„Die Geschichten liegen vor der Haustür“

Jessica Schober ist freie Reporterin für Magazine und Zeitungen wie Focus, Süddeutsche Zeitung und Zeit Online. Für drei Monate und einen Tag war sie in Deutschlands Lokalredaktionen unterwegs – ohne Auto, Handy, Laptop und Geld. Vorbild für ihre Reise war die Handwerkertradition der Walz.

Jessica Schober mit Nil Idil Cakmak. (Fotos: Kai Peters)
Jessica Schober mit Nil Idil Cakmak. (Fotos: Kai Peters)

politikorange: Jessica, du bist gerade auf der Walz. Wie kamst du als Journalistin auf die Idee dazu?

Jessica Schober: Ich bin auf der Wortwalz. Ich sage immer, dass ich keine echte Wandergesellin bin, sondern als Journalistin durch die Lokalredaktion tippele und dabei die Regeln der Walz einhalte. Vor anderthalb Jahren habe ich eine Bäckergesellin interviewt, davor wusste ich gar nicht, dass auch Frauen auf die traditionelle Wanderschaft gehen. Mittlerweile habe ich eine freireisende Buchbinderin, eine freireisende Landwirtin, Steinmetze, Tischler und natürlich Zimmermänner getroffen.

Ich will jetzt anfangen, dazuzulernen: Verschiedene „Meisterbetriebe“ suchen und dort arbeiten. Auf der Journalistenschule in München haben alle immer gesagt: Journalismus ist ein Handwerk. Also spricht auch nichts dagegen, dass ich auf die Wortwalz gehe.

Was hast du bisher auf der Wanderschaft gelernt?

Das ist ganz schwer zu sagen, es gab so viele tolle Erlebnisse. Gelernt habe ich, dass Lokaljournalismus nach wie vor etwas Großartiges ist: Du bist ganz nah dran an den Menschen, du kannst journalistisch wahnsinnig viel ausprobieren und in den Redaktionen gibt es ganz unterschiedliche Arbeitsbedingungen. Manchmal habe ich ganz klassische Lokaltermine besucht und bin zur Waldbegehung mit dem Gemeinderat und Lokalpolitikern gegangen und habe mir alles über den Baum des Jahres 2014 erzählen lassen – der ist übrigens die Trauben-Eiche. Andere Themen waren zum Beispiel, dass die letzte Kneipe im Ort bald schließt und ich dort noch ein letztes Bier trinke und dabei herausfinde, was den Leuten wichtig ist. Ganz breit gestreute Themen, die man in dieser Bandbreite nur im Lokaljournalismus kennenlernt.

Es gibt in ganz Deutschland Menschen, die das mit wahnsinnig viel Leidenschaft machen. Ich habe schon viele ganz tolle Kollegen kennengelernt. An manchen Stellen habe ich allerdings auch gedacht: Krass, wie wenig ich hier verdiene! Krass, unter welchen Bedingungen hier gearbeitet wird, wie viele Texte jeder am Tag raushauen muss. Es ist manchmal ein echt hartes Handwerk. Begeistert war ich, wie freundlich ich überall aufgenommen wurde. Auch wenn manche Situationen seltsam waren – ich habe immer einen Schlafplatz bekommen.

"Ich sehe mich selbst immer noch als angehende Journalistin." (Foto: Zeno Pensky)
„Ich sehe mich selbst immer noch als angehende Journalistin.“ (Foto: Zeno Pensky)

Was ist das Besondere am Lokaljournalismus und möchtest du in der Richtung weiterarbeiten?

Eine Doppelfrage! Ich suche mir aus, worauf ich antworte – zu dem zweiten Teil kann ich noch gar nicht so viel sagen. Ich bin gerade noch voll auf die Reise fixiert, drei Monaten und einen Tag auf der Straße habe ich jetzt hinter mir. Eigentlich sollte dieses Projekt beendet sein, aber ich will noch weiter reisen. Ob ich in einer Redaktion fest andocken will, kann ich noch nicht sagen. Das Besondere am Lokaljournalismus ist für mich seine Vielfalt und die Nähe zu den Menschen. Die Geschichten liegen tatsächlich vor der Haustür. Was immer dir auffällt: Schreib darüber!

Wie stehst du zu Klischees über Lokalreporter? Muss man wirklich ständig Artikel über Kaninchenzüchter oder Bürgermeister schreiben?

Zuerst einmal: Ich liebe Kaninchenzüchtervereine! Das Vereinswesen in Deutschland ist insgesamt sehr spannend und liefert auch viele Themen. Ich erinnere mich an eine Seite Drei in der Süddeutschen, wo Holger Gertz, dieser großartige Reporter, über die Geschichte der Kaninchenzüchtervereine geschrieben hat, weil man darin die ganze Geschichte Deutschlands erkennen kann. Und da ist etwas dran: Wenn man die großen Zusammenhänge verstehen will, muss man sehen, wie die Dinge im Kleinen funktionieren. Die Figuren, die man da trifft, sind spannend: Sei es ein Landrat, der Pfusch am Bau durchgewinkt hat, das hatte ich in einer Redaktion, oder ein Tiefseetaucher. Du kannst den Menschen am Frühstückstisch Geschichten erzählen, die vor ihrer Haustür passieren. Das ist ein wichtiges Handwerk im Journalismus und das wird auch nicht aussterben.

Was würdest du jungen Menschen wie uns mit auf den Weg geben? Wie kann man den Sprung in den Journalismus schaffen?

Ich sehe mich selbst immer noch als angehende Journalistin. Mein Tipp ist: Traut euch! Geht dahin, wo die Bauchschmerzen sind. Da, wo es am meisten zieht, lohnt es sich auch am meisten nachzuhaken. Sucht euch Gleichgesinnte. Niemand kann alles, mir haben auf meinem Weg auch sehr viele Leute geholfen. Und immer weitermachen. Ganz wichtig: Nicht auf das Krisengejammer hören! Das, worauf du am meisten Bock hast, kannst du auch am besten.

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Ein toll geschriebenes Interview über den Lokaljournalismus und über Wortwalz! Mach weiter so, das macht neugierig auf mehr Text von dir. 🙂
    Mit freundlichen Grüßen
    Siegfried Schober

    Antworten
  • Liebe Jessica,

    ein tolles Projekt und eine großartige mediale Umsetzung auf Deiner Wortwalzseite – ich habe im letzten Jahr immer gerne drauf geschaut. Dir weiterhin frohes Tippeln und viele eindrückliche Erlebnisse!

    Schöne Grüße von Doerthe

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.