Die AfD nutzt die Debatte um den Kohleausstieg vor den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, um Konflikte zu erzeugen. Ihre Strategie: Nichts tun, Ängste instrumentalisieren. Ein historischer Überblick darüber, wie das möglich werden konnte. Und ein Ausflug in die Lausitz
Eine Reise durch das Lausitzer Braunkohlerevier lohnt sich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Nicht nur bietet das Lausitzer Seenland eine spannende und einzigartige Landschaft für Wanderungen und Fahrradtouren. Auch interessante Geschichten sammeln sich hier. Dicht an dicht. Einige tief verkrustet unter der Erde, manche die schon immer sichtbar waren und andere deren Wunden seit einiger Zeit wieder sichtbar sind.
Es sind Erzählungen des Umbruchs, geprägt von Wut, Verlust und Perspektivlosigkeit. Erzählungen des Aufbruchs, von Hoffnung, Zuversicht, Orientierung und Stolz. Geschichten die wie Riesige Plattenbauten, baumartig aus dem Boden wuchsen und scheinbar genau so schnell wieder verschwanden. Auch wenn viele dieser Geschichten bereits 30 Jahre zurückliegen: Beim passieren der Gruben, Wälder, und Seen, der kleinen Dörfer und der Labyrinth-ähnlichen „Plattenlandschaft“ fällt schnell auf dass die Nachwende Geschichten von damals wieder aktuell sind.
Die Region zwischen Cottbus, Görlitz, Weißwasser und Hoyerswerda ist vor der Sachsenwahl einer der Brennpunkte der Berliner Republik. Warum das so ist, wird spätestens dann deutlich, wenn man die Dörfer am Rande der Lausitzer Tagebaue betritt. Landtagswahlen stehen an. Blaue Plakate,Schwarze Plakate, Rote Plakate. Hier Kretschmer, dort Dulig, da Kalbitz. Alles dreht sich hier um BRaunkohle, beziehungsweise das was danach kommen soll. Vier Abbaugebiete gibt es in der Lausitz noch: Zwei davon im sächsischen Landkreis Görlitz, Eins im Kreis Oder-Spree Neiße und Eins Östlich von Cottbus .Sie beliefern die Kraftwerke Boxberg,Jänschwalde und Schwarze Pumpe rund um die Uhr mit Kohle und das seit Ende der 60er Jahre. Damals in der DDR, heute im geeinten Deutschland.
Deutschland will raus aus der Kohle. Muss raus, wenn es noch etwas werden soll, mit dem Kampf gegen die globale Erwärmung und der damit verbundenen Einhaltung der Pariser Klimaziele. Ein ganzes Drittel des bundesdeutschen Co2 Ausstoß stammt aus der Kohleverstromung. Zu viel. Fürs Klima. Und für die, die seit Monaten Freitags auf die Straße gehen. Auch für die Bundesregierung, die sich der Problematik nach jahrelangem Zeitverschwand zwar halbherzig, aber immerhin angenommen hat. Das betrifft nicht nur das durch die Hambacher Proteste bekannt geowrdene Rheinische Revier, sondern auch die Lausitz.
Nach Plänen der Großen Koalition sollen die letzten Braunkohle-Meiler deshalb endgültig 2038 vom Netz. Nach Prognosen verschiedenster Institute und den Forderungen von FridaysforFuture ist das aber mindestens Acht Jahre zu spät. Das was in Kreisen von Wissenschaftlern und Protestgruppen völlig verständlich ist, ist im Süden Brandenburgs und dem Osten Sachsens jedoch ein heißer Konfliktherd. Das was in Berlin in Kohlekomission und Bundestag verhandelt wird soll hier vor Ort umgesetzt werden. Ein Ausflug lohnt sich also.
Hier in der Lausitz, ist der Streit um die Braunkohle eigentlich kein neuer. Auch wenn die wesentlichen Streitpunkte der vergangenen Jahre sich über die Jahre leicht gewandelt haben. Während es damals vor allem um den Erhalt von Dörfern ging, geht es jetzt um die Zukunft der Region als Industriestandort und deren lange Tradition.
