreten.

Die Jugendlichen in der Diskussion mit Ministerpräsident Ramelow und Staatssekretär Silberhorn. Foto: Inga Glökler

„Liebe.“

Am Ende ihres Auftritts stimmt Ze Brisa noch einmal harmonischere Töne an. Sie gibt der Liebe eine Chance. Nachdem sie zuvor von ihren Erlebnissen mit Flüchtlingen in ihrer Rolle als Deutschlehrerin erzählte, rät sie dem Publikum nun: „Umarmt mehr Leute, lacht die Menschheit an. Und dann wird der Abgang des Ganzen vielleicht süßer als der bisherige, bittere Beigeschmack.“ Um Menschen zu umarmen muss man auf sie zugehen. Dieses aufeinander Zugehen war auch in Jena ein großes Thema. Die beiden Politiker plädieren sichtlich emotional ergriffen dafür, Flüchtlinge kennenzulernen und sich über die Zahlen und Daten zu informieren. Es sei unerträglich, welche Hassparolen verbreitet werden ohne sich mit dem Schicksal der Geflüchteten auseinander gesetzt zu haben. Bodo Ramelow ist sich sicher, diese Aufgabe kann der Freistaat Thüringen nicht dirigieren. Eine Umarmung, ein Schritt aufeinander zu beginnt im Kleinen, bei jedem einzelnen, in der Schule oder in der Nachbarschaft.

Grenzkontrolle

Davon, wie sie die Globalisierung im Kleinen erlebte und wie sie sich die Vernetzung heute vorstellt erzählt die Jenaerin Elli Linn. Ihr gereimter Text nimmt die Zuhörer*innen zunächst mit in ihre Kindheit nach Brandenburg. Erste Station: Grenzkontrolle an der deutsch-polnischen Grenze nach einem ihrer zahlreichen Einkäufe auf dem ‚Polenmarkt‘. Im Gepäck: „Die Schildkröte aus Griechenland mit deutschem Namen Otto.“ Auch in vielen anderen Texten berichtet Elli Linn von ihren Erlebnissen auf dem Polenmarkt, sehr früh kam sie dort in Berührung mit internationalem Handel. Als Kind fiel es ihr trotzdem schwer zu verstehen, was ihr Vater meinte, wenn er von der Globalisierung sprach. „Jede Erklärung war Fremdwortgesang und so ist es auch noch heute.“ Sie versucht es mit der Definition von Wikipedia, sucht Beispiele aus ihrem Alltag und vermag es doch nicht, eine zufriedenstellende Antwort zu finden. Am Ende zeichnet sie ein Bild von einer Erdkugel, über die eine Spinne läuft und kontinuierlich ihre Netze spinnt. „Aus einem kleinen Faden spinnt sie ihre Netze und ich denke wie entsetzlich verletzlich sind ihre Netze.“ Um Kindern schon früh einen Zugang zu diesem komplexen Thema zu ermöglichen, fordern die Jugendlichen aus Jena Nachhaltigkeitsbildung bereits in den Grundschulen.

Das Mädchen in Mali und du

In anderen Teilen der Welt haben Kinder nicht einmal die Chance eine Grundschule zu besuchen, viele von ihnen müssen bereits hart arbeiten. Mit dem Thema Kinderarbeit in der globalisierten Welt setzt Lisa Stehnke sich auseinander. Das allgemeine Konsumverhalten beschreibt sie so: „Du kannst alles haben, heute, morgen oder nächste Woche, völlig egal, du kannst alles haben, von überall auf der Welt. Ist doch super toll. Immer das günstigste, immer billiger als irgendwo anders und immer so wenig Geld wie möglich dafür ausgeben.“ Sie spricht damit das Publikum direkt an und zeigt die beinahe unendlichen Möglichkeiten des Konsums auf.
„Und dann gibt’s da ein Mädchen in Mali“, dessen Leben sie mit anprangernder Stimme darstellt. Fernab von den Eltern muss es Tag und Nacht ackern, wird geschlagen wenn es nicht schnell genug arbeitet. Die Schuld für solche grausamen Zustände gibt Lisa auch der Globalisierung -„weil jeder doch heute an jedem Ort produzieren darf. Dann geht man doch gleich in die Länder, wo man nicht auf Widerstand trifft, weil es sich die Leute dort nicht leisten können, Widerstand zu leisten.“ Die Zukunftscharta formuliert eins der Ziele für ‚Wirtschaftswachstum mit Nachhaltigkeit und menschenwürdiger Beschäftigung‘ wie folgt: „Nationale und internationale Politik sollte gemeinsam mit Unternehmen darauf abzielen, für alle Produktionsstandorte […] die Einhaltung verbindlicher Regeln und Standards zu gewährleisten.“ Deutsche Politik müsse sich für die Beendigung der Kinderarbeit einsetzen und bildungspolitische Maßnahmen unterstützen. Diese Ziele klingen erstrebenswert und wenn die Regierungen und Unternehmen dieser Welt etwas dafür tun, kann auch jede*r einzeln*e seinen Beitrag dazu leisten.

Lisa Stehnke beim Poetry-Slam. Foto: Inga Glökler
Lisa Stehnke beim Poetry-Slam. Foto: Inga Glökler

„Elfenbeinküste klingt schön.“

Lisa Stehnke fordert dazu auf, ganz genau zu schauen, wo etwas herkommt und sich darüber zu informieren wie es produziert wurde. „Elfenbeinküste klingt schön, aber nicht überall, wo schön draufsteht, ist auch schön drin.“ Wie leicht man sich täuschen lassen kann, beschreibt sie an einem Beispiel. Weil Baumwolle vermeintlich natürlicher und ökologischer ist als Polyester entscheidet sich ein*e Konsument*in dafür. Dabei wird die Baumwolle von Kinderhänden geerntet. Ein zweites Kinderschicksal: ein zehnjähriger Junge arbeitet illegal und für einen geringen Lohn, er kann froh sein zu Essen und zu Trinken zu haben, hat blutige Hände und Beine von der Arbeit. An dem preiswerten Kleidungsstück das am Ende der Produktionskette steht klebt kein Blut mehr, wie also soll man erkennen, ob es mit Kinderarbeit hergestellt wurde oder nicht? Die Schüler*innen aus Thüringen haben dazu eine klare Forderung formuliert: sie wollen ein unabhängiges und einheitliches Siegel für nachhaltige Produktionsstandorte einführen.

Veränderung

Lisa Stehnke sagt: „Man kann sich seinen Platz in der Welt ja nun leider nicht aussuchen“. Nein, das kann man nicht, aber man kann sich aussuchen, wie man sich verhält und was man kauft und damit etwas verändern. Und das der Wille da ist, das zeigt die Zukunftscharta, das zeigen die 17 Sustainable Development Goals der UN und das haben ganz besonders die Teilnehmer*innen der Zukunftstour in Jena gezeigt.

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