„Wenn ich das Buch veröffentliche, werden sie mich verfolgen“

Weil er mit seinen Texten das Regime kritisierte, musste ein Journalist aus Bangladesch fliehen. In Deutschland kann er seine Arbeit zwar fortführen, die Unsicherheit aber bleibt.

Blick über die Hauptstadt von Bangladesch, Dhaka
Blick über die Hauptstadt von Bangladesch, Dhaka. Foto: fickr/ Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten

„Eigentlich sollte ich heute nicht hier sein, sondern zuhause bei meiner Familie und meinen Freunden“, sagt Sohel*. Denn heute ist Eid, das Fest des Fastenbrechens, an dem Muslim*innen weltweit das Ende des Ramadans begrüßen. Obwohl er kein praktizierender Muslim ist, feiere er die Feste gerne, erzählt er. „Es ist ein großes Ereignis, wir bereiten viel Essen vor. Dann kommen Freunde zu uns und wir feiern gemeinsam“. Doch dieses Jahr kann Sohel das Fastenbrechen am 21. April nicht mit seiner Familie feiern. Weit entfernt von seinem Zuhause in Bangladesch sitzt er in einem sparsam eingerichteten Büroraum. Der Raum im Dachgeschoss ist zwar von Sonnenlicht erleuchtet, dennoch erinnert nichts an ein lebendiges Fest. Wo genau wir uns treffen, soll nicht bekannt werden. Denn obwohl Sohel sich hier einigermaßen sicher fühlt, muss er vorsichtig sein.

Weil er in Bangladesch als Journalist gearbeitet hat und dort regierungskritische Texte veröffentlichte, musste Sohel das Land verlassen. Nun lebt er im Exil in Deutschland. In seinen Recherchen schrieb er über Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Korruption und Menschenrechtsverletzungen – und geriet damit ins Visier der Sicherheitsbehörden.

Ein feindliches Umfeld für kritische Journalist*innen

Wenn in der jüngsten Vergangenheit in Deutschland über Pressefreiheit diskutiert wurde, lag der Fokus oft auf Ländern wie der Türkei, Iran oder Russland. Andere Länder – wie auch Bangladesch – geraten schnell aus dem Blickfeld. Dabei hat sich die Lage der Pressefreiheit dort in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von der unabhängigen NGO Reporter ohne Grenzen veröffentlicht wird, rutschte Bangladesch allein im Vergleich zum Vorjahr um zehn Plätze nach unten – und landete im Jahr 2022 auf Platz 162 von 180. Vor allem Sicherheitsbehörden und islamistische Gruppierungen stellen eine Gefahr für unabhängige Journalist*innen dar und schränken sie stark in ihrer Arbeit ein. Insbesondere diejenigen, die zu heiklen Themen wie Korruption und Menschenrechtsverletzungen berichten, werden angegriffen und verfolgt. Sechs Journalist*innen saßen im Jahr 2022 aufgrund ihrer Arbeit im Gefängnis.

Im August 2018 wurde der bengalische Fotojournalist Shahidul Alam festgenommen, nachdem er die Regierung für ihren gewaltvollen Einsatz gegen Studierendenproteste kritisierte. Nach über 100 Tagen wurde er freigelassen, jedoch droht ihm bis heute eine langjährige Gefängnisstrafe. Es geraten aber nicht nur einzelne Personen ins Visier der bengalischen Sicherheitsbehörden. „Kurz nachdem ich Bangladesch verlassen habe, wurde die Zeitung der wichtigsten Oppositionspartei aufgelöst“, erzählt Sohel. Gemeint ist die ‚Dainik Dinkal‘, die ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen ihre Arbeit einstellen musste.

In den letzten Jahren hätte sich das Regime in Bangladesch immer autokratischer gewandelt, berichtet Sohel. Besonders ein Gesetz, das für die Verbreitung „negativer Propaganda“, wie es in den Worten der Regierung beschrieben wird, eine Gefängnisstrafe von bis zu 14 Jahren vorsieht, schränkt die Arbeit kritischer Journalist*innen massiv ein. Als Sohel vor 25 Jahren nach Dhaka zog und als Campus-Reporter seinen Weg in den Journalismus fand, hätte er sich über die Pressefreiheit noch nicht so sehr gesorgt: „Damals konnten wir alles schreiben – natürlich gab es einige Vorfälle, aber die waren isoliert. Wir konnten die Regierung kritisieren, ohne, dass jemand kam und dich eingeschüchtert oder verhaftet hat.“ Nachdem Sohel sein Journalismus-Studium abgeschlossen hatte, schrieb er für verschiedene Medien, darunter The Daily Star, eine der führenden englischsprachigen Zeitungen in Bangladesch.

