Jeden Wahlkampf das Gleiche: Peinliche Fotos, schwammige Sprüche, zugeklebte Straßenkreuzungen. Viele Menschen ärgern sich über Wahlplakate. Fynn Dresler hingegen betont ihren Beitrag für die Demokratie. Ein Kommentar.
Gehören Wahlplakate in die Innenstadt? Die AfD im Lüneburger Stadtrat findet, sie sollten verboten werden. Mit dieser Meinung steht sie ziemlich einsam dar: Mit drei zu 35 Stimmen wurde ihr entsprechender Antrag abgelehnt. Richtig so!
Spätestens mit dem grinsenden Gesicht der Spitzenkandidat*innen vor der eigenen Haustür ist es offensichtlich – es stehen wieder Wahlen an. Und das ist nicht zuletzt Verdienst der oft so verhassten Wahlplakate. Gerade weil es schier unmöglich scheint, in den Monaten vor der anstehenden Wahl das Haus zu verlassen, ohne dabei zumindest von einer Partei auf das Datum des Urnengangs hingewiesen zu werden, ist ein*e jede*r somit zumindest für ein paar Sekunden mit dem eigenen Wahlrecht konfrontiert. Die oft so fern wirkende Politik kommt auf die Straße und mit übergroßen Portraits drängen sich auch einige Gesichter in den Alltag der Menschen. Gesichter späterer Interessenvertreter*innen, die Vertrautheit und Bezug schaffen, der an keinem anderen Ort mit einer derart niedrigen Hürde zu den Wähler*innen vordringt.
Wer wüsste ohne Wahlplakate, wie die Kandidat*innen aussehen?
Es ist in erster Linie unverhältnismäßig, wenn das Aufhängen von Wahlplakaten als überzogen oder sogar dreist bewertet wird, wo doch Werbung und Social Media mit aller Kraft und ganz selbstverständlich um die Aufmerksamkeit der Menschen ringt. Regelmäßig wird inhaltliche Kritik zu einer generellen Ablehnung von Wahlplakaten erweitert. Das ist falsch und einseitig, wo doch der Nutzen gänzlich verschwiegen wird. Wo sonst können Parteien ihre Kandidat*innen den Bürger*innen in einem vergleichbaren Ausmaß vorstellen? Das ist weder durch weitere Veranstaltungen oder Haustürbesuche noch durch die gleichen Sprüche und Bilder auf Social Media zu schaffen. Besonders auf kommunaler Ebene stammen die einzigen Bilder von Kandidierenden, die bei den Bürger*innen hängen bleiben, von Wahlplakaten.
Und so sehr mehr inhaltliche Stärke wünschenswert wäre, so reicht oftmals allein ein glattgeschliffener Slogan und das Konterfei der Kandidierenden, um einen Diskurs anzuregen. Nicht zuletzt auf lokaler Ebene polarisieren Kandidierende aller Parteien mit kurzen Statements. So berichtet die Kommunalpolitikerin Anna-Lena Narewski (FDP), die die Plakate Lüneburgs mit dem Slogan „Kompetenz statt Quote“ füllt, über die große Resonanz auf ihre Kampagne. Gerade in der Pandemie, wo direkter Kontakt zu Wähler*innen auf Wahlveranstaltungen rar ist, eröffnen die Plakate den Diskurs und somit das Tor zur weiteren Auseinandersetzung und final einer überlegten Wahlentscheidung. Damit bilden sie ein wichtiges Rad im Getriebe der demokratischen Willensbildung, die eben nicht wie oftmals prophezeit mittlerweile allein auf Twitter stattfindet.
Wahlplakate sind nicht alles – aber sie sind und bleiben wichtig
Niemand würde behaupten, dass Wahlplakate das einzig wirkungsvolle Mittel sind, um das Demokratieverständnis der Bürger*innen zu schärfen, doch ihr Beitrag ist bisher nicht zu ersetzen. Viel Kritik am Wahlkampf, wie die inhaltliche Knappheit, wird pauschalisierend auf Wahlplakate reduziert, die durch die fehlenden Befürworter*innen und den schwer quantifizierbaren Nutzen leicht als Sündenbock herhalten. Dabei bleiben es bei vielen Menschen Wahlplakate, von denen die verinnerlichten Bilder zu den nichtssagenden Namen auf dem Wahlschein stammen. Ein Beitrag, der bisher alternativlos bleibt und spätestens in einem Wahlkampf ohne Plakate schmerzhaft vermisst werden würde.