Wie wäre es Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin zu sein? Bei der Aktion „Germany’s next BundeskanzlerIn“ darf sich jeder zwischen 18 und 25 Jahren im Onlinewahlkampf ausprobieren. Charline Lelgemann interviewte den 21-jährigen Kandidaten Nicolas Klein-Zirbes.
Warum willst du “Germany’s next BundeskanzlerIn” werden?
Ich will Germanys next Bundeskanzler werden, weil es in Deutschland und anderen Demokratien das Problem gibt, dass Jugendliche sich politisch nicht involvieren. Das kann zu Lasten der Jugendlichen gehen, weil politische Entscheidungen auch ihre Zukunft betreffen. Ich glaube, die einzige Möglichkeit das zu verändern ist, wenn sich die Jugendlichen selber einmischen, weil es sonst keiner für sie tun wird.
Wie funktioniert der Wahlkampf bei der Aktion?
Das läuft sehr viel über Soziale Netze. Es ist natürlich nur ein relativ kleiner Wahlkampf, nicht zu vergleichen mit nationalen Wahlkämpfen, bei denen es die Diskussion um die Auswirkungen von Social Bots gibt – automatisierte Online-Profile, die Wähler anschreiben und von Parteien überzeugen sollen. So schlimm ist es bei mir nicht, aber auch ich habe einen Großteil der Stimmen über soziale Netze bekommen, indem ich Freunde angeschrieben habe.
Seit dem ersten Juli geht der Wahlkampf. Wie bei den großen Bundestagswahlen zählen die Stimmen, derzeit hast du 1015 und liegst auf dem zweiten Platz. Bist Du mit deiner Darbietung zufrieden?
Ich bin bisher sehr zufrieden. Ich habe in der Woche, bevor das letzte Video hochgeladen werden sollte, Klausuren geschrieben. Das war vorerst wichtiger als Bundeskanzler zu werden. So musste ich das dritte Challenge-Video verspätet hochladen und bin vom zweiten Platz für eine Woche komplett aus dem Finalistenfeld rausgerutscht. In den vergangenen vier Tagen habe ich es aber wieder auf den zweiten Platz geschafft. Ob ich den ersten Platz jetzt noch hole, wird sich dann zeigen. Für den Finaleinzug reicht aber auch der zweite Platz und damit bin ich sehr zufrieden.
Wenn du Bundeskanzler wärst, was würdest du als erstes ändern?
Mein Motto ist: „Mehr Ideen wagen.“ Das ist noch keine inhaltliche Forderung, sondern eine strukturelle. Oft erscheinen politische Diskussionen Jugendlichen so fern, dass sie den Eindruck bekommen, sie könnten eh nichts ändern. Aber Einmischen lohnt sich. Man muss nur zeigen, dass Politik nicht alternativlos ist, sondern dass es für jedes Problem verschiedene Lösungsansätze gibt.
Zum Beispiel gab es jetzt die Diesel-Diskussion. Das Problem hier ist, dass Diesel schädlich zu sein scheint. Grundsätzlich würden dem wahrscheinlich alle zustimmen. Lösungsansätze gibt es aber verschiedene: Ein striktes Fahrverbot, man könnte in andere Technologien investieren oder vielleicht erstmal abwarten und Diesel weiter erforschen. Man kann sich des Problems also auf verschiedene Weisen annehmen. Ich habe oft den Eindruck, dass im politischen Alltag alles so wirkt, als gäbe es nur den einen richtigen Weg. Die Parteien sollten den Mut haben, verschiedene Anträge einzubringen, die Medien die Diskussion als Vermittler begleiten. So kann der Prozess zu einer Initiative der Bürger selber werden, wie es das Grundgesetz vorsieht: Das Volk als Souverän.
Stichwort: Generationengerechtigkeit. Was sind deine Anliegen?