„In den letzten Monaten habe ich mich nur noch versteckt“

Heute trägt er einen dunkelblauen Pullover, darunter ein Hemd. Der markante Rahmen seiner Brille lässt ihn ernst wirken. Wenn Sohel spricht, wirkt er gefasst, obwohl seine Geschichte aufwühlt. Lange hätte er die Gefahr, in der er schwebte, nicht ernst genommen. „Ich sagte meiner Familie, dass nichts passieren würde. Dann wurde ich von jemandem gewarnt, dass die Sicherheitsbehörden auf mich aufmerksam geworden waren“. Obwohl er wusste, dass er überwacht wurde, wollte Sohel nicht mit seinen Recherchen aufhören. „Es war wie eine Mission für mich. Ich wusste, wie wichtig es ist, dass das Buch veröffentlicht wird“. Der Moment, in dem er realisierte, dass das Risiko zu hoch wurde, war, als er bemerkte, dass eine Schadsoftware auf seinem Handy installiert war. „Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich wirklich in Gefahr war. Also habe ich es ernst genommen“, sagt er. Das Land zu verlassen, schien nun die einzige Möglichkeit zu sein, einer Verhaftung zu entgehen – und um seine Arbeit fortzusetzen. Bis er Bangladesch verlassen konnte, musste Sohel sehr vorsichtig sein. „In den letzten Monaten habe ich mich nur noch versteckt. Ich habe kaum das Haus verlassen, niemanden mehr getroffen“. Sobald sein Visum genehmigt wurde, reiste er aus – und kam nach Deutschland.

Spricht Sohel über die erste Zeit nach seiner Ankunft, weicht die entschlossene, klare Art, in der er spricht, und er wirkt nachdenklicher. „Es war sehr schwer am Anfang. Ich kenne nur wenige Leute hier und meine Familie ist weit weg“, sagt er. „Ich habe mich gefühlt, als wäre ich von der Welt abgekoppelt.“ In absoluter Sicherheit ist Sohel auch in Deutschland nicht. Von sozialen Medien hat er sich weitgehend zurückgezogen. „Selbst, wenn ich hier sitze, kann ich nicht offen die Regierung kritisieren“. Weil er selbst nicht mehr in Bangladesch ist, würde dann seine Familie bedroht und unter Druck gesetzt werden – mit dem Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen.

Obwohl die ersten Wochen in Deutschland schwer waren, hätte es dennoch eine gute Seite, dass er gerade nicht in Bangladesch sein kann, erzählt Sohel: „Hier habe ich Zeit, um an meinem Buch weiterzuschreiben“. Er arbeitet gerade an einer wissenschaftlichen Publikation über die Rolle von Frauen in terroristischen Gruppen in Bangladesch, die in den nächsten Monaten in Deutschland veröffentlicht werden soll. Es wird ein Buch sein, das sensible Informationen über Verwicklungen der bengalischen Sicherheitsbehörden in gravierende Menschenrechtsverletzungen enthält.

Der Preis, den Sohel für die Veröffentlichung zahlt, ist hoch. Denn er riskiert damit, dass er vielleicht nicht mehr nach Bangladesch zurückkehren kann. Alles hängt von der Reaktion der Regierung und der Sicherheitsbehörden ab. „Wenn ich das Buch veröffentliche, werden sie mich verfolgen“, davon geht Sohel aus. Dann droht ihm eine Verhaftung, sollte er nach Dhaka zurückkehren. Trotz der großen Ungewissheit, in der seine Zukunft schwebt, wirkt er zuversichtlich. „Eigentlich sollte ich jetzt bei meiner Familie sein und wir würden gemeinsam feiern, stattdessen sitze ich hier und gebe ein Interview“, sagt er scherzend. Und fügt ernster hinzu: „Ich möchte nicht vom Schlimmsten ausgehen, aber wenn das Risiko für mich zu hoch ist, kann ich nicht zurückgehen“. Was dann passiere, wisse er nicht. Eine Möglichkeit wäre, in Deutschland Asyl zu beantragen. „Das ist aber die letzte Option“, sagt er. Denn ein Asylantrag würde einen langen Anerkennungsprozess bedeuten, in dem er bis zu acht Jahre lang nicht nach Bangladesch zurückkehren kann. Auch nicht an Eid.

*Name von der Redaktion geändert. Der volle Name des in Bangladesch verfolgten Journalisten ist der Redaktion bekannt.

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