Der Ausstieg ist für viele Leute in der Lausitz nicht einfach nur Ausstieg. Es geht um Arbeitsplätze. Mit denen in einer sonst strukturschwachen Regionen nicht nur Beschäftigung verbunden ist, sondern auch Identität. Vor- und Nachwende Geschichte. Jahrzehntelanges Malochen. Kultur des Bergbaus und der Kumpel. Auch deswegen ist der Ausstieg hier so unpopulär: Laut ARD Deutschlandtrend vom Januar 2019 sprechen sich in Brandenburg und Sachsen nur 34 % der Umfragebeteiligten für einen möglichst raschen Ausstieg aus, die Mehrheit möchte dagegen länger an der Braunkohle festhalten. Den Klimaprotesten aus weit entfernten Städten, steht man hier eher skeptisch bis kritisch gegenüber. Kostet der Ausstieg gut bezahlte Arbeitsplätze die besonders hier so wichtig sind? Warum sollten wir Kraftwerke abschalten, wenn drüben im polnischen Bełchatów noch viel mehr und noch viel schmutziger emittiert wird?
Das der Nährboden für Klimapolitischen Fortschritt hier eher mager ausfällt ist spätestens seit den Bundestagswahlen 2017 nichts was einem noch verwundern sollte. Je tiefer man sich in die Lausitz vorkämpft, umso blauer werden die Wahlkreise. Die Lausitz ist Hochburg der AfD und bundesweit betrachtet das stärkste Pflaster der Rechtspopulisten. Zur Europawahl im Mai wurde die AfD in allen „Revier-Wahlkreisen“, Görlitz, Bautzen und Spree Neiße, mit Ergebnissen von über 30% stärkste Kraft. Auch am kommenden Sonntag wird die Partei bei den Landtagswahlen in Brandenburg und wohl große Zuwächse verbuchen können. Für CDU und SPD im politischen Berlin ging es in den letzten Wochen grade deshalb nicht nur um Klimaschutzgesetze, sondern auch um Wählerstimmen. Darum die Lausitz nicht endgültig an die AfD zu verlieren, die im Wahlkampf mit dem Thema Braunkohle auf Stimmenfang ging.
Besonders für die CDU ist die Situation ernst. Sogar so Ernst das Ministerpräsident Kretschmer, am Wahlabend wohl um seinen Landtagsmandat bangen muss. 2017 verlor der diesjährige Spitzenkandidat der CDU in seiner Heimatstadt Görlitz, sein 15 jähriges Bundestags-Direktmandat an Tino Chrupalla von der AfD. Seinem Herausforder Sebastian Wippel, der erst kürzlich bei der Görlitzer Bürgermeisterwahl knapp gegen den überparteilichen Kandidaten Ursu scheiterte, werden gute Chancen eingeräumt. Ein Verlust von Kretschmers Direktmandat und ein schlechtes Abschneiden der CDU könnten das politische Ende von Michael Kretschmer sein und auch der angeschlagenen Bundesvorsitzenden erheblichen Schaden hinzufügen.
Viel Geld für die Lausitz
Also musste sich die Große Koalition bei dem Thema etwas audenken. Monatelang handelten Wirtschaft,Politik und Umweltverbände in der sogenannten Kohle-Komission einen Plan aus, der den Ausstieg aus Braun und Steinkohle, sowie die Zukunft der Betroffenen Regionen regeln sollte. Aus jenem Kompromiss wurde nun das „Strukturstärkungsgesetz“. Auch wenn dieses noch keine festen Abschalttermine der einzelnen Kraftwerke festlegt, ist es für die Zukunft der Lausitz von hoher Bedeutung.
Die Bundesregierung möchte auch nach dem Wegfall der Braunkohle Arbeitsplätze in der Lausitz erhalten. Eine Region von Energiewirtschaft und Industrie soll sie bleiben und dabei zukunftsfähige Perspektiven bieten. Dazu soll vor allem Geld fließen. Infrastruktur, Forschungseinrichtungen, Kompetenzzentren und Entwicklungsstandorte – insgesamt 17 Milliarden Euro werden in die Lausitz investiert, um Unternehmen in die Gegend zu locken. Besonders der Ausbau der Anbindung an Straßen&Bahnnetz bringt hohe Ausgaben mit sich.
Ganze 17 Milliarden Euro Investitionen sollen getätigt, um lediglich 1,5 Milliarden Euro an regionaler Wertschöpfung auszugleichen. Auf die Arbeitsplätze umgerechnet gibt der Bund also ungefähr eine Million Euro für jeden der circa 20.000 wegfallenden Arbeitsplatz aus. Das sei „zu viel Geld für einen zu geringen wirtschaftlichen Gegenwert“, beklagen Kritiker, wie Stefan Zundel, Volkswirtschaftsprofessor an der TU Cottbus. Doch hinter den hohen Summen verbirgt sich nicht nur eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen Rechnung. Es geht um die Wahrung von Identität. Künftige Arbeitsplätze und Wirtschaftsstruktur, sollen zumindest irgendwie dem Bergbau gleichen. Hundert Jahre Kohlebergbau will man nicht einfach so fallen lassen. Die besonders radikalen Ost-Landesverbände der AfD sollen es möglichst schwer haben die Strukturhilfen schlecht zu reden.
