Journalist*innen der Generation Z schaffen den Weg von der Gegenwart zur Zukunft: Berichterstattung in Echtzeit, überall und oft weniger als eine Armlänge entfernt von denen, die sie erreichen wollen. politikorange-Redakteurin Marlene App gibt einen Einblick, welchen Chancen und Herausforderungen sich junge Medienschaffende auf Social Media stellen.
Journalismus machen – das ist Traum und Realität vieler junger Menschen, die ich bei der Youth Media Convention (YouMeCon) in Hamburg getroffen habe. Ich bin hier, weil ich wissen will, ob wir als Journalist*innen auf Social Media aktiv sein sollten und ob uns Social Media zu unabhängigeren, besseren Journalist*innen machen kann. Bisher habe ich mich TikTok verweigert und auch auf Instagram bin ich eher privat unterwegs – aber nach 12 Stunden auf der YouMeCon sitze ich im Redaktionsraum und lade mir TikTok runter. Natürlich primär zu Recherchezwecken, ein bisschen aber auch, weil ich in der Medienbranche Fuß fassen will und es mir scheint, dass das dort inzwischen eben zum Job dazu gehört. Es spricht einiges dafür, dass Journalist*innen auf Social Media aktiv sind:
Die Plattformen sind omnipräsent, denn aktuelles Zeitgeschehen wird längst nicht mehr von großen Zeitungen, Fernsehsendern oder Radio Talkshows bestimmt – egal ob es um den Krieg in der Ukraine, Trumps Präsidentschaftswahlkampf oder Energiepolitik geht. Wessen Interessen sich durchsetzen können, hängt oft auch davon ab, wer im Wettkampf um Reichweite mit Likes und Follower*innen-Zahlen überwiegt. Aber was macht Social Media so relevant für den Journalismus heute? Im Duden ist Social Media als Gesamtheit der digitalen Technologien und Medien definiert, über die Nutzer*innen miteinander kommunizieren und Inhalte austauschen können. Was dieses Medium so besonders macht, ist die Möglichkeit, in Kommentarspalten und Instafeeds aktiv auf Informationen reagieren zu können und sich untereinander auszutauschen. Auf TikTok sind es vor allem junge Nutzer*innen, die Content produzieren und konsumieren. So waren 2021 laut einer Studie von influData etwa 75% aller Contentcreator*innen unter 25 Jahre alt. Auf YouTube oder Instagram kann man sich auch ohne journalistische Ausbildung eine Reichweite aufbauen und über die Themen berichten, die einen interessieren – und das, ohne sich an unbezahlten Praktika und steilen Hierarchien in großen Medienhäusern ein Bein auszureißen. Das klingt doch nach einer Chance für junge Journalist*innen wie mich – oder?
Wenn man Tessniem Kadiri, 21, u.a. Moderatorin für das ARD- Reportagemagazin ’neuneinhalb‘ und Presenterin für den TikTok-Kanal ’nicetoknow‘ des WDR Newsroom zuhört, bekommt man den Eindruck, journalistische Arbeit ist nicht nur eine Chance, sondern unabwendbare Zukunft des Journalismus.
Journalismus in Deutschland: „Wird es noch Fernsehen geben?”
Auf die Frage, welche Rolle Social Media in der Zukunft in ihrem Beruf spielen wird, antwortet sie: „Ich mache mir keine Sorgen darüber, ob es Instagram und TikTok in der Zukunft noch gibt. Die Frage ist eher – wird es noch Fernsehen geben? Mein Traum war früher, so lange Journalismus für junge Menschen auf Social Media zu machen, wie ich selbst noch jung bin, und dann ins Fernsehen zu gehen. Das wäre perfekt gewesen. Das Ding ist nur, ich glaube, in zehn Jahren gibt es kein Fernsehen mehr, so wie ich mir das vorstelle. So eine Karriere wie Sandra Maischberger oder Anne Will, also von der Politikredakteurin in die Talkshow oder ins Radio, das kann ich mir nicht vorstellen, dass es das dann noch gibt.“
Durch das Gespräch verstehe ich, dass der Anspruch, als medienschaffende Person auf Social Media präsent zu sein, nicht für jede*n Vorteile bringt und Medienschaffende sehr unter Druck setzen kann: „Vor allem diejenigen, die inhaltlich arbeiten wollen und nicht vor der Kamera stehen wollen, die ihr Gesicht nicht zeigen wollen, werden dadurch unsichtbar.“, sagt Kadiri. Sogar bei Bewerbungsverfahren für Volontariate sei es mittlerweile Standard, eine Instastory oder einen TikTok zu machen, und auch der Auftritt auf dem Instagram Profil werde geprüft.
