Scholz gegen Baerbock: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland konkurrieren zwei Kanzlerkandidierende um das Direktmandat in einem Wahlkreis. Gewinnen kann dabei nur eine*r. Aber wie wichtig ist das eigentlich? Christine Laqua über das Duell um Wahlkreis 61.
Am 26. September 2021 wählen die Bürger*innen aus Potsdam und einigen umliegenden Gemeinden mit ihrer Erststimme, welche*r Politiker*in als Abgeordnete*r für den Wahlkreis 61 in den Bundestag einziehen soll. Neben Annalena Baerbock (Die Grünen/Bündnis90) und Olaf Scholz (SPD) sind Dr. Saskia Ludwig (CDU) und Norbert Müller (Die Linke) sowie 13 weitere Kandidierende für das Direktmandat zugelassen. Wer die meisten Stimmen hat, gewinnt den Wahlkreis. Auf diese Art wird die Hälfte der Plätze im deutschen Bundestag besetzt. Die andere Hälfte wird durch die Zweitstimme bestimmt.
Der Wahlkreis 61, der Potsdam, sowie die angrenzenden Gemeinden Kleinmachnow, Michendorf, Nuthetal, Schwielowsee, Stahnsdorf, Teltow und Ludwigsfelde umfasst, gilt historisch als stark umkämpft. Bei den Bundestagswahlen entschieden immer nur wenige Prozentpunkte, ob die Kandidierenden der SPD oder CDU die Mehrzahl der Stimmen erhielt. Wahl für Wahl tauschten die beiden Parteien immer wieder den ersten Platz. 2017 erhielt Manja Schüle als einzige SPD-Abgeordnete in Ostdeutschland ein Direktmandat für den Bundestag. Bei den Landtagswahlen 2019 gewann erstmals die Grünen das Direktmandat für den Wahlkreis Potsdam I. Im Moment liegt Olaf Scholz laut dem Prognoseportal election.de klar vorne und wird zu 99% das Direktmandat gewinnen.
Sind Baerbock und Scholz Potsdamer*innen?
Ein Kandidat*in für die Erststimme muss nicht zwingend im Wahlkreis wohnen. Trotzdem entscheiden sich viele für eine Kandidatur in ihrem Wohnort. So auch die beiden Kanzler*innenkandidierenden.
Annalena Baerbock ist in Potsdam keine Unbekannte. Sie trat bereits für die Bundestagswahlen 2013 und 2017 als Direktkandidatin im Wahlkreis 61 an. Seit circa zehn Jahren wohnt sie in Potsdam. „Mein Herz und mein Zuhause sind in Potsdam“, schreibt sie auf ihrer Webseite. Vor ein paar Jahren hat sie zusammen mit ihrem Mann den Verein „Hand in Hand Potsdam e.V.“ gegründet, der es Flüchtlingen erleichtern soll, in der Landeshauptstadt anzukommen. Den Vorsitz hat sie allerdings abgegeben.
Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist eigentlich mehr mit Hamburg verwurzelt. Dort war er sieben Jahre lang Bürgermeister, bis er 2018 zum Bundesfinanzminister ernannt wurde. Er nennt die Stadt Potsdam seit vier Jahren sein Zuhause. Für die 300.000 Menschen aus seinem Wahlkreis möchte er nun „deren Stimme im Bundestag sein“.
Gemäßigter Wahlkampf oder große Bühne?
Um auch die Bevölkerung der Landeshauptstadt und Umgebung zu überzeugen, ist Scholz nach Auskunft an einem Wahlstand der SPD besonders oft in der Region unterwegs. Er führt viele Bürger*innengespräche, meist ohne viel Aufregung auf kleinen Bühnen oder am Stehtisch. Es würde schon ein besonderer Fokus auf den Wahlkreis 61 gelegt, so Pete Heuer, Mitglied im Vorstand der SPD-Fraktion Potsdam: „Das hier ist Kampfgebiet.“
Das weiß auch Annalena Baerbock. Ähnlich wie ihr Kontrahent ist sie neben ihrer Deutschlandtour viel im Wahlkreis unterwegs. Ihren Wahlkampf vor Ort zieht sie allerdings etwas größer auf. Bei ihrem Format „Frag Annalena Baerbock“ stellt sie sich auf großer Bühne medienwirksam den Fragen der Potsdamer Bürger*innen. Auch wer in der Innenstadt unterwegs ist, kommt nicht umher, sich mit dem Wahlprogramm der Grünen zu beschäftigen. Auf der Friedrich-Ebert-Straße kurz vor der Fußgängerzone hat der Kreisvorstand der Grünen einen Begegnungsort eingerichtet – inklusive interaktiver Tafel, Selfie-Requisiten und einer Ausstellung der Wahlprogramminhalte. Vor Ort seien immer zwei Personen, die für alle Fragen ansprechbar sind. Auch die langen Öffnungszeiten seien bewusst gewählt, erklärt Ken Gericke, Vorsitzender des Kreisvorstandes.
Dabei ist das alles gar nicht so wichtig, oder?
Beide Kandidierenden machen also intensiv Werbung für sich in Potsdam und Umgebung. Dabei haben sie eigentlich nichts zu verlieren. Sollten Scholz oder Baerbock nicht die Mehrzahl der Erststimmen im Wahlkreis erhalten, würden sie durch ihren jeweils ersten Listenplatz über die Zweitstimme einen Sitz im Bundestag bekommen. Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU, tritt beispielsweise gar nicht als Direktkandidat in seinem Wahlkreis Aachen II an und wird nur über die Zweitstimme gewählt. Um Bundeskanzler*in zu werden, braucht es aber nicht einmal das. Das Grundgesetz sieht nicht vor, dass Kanzler*innen dem Bundestag angehören müssen.
Aber wozu dann der ganze Wahlkampf um die Erststimmen im Wahlkreis 61? Auch wenn man über das Direktmandat nicht die Leitung der Bundesregierung wählt, so setzt sich doch die Hälfte der Sitze aus den gewählten Erststimmen zusammen – und das ist wichtig bei Abstimmungsentscheidungen. Und es gibt noch einen weiteren, einfachen Grund: „Aus Respekt vor dem System“, erklärt Nico Marquardt, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der SPD Potsdam.