Von der AfD hört man in jenem Kontext vor allem Warnungen über eine drohende „Deindustrialisierung“, die den Menschen in der Lausitz von Berlin aus ihre Jobs vernichten würden. Die Angstmacherei von einem zerstörerischen Strukturbruch wie der in Folge der Wiedervereinigung, ergibt zusammen mit einem polarisierenden Blockparteien Feindbild von CDU,SPD und Grünen den Wahlkampf-Tonus im Vorfeld der Landtagswahl. Slogans wie „Vollende die Wende“, „Wende 2.0“, „Wir sind das Volk“, „Steh auf für den Osten“, oder „Werde zum Bürgerrechtler“ machen das Skurille DDR-Wende Paradigma der AfD perfekt. Alles was der politische Gegner tut oder vor hat soll mit teils traumatischen Erfahrungen aus dem DDR Regime und der Nachwende Zeit in Verbindung gebracht werden. Für viele politische Beobachter ist die Instrumentalisierung der Wende Erfahrungen von Millionen Ostdeutschen zentraler Bestandteil der diesjährigen Wahlkampf Strategie.
Eine Geschichte voller Hoffnung
Das Bedienen von Ängsten gehört seit langem zum Repertoire der Alternative. Hier in der Lausitz trifft es aber ganz besonders. Schon lange vor der Deutschen Teilung wurde hier Kohlebergbau betrieben. Eine Lausitz ohne Kohle, ist für Menschen die hier in der Region ihre Wurzeln haben, nahezu unvorstellbar. Beides gehört zusammen.
Mit der Gründung der DDR wurde das Gebiet zur wichtigsten Bergbau-Region der jungen Volksrepublik. Zum einen galt es möglichst schnell 17 Millionen Einwohnern mit Strom und Wärme zu versorgen, zum anderen wollte man gegenüber der Bundesrepublik wirtschaftlich konkurrenzfähig bleiben. Schnell wurde der SED-Führung in Berlin klar, dass letzteres nur mit einem enormen Kraftaufwand möglich sein dürfte. Schließlich hatte die Lausitzer Braunkohle einen viel schlechteren Brennwert als die Steinkohle aus dem westdeutschen Ruhrpott. So eröffnete man Tagebau, nach Tagebau. Gruben die heute Seen sind. Bis kurz vor der Wende waren in der DDR mehr als 80.000 Menschen direkt in der Kohlewirtschaft beschäftigt. Vier mal so viel als zur gleichen in Zeit in den westdeutschen Bundesländern.
Um die benötigten Fördermengen zu erreichen suchte man händeringend nach Arbeitskräften. Die Arbeitskräfte für diesen riesigen Wirtschaftszweig kamen nicht einfach so herbei geflogen. Durch weitflächige Werbeinitiativen der DDR Regierung zog es zehntausende Menschen nur 10 Jahre nach dem Krieg, stromartig voller Hoffnung gen Lausitz, in große Planstädte die innerhalb weniger Jahre allein für den Kohlebergbau aus dem Boden gestampft wurden. Plattenbau-Dschungel, riesige Wohnkomplexe dicht an dicht, im Stile des sozialistischen Wohnungsbau. Wer hier hin zog war Teil eines gewollten wirtschaftlichen Aufbruchs. Der für viele Menschen nach dem Krieg dennoch ein neues Gefühl von Zuversicht brachte.
Das Paradebeispiel der sozialistischen Planstädte: Hoyerswerda. Vorher noch eine beschauliche Kleinstadt, mit gut erhaltenen Bauwerken aus der Renaissance und innerhalb weniger Jahre zu einer sozialistischen Musterstadt. Mit der Errichtung des Kraftwerks „Schwarze Pumpe“ nördlich der Stadt um 1955, stieg die Einwohnerzahl von 9000, innerhalb weniger Jahre bis 1978 um das siebenfache an. Hoyerswerda explodierte förmlich. Heute würde man die östlichen Stadtteile von Hoyerswerda mit ihrer Plattenlandschaft als Sozialer Brennpunkt einordnen, doch damals waren sie das Zuhause Zehntausender Kohle Kumpels und deren Familien. Beim Überqueren des Schwarze Elster Kanals, erlebt man heutzutage Zwei komplett unterschiedliche Geschichtsperioden direkt nebeneinander.
