Die Energiewende ist in vollem Gange. Was kommt da auf Verbraucher*innen zu? Elisabeth Fleschutz hat sich beim Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft umgehört.
Ein Zaun in Berlin-Kreuzberg. Auf einer Seite ein Park, Jugendliche fahren Longboard, immer wieder rauscht eine U-Bahn vorbei, Kleinkinder stapfen an der Hand ihrer Eltern den Zaun entlang und schauen neugierig durch die Metallstäbe auf die andere Seite. Dort erfüllt das Rauschen angeregter Gespräche das Veranstaltungsgelände STATION in Berlin. Anfang Juni findet hier der Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) statt. Energiemanager vom Typus männlich, weiß, Ü50, mit Anzug – aber inzwischen zumeist ohne Krawatte – treffen vor Ort auf ihresgleichen. Zwei Tage lang wird über die Zukunft der Energieversorgung diskutiert und damit auch die Zukunft der Menschen außerhalb des Zauns bestimmt.
Das Thema Energiewende drängt, gerade im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Das ist auch beim Kongress spürbar. Nach seiner Rede vor den versammelten Branchenvertreter*innen plädiert Olaf Scholz im Interview mit politikorange auf Zuversicht: „Jede und jeder kann einen kleinen Beitrag leisten” und zeigt sich optimistisch, „dass uns das gelingen kann.“ Dennoch: die Klimaneutralität bis 2045 – das scheint auch hier der Konsens – wird ein Kraftakt, für die Wirtschaft und private Haushalte. In den Worten von Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, ist das Vorhaben „hochambitioniert“. Wie viel Verantwortung liegt bei den Menschen auf der anderen Seite des Zauns? Was wird sich für uns verändern? Und was können wir tun, um die Energiewende voranzutreiben?
Hauptverantwortung liegt bei der Politik
Die wesentlichen Rahmenbedingungen für Veränderung setze nach wie vor die Politik, so Jan Strobel. Der Abteilungsleiter beim BDEW für Regulierung, Marktkommunikation und Mobilität macht klar: „Ich bin kein Anhänger der These, dass der Konsument mit seinen Entscheidungen die Energiewende alleine bewältigen kann“. Dennoch sieht er auch für Privathaushalte Wege, die Energiewende voranzubringen. Zentral seien hier die individuelle Wahl des Strom- und Gaslieferanten, die Installation einer Photovoltaik-Anlage und nachhaltige Arten der Beheizung.
Ökostrom und investieren in Photovoltaik oder Wärmepumpen
Bis 2035 soll die deutsche Energieversorgung fast gänzlich durch erneuerbare Energien gesichert sein – soweit das Ziel des kürzlich novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wer zu Strom aus Biomasse, Solar, Wind und Co. wechseln will, hat viele Möglichkeiten. Bei der Orientierung helfen Zertifizierungen wie vom TÜV oder das „ok-power-Siegel”.
Hat man Einfluss auf die eigene Heizsituation, lohnt sich die Installation einer Luftwärmepumpe, das wird auch auf dem Kongress immer wieder betont. Fernwärme kann ebenfalls eine nachhaltige Lösung sein. Noch ist die dafür genutzte Wärmeenergie laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aber nicht eindeutig den erneuerbaren oder fossilen Energieträgern zuzuordnen, da hier stärker auf Abwärme und grüne Energie umgestellt werden muss. Am besten eignet sich Fernwärme für Städte, weil sich der Ausbau des Wärmenetzes bei geringer Bebauung weniger lohnt. In ländlichen Regionen ist die Wärmepumpe also passender. Aber auch um diese zu betreiben, braucht es Strom – bestenfalls natürlich aus erneuerbaren Quellen. Mehr Unabhängigkeit als die Wahl eines Ökostromanbieters kann die Installation einer eigenen Photovoltaik-Anlage schaffen.
Doch die Installation von Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen ist nicht für jeden Privathaushalt eine Option. Die Preise bleiben trotz der höheren staatlichen Bezuschussung ein Problem, so Hasibe Dündar, zuständig für die Energierechtsberatung bei der Verbraucherzentrale Berlin.
Hinzu kommt, dass es aktuell einen starken Material- und Fachkräftemangel für Wärmepumpen und Photovoltaik gibt, so Andreas Habermehl vom Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke beim Kongress. Das bekommen auch Verbraucher*innen zu spüren, die sich erneuerbare Energieanlagen leisten könnten. „Da bestehen noch sehr viele Hürden. Was sich der Staat vorstellt, ist derzeit gar nicht umsetzbar“, so Dündar.
Dann doch lieber Energiesparen?
