Weltweiter Frieden nach Thomas Morus oder globaler Dauerkrieg à la George Orwell? Welches Szenario scheint momentan realistischer zu sein? Die „Youth for Peace“-Konferenz bringt unseren Autor Vincent Kretschmer zum Nachdenken über den Frieden.
Das Jahr 2017 gilt als eines der gewaltsamsten Jahre seit dem Kalten Krieg, und alle zwei Sekunden muss eine Person vor Krieg und Terror fliehen. Das wirft schnell die Frage auf: Ist die Utopie vom Weltfrieden in noch weitere Ferne gerückt?
Zunächst müssen wir feststellen, dass wir in einer sehr privilegierten Position sind. Wer 1870 in Deutschland geboren wurde und mindestens 70 Jahre alt wurde, der erlebte drei Kriege mit. Wer heute dieses Alter erreicht hat, musste keinen Krieg, wohl aber dessen Konsequenzen, spüren.
Es lässt sich feststellen, dass der Frieden, den wir zumindest innerhalb Europas genießen dürfen, einen historischen Ausnahmezustand darstellt. Die ersten Kriege entstanden mit der Sesshaftwerdung und damit mit der Inbesitznahme von größeren Landstücken, so der Archäologe Harald Meller. Seitdem scheinen Kriege eine große Rolle in der Menschheitsgeschichte gespielt zu haben, was wir nicht zuletzt an der jüngsten Geschichte Europas bemerken – beide Weltkriege haben unser heutiges Zusammenleben essenziell geprägt. So wäre die EU ohne diese historischen Entwicklungen kaum denkbar gewesen.
Schnell trifft man auch auf die umstrittene These des britischen Historikers Ian Morris, dass durch die Kriege die Welt immer sicherer werde und der Fortschritt vorangetrieben werde. Dies liege daran, dass erst durch Kriege große Gesellschaften, wie wir sie heute kennen, entstanden seien, in welchen ein friedliches Zusammenleben möglich ist. Auch technische Innovationen sind maßgeblich von Kriegen beeinflusst – man denke nur an das „Space Race“ zwischen den USA und der Sowjetunion . Auf die Frage nach einer Welt, in der es niemals Krieg gegeben hätte, antwortete er: „Es gäbe vermutlich ein paar Millionen Menschen auf der Welt. Wie in Jäger- und Sammlergemeinschaften würden wir ständig von Ort zu Ort wandern, mit einer sehr niedrigen Lebenserwartung.“
Ist Weltfrieden überhaupt möglich?
„Homo homini lupus“ – der Mensch ist des Menschen Wolf, sagte Thomas Hobbes. Das suggeriert schon, dass zwischenmenschlicher Frieden nicht als Normalzustand angesehen werden kann, sondern erst hergestellt werden muss. Ansonsten herrsche ein Krieg aller gegen alle. Thomas Elbert, Professor für Neuropsychologie an der Universität Konstanz, malt ein ähnlich schwarzes Bild: „Ich bin überzeugt, dass der Mensch darauf ausgelegt ist, Gewalt auszuüben. Menschen können Menschen töten, und in primitiven Kulturen tun sie das auch.“ Dies komme vom Jagdtrieb, der bereits vor zwei Millionen Jahren entwickelt wurde und nur mittels zivilisatorischer Errungenschaften unterdrückt werden könne.
Es ist schwer beurteilbar, ob es sich hierbei nur um ein übertrieben pessimistisches Menschenbild oder eine realistische Einschätzung handelt. Das hängt auch mit den persönlichen Erfahrungen zusammen. Wer in Konfliktländern wie Syrien lebt, und selbst die Gräueltaten erfährt, die man hier nur in der Zeitung liest, hat darauf sicherlich einen anderen Blick.
Was wird heute für den Weltfrieden getan?
Erst vor ein paar Tagen stellte Angela Merkel sich hinter den Vorschlag von Emmanuel Macron, dem Präsidenten Frankreichs, eine europäische Armee zu schaffen, die den Frieden sichern solle. So sagte sie selbst: „Eine gemeinsame europäische Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt.“ Bisher liegen allerdings keine konkreten Pläne zur Umsetzung vor.
Die Vereinten Nationen mit ihren 193 Mitgliedsstaaten sehen sich dem Ideal des Weltfriedens verpflichtet und versprechen schon in der Präambel der UN-Charta, ihre „Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ – auch wenn das in der Realität manchmal anders aussieht. Schon, dass der Syrien-Krieg ohne UN-Mandat beschlossen wurde, zeigt das.
Dennoch gibt es Grenzen beim Engagement für den Frieden. Den Atomwaffenverbotsvertrag, der von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) gefordert wird, unterstützen weder Frankreich, das selbst ein Nuklearwaffenprogramm besitzt, noch Deutschland. Kritiker, darunter die Atommächte USA, Russland und China, behaupten, dass gerade dadurch Frieden erhalten werde. So haben Atomwaffen eine enorme Abschreckungskraft, sodass eine viel höhere Hemmschwelle vor einem Kriegsbeginn steht.
Ob Weltfrieden eine Utopie ist oder nicht, spielt letztendlich keine große Rolle. Eine friedfertigere Welt sollte in beiden Fällen unser Ziel sein. Dieses scheint jedoch noch ein weiter Weg zu sein, gerade angesichts der wieder zunehmenden Zahl von Konflikten auf dem Globus. Außerdem heißt Frieden schließlich auch sozialer Frieden. Global gesehen ist dieser in weiter Ferne gerückt, was zahlreiche Studien zeigen. Von einer Verteilungsgerechtigkeit, welche Basis für sozialen Frieden ist, sind wir also noch weit entfernt.
Momentan scheint sowohl Orwells Schreckensbild als auch Morus‘ von Grund aus friedliche Welt noch weit entfernt. Doch vielleicht ist das Nachdenken über den Weltfrieden, wie es auf der internationalen Jugendbegegung „Youth for Peace“ geschieht, ein Anfang, die Welt in die richtige Richtung zu bewegen.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich finde es erschreckend wie viel Wahrheit in den wenigen Zeilen enthalten sind. Ich selbst bin 1986 geboren und haben den Sinn von Krieg nie verstanden. Das einzige was sich daraus ableiten lässt ist die Tatsache, dass Albert Einstein mit seiner Aussage “ alles ist endlich nur die menschliche Dummheit nicht“ völlig Recht behalten sollte. Ich hoffe nur, dass die Regierungen der Welt irgendwann verstehen, das Waffengewalt noch nie eine Lösung war.
Tja, ich schreibe diesen Kommentar recht spät, aber in der Friedensforschung ist erst in den letzten Jahren eine neue Theorie aufgetaucht: nämlich, dass eine gewaltfreie Kindheit in allen Ländern der Welt die Basis für Weltfrieden ist. Nachzulesen in den Artikeln und Ebooks von Franz Jedlicka (Universität Wien). LG Norbert