Die Ampel bezeichnet sich selbst als „Zukunftskoalition“, die sich besonders für junge Menschen einsetzt. Die Frage, ob sie dem gerecht wird, bleibt.
Ob er lieber Arte oder Disney+ schaue? „Ehrlich gesagt keines von beiden, ich schaue wenig Fernsehen“, sagt Olaf Scholz. Der Bundeskanzler beantwortet auf den JugendPolitikTagen nicht nur Fragen zu Klimaschutz, Bildung und Inklusion, er muss auch dem Entweder-Oder-Spiel Stand halten, mit dem er von Moderator*innen konfrontiert wird.
Die Teilnehmer*innen bekommen einen lockeren Olaf Scholz präsentiert, der über seine Döner-Präferenzen oder Kinogewohnheiten spricht. Und für den Kanzler selbst ist das die Chance, sich potentiellen jungen Wähler*innen gegenüber nahbar und modern zu geben. Natürlich gehe er lieber zu den JugendPolitikTagen als zur Kabinettssitzung. Und mit seiner Koalition, die sich selbst „Zukunftskoalition“ nennt, setze er sich mit ganz viel Herzblut für die Jugend ein. Versprechen kann man viel. Zeit, einmal nachzuprüfen, ob die Ampel wirklich eine „Zukunftskoalition“ für junge Menschen ist.
Richtungsstreit statt Reformen?
„Nach 16 Jahren CDU-geführter Bundesregierung ist die Ampel definitiv die Koalition, die am meisten für die Jugend bewirken kann“, sagt Paavo Czwikla, Pressesprecher der Jungen Liberalen, im Gespräch mit der politikorange-Redaktion. Aktienrente, Cannabis-Legalisierung und Absenkung des Wahlalters seien Projekte, die sich gezielt auf junge Menschen auswirken – trotzdem hake es bei der Fortschrittskoalition: „Besonders beim Thema Cannabis sehen wir, dass die Ampel sich als Reformkoalition noch schwer tut. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir als Jugendorganisationen weiter Druck machen.“
Bis zum Ende der Legislaturperiode hat sich die Ampel ehrgeizige Ziele gesetzt – doch momentan scheint es so, als wäre der Reformfluss ins Stocken geraten. Die Absenkung des Wahlalters ist nur mit einer Änderung des Grundgesetzes möglich, für die braucht es aber eine 2/3-Mehrheit – und dafür die Stimmen von CDU und CSU, die Wahlen ab 16 ablehnen. Die Cannabis-Legalisierung kommt, jedoch zuerst nur in Projektregionen und um die Kindergrundsicherung streiten sich Familienministerin Lisa Paus (B90/DIE GRÜNEN) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Sie braucht 12 Milliarden Euro, er fährt einen harten Sparkurs – auch, wenn es um Sozialleistungen geht.
„Es muss noch viel passieren“
Gut 3 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland leben in Armut. Für Miriam Siglreitmaier, Mitglied im Bundesvorstand der Jusos, ist die Kindergrundsicherung deswegen das wichtigste Projekt der Ampel: „Gerade Kinder- und Jugendarmut ist ein Faktor dafür, dass man nicht teilhaben kann an der Gesellschaft, dass man weniger Zugang für Bildung hat. Und Bildung ist der Schlüssel zur Zukunft.“ Dass die Koalition in Diskussionen über Details bei der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung versinkt, ärgere sie besonders, erklärt sie politikorange.
Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, sieht die Hauptschuldigen dafür bei der FDP. „Sie blockiert, was notwendig ist. Es bräuchte gerade mindestens 12 Milliarden Euro und gerade reden wir nur über ein paar wenige.“ Wie er der politikorange-Redaktion erklärt, ist er auch beim Klimaschutz, der Asylreform oder dem Umgang mit steigenden Mieten alles andere als zufrieden: „Ich sehe nicht, dass man eine Zukunfts- oder Fortschrittskoalition ist.“ Vor allem in Bezug auf den Klimaschutz müssten junge Menschen mehr gehört werden. Die Konzepte dafür liegen laut Timon Dzienus schon auf dem Tisch, aber: „Die Tendenzen gehen in die richtige Richtung, aber an vielen Stellen muss man zur Ampel sagen, dass das nicht reicht und auf keinen Fall genug ist.“
Paavo Czwikla sieht ebenfalls Verbesserungsbedarf bei der Ampel: „Ich bin zufrieden unter der Prämisse, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Bis 2025 muss noch viel passieren.“
Wie fortschrittlich kann eine Koalition sein, wenn der eigene Nachwuchs die Progressivität anzweifelt? Das werden die kommenden Monate zeigen. Fest steht: Die Ampel muss liefern – für ihre Jugendorganisationen und alle anderen jungen Menschen in Deutschland. Denn nur, wer sich wirklich für die Zukunft einsetzt, kann sich berechtigt „Zukunftskoalition“ nennen.