Hoyerswerda erlebte wie viele andere Städte in der Lausitz, dank der Kohle, ein ungekanntes Wachstum. Nicht nur die Städte wurden größer, sondern auch das Selbstwertgefühl ihrer Einwohner. Wenn hier das Förderband stoppte, gingen im fernen Berlin die Lichter aus. Wer hier arbeitete sorgte dafür das auch im kältesten Winter die Wohnungen vom Erzgebirge bis zur Ostsee warm blieben. Die Arbeit war eine stolze, die in der Propaganda des Regimes ihre besondere Wertschätzung bekam und den Leuten das Gefühl vermittelte gebraucht zu werden und wichtig zu sein. 1981 erreichte die Bevölkerungszahl von Hoyerswerda mit 71.000 Einwohnern ihren Höchststand. Im vergleich zu den ländlichen Gebieten lebte man hier deutlich besser. Heizungen, Parks, Wohngemeinschaften waren Normalität.
Den einstigen Stolz von Hoyerswerda aus Zeiten der Boom Jahre ist auch 30 Jahre nach dem Niedergang noch zu sehen. Mitten im Labyrinth der Plattenbauten ruht das Centrum, ein Warenhaus der Kette Centrum Warenhaus. In jeder bedeutenden Stadt der sozialistischen Republik fand sich eines dieser Geschäfte mit ihrer kennzeichnenden Kachel-Fassade aus Metall, die bei Sonnenlicht zu glänzen begann. Größer als die sonstigen Kaufhäuser der Konsum-Genossenschaften. Ausdruck von Modernität, Wohlstand. Ausdruck einer florierenden Stadtgesellschaft. Heute findet sich hier ein Aldi.
Mit dem Wiedervereinigung von DDR und Bundesrepublik wurden große Teile der ostdeutschen Industrie obsolet. In einem gemeinsamen Wirtschaftsraum waren die ehemaligen volkseigenen Betriebe kaum Konkurrenz fähig und gingen bankrott oder wurden durch die Treuhand geregelt. Die Folge war Massenarbeitslosigkeit. Der Wegfall hunderttausender Arbeitsplätze in kürzester Zeit.
Auch in der Lausitz. 1991 verschwanden binnen eines Jahres fast 15.000 Jobs in den Lausitzer Tagebauen und Kraftwerken. Viele weitere Tausende sollten in den Jahren danach folgen. 1997 hatte lag die Anzahl von Beschäftigen in den Tagebauten mit 12.000 auf westdeutschen Niveau. Auch Zuliefer Betriebe die etwa vom Kraftwerk Schwarze Pumpe abhängig waren machten dicht,
Enttäuschung und Verbitterung über Arbeitslosigkeit wurden schnell zu einer Welle aus Wut und Frust, die darauf hin nur wenig später im September 1991, in dem ausländischen Vertragsarbeitern ihre Brandung finden sollte. 5 Tage lang ließen Neo Nazis und teilweise einfache Arbeiter Molotowcocktails und Steine fliegen. Drinnen vor allem Vertrags-Angestellte zu Gast aus sozialistischen Bruderstaaten wie Mosambique und Vietnam, die bis vor kurzen im Tagebau gearbeitet hatten. Gemeinsam mit den Kumpels die nun draußen standen und etwa 200 Rechten Gewalttätern beim Steine werfen applaudierten und tatenlos zuschauten Polizei und Rechtsstaat kapitulierten nach einer knappen Woche und evakuierten Flüchtlinge und Vertragsarbeiter aus der Stadt. Szenen die man heute vor allem aus Rostock Lichtenhagen kennt. Ausklang von Hass und Verlust, denn der Systemwechsel hatte sie arbeitslos gemacht.
Nachwende Trauma
Bis heute haben Städte wie Hoyerswerda und Weißwasser, einstige Industriezentren, mehr als die Hälfte ihrer Einwohner verloren und stehen darüber hinaus für die bis heute in Ostdeutschland nachwirkenden Misstände der Nachwende Zeit. Gleiches gilt für andere Ostdeutsche Regionen. Für das was man heute Ungleichheit der Lebensverhältnisse nennt. Für sozialen und wirtschaftlichen Wunden der 90er und 2000er Jahre, die auch scheinbar 30 Jahre danach noch nicht ganz verheilt zu sein scheinen.
Mit der verschwindenden Braunkohle verschwand auch die anhängliche Industrie in der Region: Mit dem Großteil der Kohlewirtschaft verschwand auch die anhängliche Industrie in der Region: Die Textilindustrie in Görlitz, Löbau, Zittau, Guben, Forst und Cottbus. Chemie und Aluminiumverwertung in Schwarzheide und Lauchhammer. Spremberg stellte Möbel für ganz Ostdeutschland her. Heute ist bis auf Waggonbau in Niesky, BASF in Schwarzheide und einer Glaßfabrik in Weißwasser sowie ein Siemens Werk in Görlitz kaum etwas vergleichbares davon geblieben.
