Die Bundestagswahl steht vor der Tür, der Wahlkampf befindet sich im Endspurt. Für die SPD stehen die Chancen nicht schlecht, führender Teil der nächsten Bundesregierung zu sein. Christian Lütgens ist unterwegs mit einer, die genau dafür kämpft.
Im Wedding an der Haltestelle U-Seestraße pulsiert das Leben. Zwischen Fernsehturm und Döner Adora Kumru schwirren Autos und E-Roller. Dazwischen: Unzählige Menschen, die über die Straße drängen. Wer vor dem Cineplex Alhambra stehend genau hinhört, spürt den Asphalt von der U6 unter sich vibrieren. „Da habe ich neulich meinen eigenen Spot gesehen“, sagt Annika Klose. Die 29-jährige steht mit Jeansjacke und roter Bluse vor dem gläsernen Kino und macht Werbung. Werbung für sich und ihre Partei, die SPD. Und wenn man die ehemalige Landesvorsitzende der Berliner Jusos fragt, dann läuft es nicht schlecht.
Gemeinsam mit ihrem Team steht sie zwischen grün-leuchtender Ampel und rotem Infostand, sie macht Wahlkampf auf den letzten Metern, bevor am Sonntag die Wahl beginnt. Leute ansprechen, Flyer und Kugelschreiber in die Hand drücken, mit Menschen diskutieren, sie überzeugen. Das ist der Modus, den Klose im Wahlkampf in den letzten Wochen trainiert hat. Aber ist das so kurz vor der Wahl noch erfolgversprechend? Klar, viele hätten sich schon per Briefwahl entschieden, erzählt Klose, während sie gleichzeitig vorbeieilenden Passant*innen Infomaterial mit ihrem Gesicht in die Hände drückt. Es komme auf jede einzelne Stimme, in diesem Jahr mehr denn je. Sie strahlt, als sie das erzählt.
121 Sekunden dauert der Werbespot, der sie als Bundestagskandidatin für den Bezirk Berlin-Mitte vorstellt. Neulich hat sie ihn im Kino gesehen. Der Film danach sei auch ganz gut gewesen, es lief Dune. Ein Science-Fiction-Epos, für den bereits mehrere Fortsetzungen angekündigt wurden. Die Verleiher erwarten, dass der Film ein zahlenmäßig großer Erfolg wird. Und irgendwie passt das ja, zu Annika Klose und vor allem: zu ihrer SPD.
Sozialdemokrat*innen führen Umfragen plötzlich wieder an
Nicht allzu lange ist es her, da dümpelte die einstige Volkspartei bei 15 Prozent vor sich hin. Olaf Scholz war ein Kanzlerkandidat der weder für Erneuerung noch für Charisma stand. Und heute? „Olaf Scholz ist Olaf Scholz“, beschreibt einer aus Kloses Team nüchtern ihren Anwärter für des Bundeskanzleramt und wünscht sich eigentlich etwas mehr Pomp. Aber eigentlich ist das egal, die Zustimmungswerte stimmen. Mittlerweile. Ein unaufgeregter SPD-Wahlkampf, der nicht durch Fehler unterbrochen ist, das reicht in diesem Jahr offenbar schon. So einfach kann eine Kanzler-Kandidatur sein.
Es werden zwar auch Schwerpunkte auf Inhalte gelegt, Mindestlohn und sichere Renten wären zu nennen. Doch in erster Linie ist die SPD-Kampagne getrieben von der Personalie Olaf Scholz. Kanzler für Deutschland, plakatiert die Partei auf großflächig im Land. Der ehemalige erste Bürgermeister von Hamburg und amtierender Bundesfinanzminister imitiert schon mal öffentlich und im vollen Bewusstsein die Raute der Kanzlerin, spricht in Talkshows so unaufgeregt wie sie.
Das Konzept der SPD: Unaufgeregt durch den Wahlkampf
An der großen Kreuzung U-Seestraße schaltet die Ampel auf rot, ein türkischer Hochzeitskorso brettert hupend vorbei. Aber das Konzept Olaf Scholz funktioniert, findet Annika Klose, findet ihr Team. Teil dieses Konzeptes ist: Es wird nicht so viel über den Noch-Vize-Kanzler geredet, auch nicht am Samstagabend vor der Wahl am Wahlstand im Wedding.
Die Menschen im Kiez bewegen andere Dinge, sagt Annika Klose. Mieten seien ein Thema, bei dem alle derselben Meinung sind. Runter sollen sie, notfalls auch per bundesweitem Mietenstopp. Selbst im SPD-regierten Berlin hat das bisher nicht geklappt hat, aber das wird nicht so laut gesagt. Auf Klimaschutz angesprochen berichtet die Bundestagskandidatin, dass sie die Menschen gespaltener wahrnehme. Manche wollten noch strengere Maßnahmen, andere sich etwa in ihrer Mobilität nicht einschränken lassen. „Wir haben einen guten ÖPNV hier“, findet Klose. Doch für manche sei das Auto, auch Statussymbol, gerade im Wedding mit seinen bunten Milieus.
Der Besuch bei Annika Klose neigt sich langsam dem Ende, vereinzelt stehen noch Interessierte umher, sprechen mit ihr oder ihrem Team. Sie nehmen sich für jede*n Einzelne Zeit. Auch wenn das nach monatelangem Wahlkampf nicht immer einfach ist. Es habe Nächte gegeben, in denen Annika Klose fünf Stunden geschlafen hat.
In 24 Stunden wird es die ersten Hochrechnungen geben. Mit welchem Gefühl geht sie heute Abend ins Bett? „Scholz wird’s.“ Und auch für das Direktmandat in Ihrem Wahlkreis stimmt das Bauchgefühl.
Während die Abendsonne die Wolken im Wedding noch einmal golden erstrahlen lässt, sortiert Kloses Team Goodies, packt Kugelschreiber und Knoppers wieder ein., Da laufen noch drei Kinder auf den Infostand zu. Die Sozialdemokrat*innen haben ein XXL-Jenga aufgebaut. Auf jedem einzelnen Klotz stehen die Ziele, die Klose im Bundestag mit ihrer Partei umsetzen will, „365-Euro-ÖPNV-Ticket“ oder „Sanierung unserer Sportstätten“ . Zum Jenga-Spielen ist jetzt keine Zeit mehr, aber SPD-rote Luftballons gibt es noch. Eine von den dreien läuft glücklich zurück zur Mutter und macht dabei einen Freudensprung. Vielleicht kein schlechtes Omen für Annika Klose und ihre SPD.