Generationengerechtigkeit ist auf verschiedenen Ebenen notwendig, beispielsweile finanziell oder mit Blick auf die Umwelt. Was die finanzielle Generationengerechtigkeit angeht, könnte man zum Beispiel gucken, wie hoch der Schulendstand pro Kopf bei der Geburt eines Kindes ist. Wenn das Kind 18 Jahre später wahlberechtigt ist, hat die Verschuldung einen anderen Wert als bei der Geburt, oftmals einen höheren. Die Differenz zwischen beiden Werten, zum Beispiel 6.000 Euro, könnte dann als Steuerfreibetrag angerechnet werden. Schließlich sind die Schulden in einem Zeitraum entstanden, in dem der jeweilige Bürger noch keine politischen Entscheidungen treffen konnte, also gegen seinen Willen. Das ist ein provokantes Konzept, aber eine neue Idee, wie man für mehr Generationengerechtigkeit sorgen könnte.
Was ist der Vorteil einer Direktwahl des Bundeskanzlers oder Kanzlerin gegenüber der Abgeordneten des Bundestags?
Der Wille unseres Volkes kanalisiert sich laut dem Grundgesetz bereits heute in den Abgeordneten, die den Bundeskanzler wählen. Es ist dennoch vielleicht gar nicht blöd, mehr Mitbestimmung zu ermöglichen. Vielleicht sollte man direktdemokratische Elemente aber zunächst in Personenfragen ausprobieren und nicht sofort bei den Inhalten. Denn auch die Demokratie ist per se kein Wundermittel. Inwieweit sich das grundgesetzkonform realisieren ließe, müssen Juristen bewerten. Ich würde nicht mit dem Bundeskanzler auf Bundesebene anfangen, es aber grundsätzlich begrüßen, wenn es mehr direkte Entscheidungen gäbe.
Auf Facebook hast du kurz nach den US-Wahlen 2016 gepostet: “Kommt, ihr habt doch 100% auch alle mal aus Spaß (Sic) den Trottel zum Klassensprecher gewählt”. Martin Schulz wurde mit 100 Prozent zum Kanzlerkandidat der SPD gewählt. Denkst du, das ist auch das Motto der SPD?
Die SPD ist eine traditionsreiche Partei. Ich weiß nicht, ob man den Delegierten unterstellen will, dass sie eben alle “aus Spaß einen Trottel” wählen. Aber tatsächlich sind in einer Demokratie die Entscheidungen nur so gut, wie die Leute informiert sind und abhängig von ihren Absichten. Ergebnisse von 100 Prozent sind für mich, als pluralistisch und freiheitlich denkenden Menschen, immer sehr suspekt. Sie klingen nach Personenkult und dem einen, einzigen richtigen Weg. Dabei lebt Demokratie eigentlich nicht vom Konsens. Das, was sie von allen anderen politischen Systemen, die wir vorher hatten, unterscheidet, ist der Widerspruch. Das bedeutet, dass auch abweichende Meinungen ertragen werden und dass es eben nicht immer 100 Prozent Zustimmung bei allem geben muss. Bei solchen Ergebnissen kriege ich einen kleinen DDR-Flashback.
Der Jugend heutzutage wird immer wieder Politikverdrossenheit vorgeworfen. Wie kann man die Jugend stärker für Politik begeistern und einbinden?
Die Jugendlichen sind eigentlich gar nicht in der Bringschuld. Sie werden in ein System reingeboren, in dem man von ihnen erwartet, dass sie sich für Politik interessieren und wählen gehen. Doch während sie aufwachsen, treffen die meiste Zeit andere, nämlich die Eltern, für sie Entscheidungen. So denkt man schnell, dass andere Menschen eben im eigenen Sinne handeln, wie es vielleicht die Eltern tun. Und erst, wenn man älter wird, merkt man vielleicht, dass man manche Dinge selbst ganz anders gemacht hätte. So ist das auch bei politischen Entscheidungen. Deswegen ist es wichtig, schon ganz früh in der Schule und durch gelebten Dialog in der Politik Jugendlichen zu zeigen, dass sie selber mitentscheiden können und dass es nur zu ihrem Nachteil sein kann, sich nicht einzubringen.
Was möchtest Du den jungen Menschen, die im September das erste Mal wählen dürfen, mit auf den Weg geben?
Nicht nur auf den zu hören, der am lautesten schreit, sondern sich auch andere Stimmen anzuhören und sich dann in Ruhe Gedanken zu machen, was dem eigenen Weltbild am ehesten entspricht. Und wenn es keine solche Partei gibt, dann sich selber zu engagieren. Aber resignieren kann nicht die richtige Entscheidung sein.