Heute sind die Lausitzer Landkreise von starker Überalterung,Abwanderung und geringen Geburtenraten geprägt. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sowie der Statistischen Landesämter Brandenburgs und Sachsens verloren die Revier Landkreise der Lausitz seit 1990 durch Abwanderung oder Tod, mehr als 20% ihrer Bevölkerung. Görlitz verlor fast nach der Wende fast ein ganzes Drittel seiner Einwohnerzahl. Bundesweit haben nur wenige Landkreise einen derart großen Anteil an 60 und 75 jährigen. Besonders der Weggang junger Generation und fehlende Zuwanderung resultieren in dem jetzigen Fachkräftemangel der Region. Auch beim Verfügbaren Einkommen, der Arbeitslosenqoute und dem BIP pro Kopf hängen die Ostsächsischen Kohleregionen dem Rest der Bundesrepublik hinter her.
Eine perfide Strategie
Als „Stimme des Ostens“, müsste man meinen das sich die Alternative ganz besonders um die Zukunft der Region Gedanken macht. Sich Konzepte und Pläne erarbeitet, wie auch nach dem Ende der Braunkohle, etwas gedeihen kann und Menschen identitätsstiftende Arbeit finden. Tun sie aber nicht. Und müssen sie auch nicht. Schließlich ist die Situation so wie sie jetzt ist gut geeignet um geeignete Wahlergebnisse zu sichern.
Die aktuelle Sozialstruktur der Lausitzer Landkreise ist für den dortigen Erfolg der Alternative nämlich enorm wichtig. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft zu dem Wahlausgang der Europawahl 2019 und den damit verbundenen Strukturmerkmalen, ergab sich folgendes Bild: “ Die AfD erzielt vor allem in solchen Kreisen hohe Stimmanteile, in denen viele Menschen abgewandert sind, mehr Menschen ihren Arbeitsplatz von Automatisierung bedroht sehen, die Bevölkerung überdurchschnittlich alt ist und in denen die wirtschaftliche Lage zu wünschen übrig lässt.“ Treffen die genannten Strukturmerkmale zu, ist das Ergebnis der AfD tendenziell höher. Dazu gehört besonders das ostsächsische Stadt Görlitz.
Weiter heißt es in der Studie: „Interpretiert als Signal eines Vertrauensverlusts in die Politik der beiden Regierungsparteien weist das Wahlergebnis und damit auch unsere Analyse darauf hin, dass die Politik in den vergangenen Jahren nicht genug geleistet hat, um möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen.“ Als mögliche Gegenmaßnahmen nennt die Studie Stärkung der digitalen Infrastruktur, Schaffung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, und eine ausreichende Finanzierung der Kommunen, damit diese in die Infrastruktur investieren können. Generell müssten die Regionen attraktiver für Zuwanderung werden damit auch nach dem Weggang von Altindustrie neue Jobs entstehen.
Die Lausitz einfach so zu lassen wie sie jetzt ist, ist für die AfD langfristig wohl profitabler als sich aktiv in die Debatte einzubringen. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung kommt der Kohleausstieg gut gelegen um an das zu erinnern das für viele Ostdeutsche immer noch eine schmerzhafte Erinnerung ist. Vor allem bei denjenigen die sich nach der Wende nie gen Westen gemacht haben und dageblieben sind, sitzen die Erinnerungen tief. Urban,Kalbitz und Gauland liegt es daran eine bestimmte Szenerie zu etablieren die sich die Verlust und Existenzängste der ostdeutschen Bevölkerung zu nutze machen soll. „Die Politik wolle ein urplötzliches und kopflos Aussteigen, doch hier stünden tausende Arbeitsplätze in der Kohle auf dem Spiel und durch die Erhöhung der Stromkosten könne es zu einer größeren Entindustrialisierung und dem Wegfall ganzer Industriezweige kommen, entschieden von Politikern die sich noch nie für diese Region interessiert hätten“, so Kalbitz bei einer Wahlkampfveranstaltung in Cottbus vor Zwei Wochen.
Die gelebten Erfahrungen der Ostdeutschen Bevölkerung sollen keine Rechtfertigung sein AfD zu wählen oder sich mit rechtsradikalen Gedankengut anzufreunden, dennoch können sie dabei helfen Wahlentscheidungen und das Aufkommen von Ressentiments zu erklären und nachzuvollziehen.