Die SPD zwischen Erleichterung und Ernüchterung

Die Kanzlerpartei hat bei den Landtagswahlen erneut schlecht abgeschnitten. Der Stimmung am Wahlabend tut das jedoch keinen Abbruch.

Am Abend vor dem großen Tag steht Sophie Koch an ihrem Wahlkampfstand in der Dresdner Neustadt und versucht ein letztes Mal, Wähler*innen von sich und ihrer Partei zu überzeugen. Wer einen Moment in der Nähe stehen bleibt, bekommt sofort Werbeartikel in die Hand gedrückt. Für ihren Wahlkampf hat sich Koch etwas Ungewöhnliches einfallen lassen: Die 31-Jährige hat ihren Namen zum Programm gemacht und ein Kochbuch mit echten und politischen Rezepten erstellt (PDF). Sie kämpft für höhere Löhne, bezahlbare Wohnungen und gegen den Lehrkräftemangel.

Im Wahlkampf bekomme die SPD-Politikerin überwiegend positive Rückmeldungen, sagt sie. Keine Selbstverständlichkeit angesichts des Angriffs gegen ihren Dresdner Parteikollegen Matthias Ecke in diesem Jahr. Der Wahlkampf sei nicht einfach gewesen: Die enorm geringe Beliebtheit der Ampel-Regierung und des Bundeskanzlers hätten sich auch auf Sachsen niedergeschlagen. Nach langen Wochen des Wahlkampfs wolle sie nun aber endlich das Ergebnis wissen.

Sophie Koch gibt am Wahlabend ein TV-Interview. Foto: Jannik Pflur.

Kein Raum für landespolitische Themen

Der bisherigen Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen attestiert sie eine ordentliche Zusammenarbeit, so könne man weitermachen. „Als ich angetreten bin, waren mein Ziel zwölf Prozent“, sagt Koch, während laute Technobässe der Demonstration Tolerade das Gespräch erschweren. Ebenfalls enttäuschend, wenn auch nachvollziehbar, sei es, dass im Wahlkampf größtenteils über Themen wie den Ukraine-Krieg gesprochen werde, die in Sachsen nicht gelöst werden können.

Ein weiteres Problem sei, dass die CDU strategische Wähler*innen von der SPD gewinnen wolle. Sie nutze den weit verbreiteten Fehlglauben aus, eine Regierungsbeteiligung der AfD könne nur verhindert werden, wenn diese nicht stärkste Kraft wird: „Das ist sehr anstrengend“, berichtet Koch.

Freude über sieben Prozent

Am Wahlabend ist auch Sophie Koch ins Herbert-Wehner-Haus gekommen, in dem die sächsische SPD-Geschäftsstelle unweit des Landtags ansässig ist. Hier steigt die Wahlparty, doch ob auch gefeiert werden darf, ist fraglich. Einige Medien sind da, um von vor Ort zu berichten. Eine ZDF-Reporterin wischt sich nach erfolgreicher Liveschalte erleichtert über die Stirn.

Erst wenige Minuten vor 18 Uhr füllt sich der Raum. Alle schauen gebannt auf den Fernseher, Sekunden vor der Prognose wird die Lautstärke aufgedreht. Es ist der Moment, auf den viele der Anwesenden monatelang hingearbeitet haben.

Etwas mehr als sieben Prozent lautet die Prognose. Ein Wert, mit dem die SPD-Mitglieder angesichts der schlechten Umfragen zufrieden sind, sie klatschen erfreut. Positiv aufgenommen wird auch, dass es für eine Regierung aus CDU und BSW nicht reicht.

Überraschend begeisterte Stimmung

Es brandet Applaus auf, als Spitzenkandidatin Petra Köpping eine halbe Stunde nach der Bekanntgabe die Wahlparty betritt. Kurzerhand bilden die umstehenden Menschen ein Spalier, um den Weg auf die Bühne freizumachen. Dabei wird sie umringt von zahlreichen Parteikolleg*innen und Sicherheitsleuten. „Petra! Petra! Petra!“, schallt es durch den Raum, nachdem sie schließlich auf der Bühne angekommen ist.

Zunächst kommt Köpping vor lauter Applaus gar nicht dazu, ihre Rede zu halten: „Jetzt lasst mich doch mal anfangen“, sagt sie mit einem Lächeln. Die Rede klingt, als käme sie von der Wahlsiegerin. Dabei hat die SPD soeben mit gut sieben Prozent ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt eingefahren. Doch der absolute Worst Case, aus dem Landtag zu fliegen, ist ausgeblieben – und das ist am heutigen Abend ein Grund zur Freude.

SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping am Wahlsonntag im Landtag. Foto: Emma Askin

 

Köpping bezeichnet die Wahl als „wichtiges Erfolgserlebnis in schwierigen Zeiten“. Weiter mitzuregieren ist das erklärte Ziel. Dennoch liefere das Ergebnis keinen Anlass für eine Jubelorgie. Zugleich macht sie das Selbstverständnis der SPD klar: „Wir sind ja immer noch eine Volkspartei.“ Der Satz kommt jedoch mehr mit einem Augenzwinkern daher als aus voller Überzeugung.

Eine neue Herausforderung

Im Verlauf des Abends zeichnet sich mit den Hochrechnungen eine neue Herausforderung ab: Die Fortführung der bisherigen Kenia-Koalition ist nun nicht mehr möglich. Für eine Regierungsmehrheit braucht es das BSW.

Als Petra Köpping die Wahlparty vorzeitig verlässt, verabschiedet sie sich mit den Worten: „Ich liebe euch alle.“ Es war ein versöhnlicher Abend für die SPD. Die Interviews geben die beiden Landesvorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel. Sie werden von ihrem Pressesprecher vor die Kameras und Mikrofone der anwesenden Journalist*innen geführt. Wirklich gefragt ist an diesem Abend aber das Personal anderer Parteien.

Besuch von Wahlparty-Tourist*innen

Die politische Stimmung im Land bekommt man auf der Wahlparty zu spüren, als ein Autofahrer der Veranstaltung den Mittelfinger zeigt und mit dem für rechtsextreme Parolen genutzten Lied L’amour toujours vorbeifährt. Unter die Genoss*innen mischt sich derweil auch eine feierfreudige Gruppe der Satirepartei Die PARTEI. Über ihr eigenes Abschneiden wissen sie wenig, die offizielle Website der Landeswahlleitung sei zusammengebrochen. In sarkastischer Art sprechen sie über die Wahl und sich selbst, bevor sie zur nächsten Wahlparty weiterziehen.

Ganz verlassen: der Innenraum der SPD-Wahlparty. Foto: Jannik Pflur

 

Mit dem vorläufigen Endergebnis steht fest: Die SPD bleibt bei zehn Landtagsabgeordneten. Eine von ihnen wird in den nächsten fünf Jahren Sophie Koch sein. Sie zieht über Listenplatz drei sicher ins Landesparlament ein. Dafür wird sie von vielen beglückwünscht, herzlich umarmt und voller Freude als „Frau Abgeordnete“ angesprochen. „Erst ab 1. Oktober“, entgegnet sie. Dann findet spätestens die erste Sitzung des neuen Landtags statt.

Jannik Pflur

studiert Politikwissenschaft an der Uni Marburg und findet es wichtig, dass sich junge Menschen mit politischen Themen auseinandersetzen - vom Europäischen Parlament bis zur lokalen Ebene.

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