„Das zu fordern ist schwierig, weil Social Media richtig Arbeit ist!“ Menschen, deren Persönlichkeit das Ganze weniger entspricht oder die einfach keine Zeit finden, fielen raus. „Es ist doch nicht möglich, gleichzeitig Moderatorin für mehrere Formate zu sein und guten journalistischen Content auf Instagram und anderen Plattformen zu posten. Ich habe zwar einen aktiven Insta-Account, aber das liegt daran, dass ich aktuell bereit bin, für meinen Job einiges meiner Freizeit einzubüßen – denn wenn ich eine Instagram-Story mache oder ein Reel schneide, dann bin ich vielleicht schon im Feierabend, aber natürlich schalte ich nicht ab und entspanne – sondern ich arbeite noch.” Die Einstiegshürden seien so für manche Menschen niedriger, für andere höher geworden. Ältere Kolleg*innen seien zu Kadiri gekommen, um sie zu warnen, weil sie die Doppelbelastung irgendwann nicht mehr tragen konnten. Das liege auch daran, dass die Grenzen von Arbeit und Privatleben durch Präsenz auf sozialen Plattformen noch mehr verschwimmen. Klingt so, als würde Social Media uns vor allem zu Journalist*innen machen, die bald nervlich am Ende sind.
„Das Beste daran, dass man sich als Journalistin auf Insta oder TikTok etablieren kann, ist, dass etablierte Medienhäuser nicht mehr so arrogant sein können“
Aber Kadiri gibt auch Einblick in die guten Seiten: „Es ist cool, weil Minderheiten eine Stimme bekommen. Das Beste daran, dass man sich als Journalistin auf Insta oder TikTok etablieren kann, ist, dass etablierte Medienhäuser nicht mehr so arrogant sein können. So was wie unbezahlte Praktika bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, das ist einfach respektlos. Jetzt haben die Leute in den Redaktionen gemerkt, dass sie die Plattformen alleine nicht verstehen, dass sie die jungen Leute jetzt brauchen. Und dass die jungen Leute sich auch einfach selbst etablieren können. Ich hoffe, dass Redaktionen sich jetzt mehr Mühe um junge Journalist*innen geben.”
Bemerkenswert ist auch, dass gute Formate die Menschen erreichen, die sonst wenig durch etablierte Nachrichtenplattformen mitbekommen. „Es gibt Redaktionen, die die Plattformen wirklich verstehen, die jede Woche daran arbeiten, besser zu werden. Wir erreichen so wirklich diejenigen, die wir erreichen wollen. Wahrscheinlich erreicht niemand sonst unsere Community mit Nachrichten-Inhalten, eben weil es sonst kaum Nachrichtenkanäle gibt, die die Ressourcen haben, das anzubieten. Zum Beispiel haben wir beim WDR Newsroom TikTok-Kanal ’nicetoknow‘ vor Kurzem über den Krieg in Äthiopien berichtet. Das waren laut Viewzahl über dreihunderttausend Vierzehn- bis Sechzehnjährige, die sich das ganz angesehen haben. Sie haben durch unsere Arbeit verstanden, dass es da einen Krieg gibt, über den kaum gesprochen wird, einfach weil es ein Nischenthema zu sein scheint”, sagt Kadiri.
Journalismus auf TikTok und Co. – lohnt es sich?
Das Wort Nischenthema habe ich in den letzten Tagen oft im Zusammenhang mit Journalismus auf Social Media gehört. Nischenthema, weil sich manche Themen für klassische Medien nicht lohnen, weil sie nicht die breite Masse an Zuschauer*innen ziehen. Nischenthema, weil es außer im individuell abgestimmten Algorithmus nirgendwo sonst geboten wird. Geboten wie Angebot, Angebot wie Nachfrage, übersetzt sich in Gewinn maximieren, führt mich zu der Frage, wer eigentlich daran verdient, wenn mein TikTok viral geht. Für Content-Creator*innen geht das auf Instagram und TikTok vor allem über Werbung und Sponsoring-Verträge, was für Journalist*innen eigentlich ein berufliches No-Go ist. Deshalb nutzen viele Medienhäuser und Redaktionen Plattformen wie TikTok und Instagram, um Nutzer*innen auf ihre eigenen Websites zu locken. Es gibt auch Kritik daran, dass öffentliche Medienhäuser diese Plattformen nutzen, wie beispielsweise der Deutschlandfunk schon in einem Artikel berichtete. Denn Journalist*innen, die dort aktiv sind, müssen sich nach den Spielregeln privater Konzerne richten, die Macht darüber erlangen, wie politische Nachrichten verbreitet werden.
Die Frage, ob Social Media uns zu unabhängigeren und besseren Journalist*innen macht, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Ja, weil wir freier in unserer Themenauswahl sind, uns als Anfänger*innen unabhängig von der Gunst älterer Kolleg*innen entwickeln können, weil wir junge, spannende Formate ausprobieren können. Nein, weil das ständige Posten und online präsent sein uns unter Druck setzt, weil wir von Social Media nicht leben können und wir umso abhängiger von Klicks und Views werden. Dennoch sind Plattformen wie TikTok und Instagram nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken und es bleibt wichtig, dass junge Journalist*innen dort präsent sind und so die Menschen erreichen, die sonst kaum mit seriöser Berichterstattung in Kontakt kommen.