Wie es uns gefällt

Ein Sandkasten, in dem neben Spielzeug auch aufgeschlagene Bücher und ein Schreibblock mit Stift liegen
Spielen und lernen – geht das überhaupt? Foto: Jugendpresse Deutschland / Leonard Palm

Lernen ist doof und macht keinen Spaß? Das denken wohl viele, aber es kann auch anders sein. Sabine Baumgärtel berichtet aus einer Schule, in der Kinder und Jugendliche morgens vor Freude kaum erwarten können, dass sich die Schultore öffnen.

Morgens fällt das Aufstehen schwer. „Was kann ich heute sagen, damit ich nicht in die Schule muss? Bauchschmerzen vielleicht? Ich habe solche Angst vor der Physikklausur, stundenlang habe ich versucht, mir das Wissen reinzuprügeln, aber nichts bleibt im Kopf. Ich verstehe es einfach nicht. Wahrscheinlich, nein, bestimmt bin ich einfach zu dumm zum Lernen.“

So oder ähnlich läuft es wohl in vielen Kinder- und Jugendzimmern jeden Morgen. Selbstzweifel, Stress und Druck sorgen dafür, dass viele Schülerinnen und Schüler die Lust am Lernen verlieren und sich nur mit größter Mühe jeden Morgen aus dem Bett quälen. „Wozu denn Verhältnisrechnung verstehen, Englischvokabeln pauken oder mich im Schülerrat engagieren, wenn mich Politik doch eh nicht interessiert?“

Vielen Schülern fehlt der praktische Nutzen des Unterrichts, sie lernen nur für die Klausuren – und nicht fürs Leben, wie es doch so schön heißt. Sie haben das Gefühl, wenig bis gar nichts an den Schulen mitbestimmen zu können.

Jenseits der Regelschule

Ganz anders sieht es in der demokratischen Schule in Stettin, Polen aus. „Moment mal – sollte nicht jede Schule demokratisch sein?“ Demokratisch im Sinne der Gleichberechtigung und der aktiven Beteiligung – ja klar, natürlich. Tatsächlich ist „demokratische Schule“ aber eine Bezeichnung für eine besondere Art von Schule: eine, in der Schüler selbst lernen, wann und wie sie wollen – ohne Noten, ohne Klausuren, ohne Bauchschmerzen.

„Jeden Morgen um zehn treffen wir uns, alle Schülerinnen und Schüler, Mentorinnen und Mentoren. Dann sagt jeder, was er heute machen will – ein Kind möchte Geschichte lernen, jemand anderes möchte den ganzen Tag Minecraft spielen“, sagt Piotr Sztela (39), der an der kleinen Schule arbeitet. Er nennt sich Mentor, nicht Lehrer: „Wir helfen den Schülern, selbst zu lernen. Wir geben ihnen Bücher und erklären ihnen, was sie brauchen. Die Verantwortung, etwas zu lernen, liegt aber bei ihnen.“

Trotz dieser Freiheit ist das Leben in der Schule aber nicht komplett frei von Regeln: alle Schüler beschließen sie gemeinsam und demokratisch. Dabei geht es aber nicht um eine einfache Mehrheit: „Alle sollen sich bei uns sicher fühlen, also versuchen wir eine Lösung zu finden, mit der es allen gut geht“, erklärt Piotr. Wenn ein Schüler von einem anderen Schüler in Ruhe gelassen werden, so kann er „Stop“ sagen, dies muss dann auch respektiert werden. Auch das war eine Idee der Schülerinnen und Schüler.

Fürs Leben lernen

Lernen die Kinder denn aber auch wirklich oder spielen sie den ganzen Tag? Tatsächlich finden sie selbst viele Wege, sich praktisch Neues anzueignen. Wenn man einen Kuchen backen will – braucht man Verhältnisrechnung, um die Mengenangaben für mehr Personen umzurechnen. Wenn man ein Buch auf Englisch lesen will – muss man Vokabeln lernen. Und wer sich demokratisch beteiligen will – der muss lernen, mit anderen Kompromisse zu finden. So lernen die 25 Schüler zwischen 5 und 17 Jahren gemeinsam – aber auch mal alleine – aus dem Leben und für das Leben. Mit der Zeit entwickeln alle ihr eigenes Projekt, finden ihre eigene Vorliebe.

Am Ende jeden Schuljahres müssen trotzdem alle eine Prüfung schreiben, damit sie in das nächste Schuljahr aufsteigen können. „Bisher ist niemand durch die Prüfung gefallen“, sagt Piotr. Wenn es keinen Druck von oben gibt, dann finden die Schüler von selbst Motivation: Lernen soll Spaß machen, das ist wohl die wichtigste Botschaft der Einrichtung.

Eine demokratische Schule ist sicher nicht das Richtige für jeden einzelnen Schüler. Einige gehen wieder, weil sie mit der Freiheit nicht klarkommen und mehr Orientierung brauchen. Das ist nicht schlimm, denn jeder Mensch ist anders. Um hier erfolgreich zu sein, braucht es viel Motivation, Kreativität und Verantwortungsbewusstsein. Das ist für die Erwachsenen genauso anspruchsvoll wie für die Kinder und Jugendlichen.

Schulen wie die in Stettin helfen aber insbesondere den Kindern und Jugendlichen, die auf Regelschulen Probleme hatten – Schüler mit Lernbehinderung, mit Autismus oder Schüler, die gemobbt wurden. Alle können sich hier frei entfalten und ihren eigenen Weg finden. Die Atmosphäre ist freundlich, mit der Zeit ist hier eine kleine Familie entstanden, die sich unterstützt und aufeinander aufpasst.

Und statt jeden Morgen mit einem flauen Gefühl im Magen aufzuwachen, wachen diese Stettiner Schüler wohl vor allem mit einer Frage im Kopf auf: wie kann ich die Welt heute entdecken?


Die Seite der demokratischen Schule in Stettin findet ihr hier. Wenn ihr mehr zu demokratischen Schulen lernen wollt, schaut mal auf der Seite der European Democratic European Community (EUDEC) vorbei.

 

Collage aus den Logos der Förderer: Axel Springer Stiftung, deutsch polnisches Jugendwerk, Stiftung für deutsch polnische Zusammenarbeit, Think Big und Erasmus + sowie dem Schriftzug "This Project was supported by"

Sabine Baumgärtel

studiert Politik und Linguistik in Halle. In ihrer Freizeit sorgt sie dafür, dass sie keine Freizeit hat, indem sie sich für verschiedene Projekte für mehr Europa und mehr Demokratie engagiert. Außerdem mag sie Museen.

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