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck unterstreicht in seiner Rede am Abend des ersten Kongresstages, dass Verbraucher*innen vor allem durch eines helfen können: Energieeffizienz, sprich Einsparung. Das schone den Geldbeutel und verkürze außerdem den Weg zu einer CO2-neutralen Gesellschaft. Mitte Mai hat er daher den Arbeitsplan Energieeffizienz vorgelegt. Was kompliziert klingt, hat einen simplen Hintergrund, wie im Arbeitsplan erläutert wird: zur Erreichung der deutschen Klimaziele ist gegenüber 2008 eine Senkung des Energieverbrauchs um 24 Prozent vorgesehen. Von 2008 bis 2018 wurden aber gerade einmal 2 Prozent eingespart. Der Arbeitsplan ist also eine Art ausführliche To-Do-Liste des Ministeriums.
Neben vielen weiteren Punkten kündigt der Arbeitsplan eine Kampagne an, die sich mit „praxisnahen Tipps und Beratung“ auch an Verbraucher*innen richtet. Habeck ruft bei seiner Rede beim BDEW-Kongress auch die Branche und Verbände dazu auf, sich an der Kampagne zu beteiligen: „Das ist keine Kampagne der Bundesregierung, es ist keine Kampagne des Wirtschaftsministeriums, es ist schon gar keine parteipolitische Kampagne. Es kann nur funktionieren, wenn es eine Kampagne von Deutschland für Deutschland sein wird.“ Details zu verfügbaren Sprachen, Barrierefreiheit und Ausspielkanälen verriet Stephan Gabriel Haufe, Pressesprecher des BMWK, politikorange im Interview auf dem Kongress am 2. Juni noch nicht.
Update: Am 10. Juni wurde die Kampagne „80 Millionen gemeinsam für Energiewechsel” nun gestartet. Mehr Infos dazu gibt es hier.
Energiesparen ist für viele Bürger*innen alleine wegen des Kostenfaktors natürlich nichts Neues. Wie viel die Spartipps des BMWK hier noch weiterhelfen können, wird sich zeigen. Für Privathaushalte sieht Kai Lobo, Sprecher des Anbieters für Energie- und Klimatechnik Viessmann, als kurzfristige Sparstrategie bei steigenden Preisen vor allem die Digitalisierung der Geräte und des eigenen Strom- und Gasverbrauchs: „Im Moment weiß man oft nicht genau, was man verbraucht und was bei der Heizkostenabrechnung auf einen zukommt. Die Frage ist: Wie kann man transparent machen, was der eigene Energieverbrauch für Kosten auslöst und welche großen Einsparmöglichkeiten sich aus der Digitalisierung ergeben?“
Hasibe Dündar von der Verbraucherzentrale sagt zum Thema Energiesparen: „Natürlich ist es eine gute Sache, wenn die einzelnen Verbraucher auch sparsam mit Strom und Gas umgehen. Die Reserven sind knapp, wir sind angewiesen auf andere Länder. Aber stellen Sie sich vor, ich bin Mieterin einer Wohnung und die Wohnung ist schlecht gedämmt. Es müssen auch die Vermieter in die Pflicht genommen werden.“ Der Arbeitsplan Energieeffizienz sieht hierfür vor, höhere CO2-Preise aufgrund von schlechter Energiebilanz eines Gebäudes zukünftig zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen aufzuteilen – als Motivation für energetische Sanierungen.
Die Rolle der Konsument*innen in der Energiewende
Um Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und Autokratien zu erreichen, liegt viel Verantwortung bei Politik und Wirtschaft. Auch Kerstin Andreae vom BDEW unterstreicht, worin sich alle einig scheinen: Zur Energiewende gehört mehr als das Engagement der Konsument*innen.
Aber auch für Bürger*innen ist es möglich, sich frühzeitig auf die Energiewende einzustellen und sie damit anzutreiben. Da bei Photovoltaik und Wärmepumpen derzeit noch Hindernisse wie Material- und Fachkräftemangel bestehen, sehen Wirtschaft und Politik Energiesparen als zweite wichtige Säule der Klimaneutralität – auf privater Ebene und auch im Wohnungssektor.
Während am letzten Abend des BDEW-Kongresses Krawattenknoten gelockert werden, und der eine oder die andere schon beginnt, das Rollköfferchen zu packen und den Heimweg gen andere Seite des Zauns anzutreten, wandelt sich das Klima und wütet der Angriffskrieg auf ukrainischem Gebiet weiter. Das Vorhaben Energiewende wird so in den nächsten Jahren weiter an Relevanz gewinnen. Je nach den eigenen Möglichkeiten gibt es verschiedene Optionen für jene, die sich proaktiv beteiligen möchten. Dass diese Angebote beispielsweise durch die im Arbeitsplan Energieeffizienz angekündigten Maßnahmen bald verfügbarer und günstiger werden, ist zu hoffen. Die Perspektiven beim Kongress zeigen aber auch, wie wichtig es fürs Vorankommen der Energiewende bleibt, über den eigenen Konsum hinaus Druck auf politische und wirtschaftliche Kräfte auszuüben – damit die Verantwortung, die hier liegt, auch übernommen wird.