Ein Christdemokrat hat in Berlin gewonnen. Wie er das geschafft hat und warum das vielleicht trotzdem keine Regierungsverantwortung mit sich bringt.
Wahlparty im Berliner Abgeordnetenhaus. Ein ohrenbetäubender Jubel füllt den Raum. Eine Frau weint vor Freude. Es ist unglaublich heiß wegen der ganzen Kameras. Schließlich betritt er die Bühne, begleitet von epischer Musik: Kai Wegner, der Spitzenkandidat der Berliner CDU. Es ist spürbar: dies ist ein historischer Abend für die Union. Die Menschen sind erfüllt vom Rausch, können den Sieg noch gar nicht richtig fassen.
Nach 24 Jahren gewinnt die CDU zum ersten Mal wieder eine Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Fast eine Generation lang hatte die Partei in der Hauptstadt nichts zu melden. Doch das Blatt wandte sich in diesem Wahlkampf. Der war in vielerlei Hinsicht besonders. Deutlich kürzer, deutlich härter, deutlich klarer. Diesen Eindruck teilt auch Radiomoderatorin Kerstin Hermes, die für radioeins die Spitzenkandidat*innen durchleuchtete. „Die Parteien mussten Farbe bekennen.“ Außerdem sei es diesmal klarer gewesen, wofür die einzelnen Akteure wirklich stünden.
Regierung abwählen
Genau das nutze die CDU. Die Botschaft ihres Wahlkampfs war: Wir können das besser als Rot-Rot-Grün. Wegner stellte die Regierung als akutes Problem in den Mittelpunkt und präsentierte die Lösung gleich mit dazu: Alle Stimmen für die CDU. Parteimitglied Fabian Meier bringt es auf den Punkt: „Das Problem ist nicht Berlin, es ist die Berliner Regierung. Das haben wir deutlich gemacht.“
Auch die Silvester-Debatte spielte dabei eine Rolle. Wegner sprach sich hier deutlich für eine Stärkung der Polizei aus. Mit dem Thema innere Sicherheit schließt er die Lücke zum Bundesparteivorsitzenden Friedrich Merz, der den Berliner Spitzenkandidaten im Wahlkampf unterstützte. Anders als 2021 trat die gesamte Partei diesmal geschlossen auf.
So auch der Berliner Landesverband. Joe Chialo ist Mitglied des dortigen CDU-Vorstandes und wurde von Wegner zum Schatten-Kultursenator im Falle einer Kabinettsbildung unter seiner Führung erkoren. Er betonte, dass die Menschen diesen Zusammenhalt in der Partei merken würden. „Das ist das Geheimnis des Erfolgs.“
Das Mantra „Berlin muss wieder funktionieren“ wiederholte Wegner in so gut wie jedem Interview vor der Wahl. Gelten soll das für die Verwaltung gleichermaßen wie für den Wohnungsbau, die Bildung, den Verkehr und natürlich die Polizei.
Wie die ARD am Wahlabend berichtete, begründete jede*r zweite CDU-Wähler*in seine Wahlentscheidung mit dem Frust über die anderen Parteien. Von Überzeugung keine Spur, sondern lediglich vom Wunsch, durch die Stimme für die Opposition etwas ändern zu können.
Um diese Chance zu kriegen, müsste Kai Wegner Regierender Bürgermeister werden. Das ist allerdings nicht garantiert. Durch die Wiederholungswahl wurde das Berliner Abgeordnetenhaus neu selektiert. Wegner hat die Wahl gewonnen und die SPD ist einer der großen Verlierer. Deswegen fordern Vertreter der CDU schon jetzt, dass Amtsinhaberin Franziska Giffey zugunsten Wegners abdankt. MdBA Sandra Khalatbari bekräftigte dies: „Die Berliner haben mit ihrem Kreuz deutlich gezeigt, was sie sich wünschen. Insofern hoffe ich sehr, dass die Regierende Bürgermeisterin einlenkt und den Weg frei gibt.“
Der dunkle Schatten von Bremen
Einen Koalitionspartner benötigt die CDU trotzdem. Und spätestens da steht sie dann doch etwas allein da. Die größte Schnittmenge gibt es mit der FDP, doch diese hat den Einzug ins AGH klar verpasst. Sowohl mit der AfD als auch den Linken wird die Zusammenarbeit kategorisch ausgeschlossen.
Übrig bleiben SPD und Grüne. Beide Parteien sprechen sich allerdings für eine Weiterführung der aktuellen Koalition aus. Auch in den Umfragen der ARD wird das Bündnis von der Bevölkerung favorisiert, deutlich vor jedweder CDU-Variante. Wird Kai Wegner somit in die Fußstapfen seiner Bremer Parteikollegen treten?
Auch hier war die CDU klarer Sieger. Die Koalitionsverhandlungen scheiterten allerdings und sie gingen in die Opposition. Der Berliner Fraktionsvorstand Michael Dietmann sieht das Ganze pragmatisch: „Berlin braucht eine gute Regierung, da kann man sich nicht in die Opposition stehlen. Weder die eine noch die andere Partei.“ Auch MdBA Stephan Standfuß pflichtet bei: „Der Regierungsauftrag ist klar.“
Die Qual der Wahl
Mit wem die CDU koalieren möchte, da gibt es Uneinigkeiten. Aileen Weibeler ist Landesvorsitzende des Rings Christlich Demokratischer Studenten Nordost. Sie zumindest gibt sich sicher: „Mit der SPD könnte ich mir das schon sehr gut vorstellen.“ Bei der Wahlparty im Abgeordnetenhaus freut sich eine Gruppe eher jüngerer CDUler aber auch sehr, als die Grünen um gegen 19 Uhr nochmal um ein paar Zehntelprozente zulegt. Inspiration schöpfen sie womöglich von der schwarz-grünen Landesregierung in Schleswig-Holstein, die für einen liberalen Kurs bekannt ist.
Am häufigsten hört man auf der Wahlparty, dass man Gespräche mit allen demokratischen Parteien führen werde. Noch vor rund einer Woche hatte Kai Wegner im Kandidatencheck des RBB einer Koalition mit den Grünen beinahe eine klare Absage erteilt. In Sachen Verkehrspolitik sehe er keinen Weg, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Am Morgen nach der Wahl erklärte die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch im Deutschlandfunk: „Wenn die CDU uns zu Gesprächen einlädt, werden wir tatsächlich auch ernsthafte Gespräche führen.“ Die Fronten scheinen aufzuweichen. Franziska Giffey sagte am gleichen Morgen im RBB, sie werde Gespräche mit der CDU führen, aber sie wolle „das Rote Rathaus rot halten.“
Die Sondierungsgespräche für Rot-Grün-Rot könnten also schwierig werden. Kerstin Hermes sagte zu dem Verhältnis der beiden großen Koalitionspartner: „Nach dem Wahlkampf müssen wahrscheinlich noch Scherben zusammengekehrt werden.“ Trotz allem wollen grundsätzlich beide Parteien an dem Bündnis festhalten. Es wird sich zeigen, ob sie sich zusammenraufen können, oder ob Kai Wegner letztlich doch das Rote Rathaus schwarz malt. Vielleicht mit ebenso epischer Musik wie am Wahlabend.