Hubert Aiwanger von den Freien Wählern ist die prägende Figur des bayrischen Wahlkampfs. Seine Methoden kommen nicht überall gut an, doch der Erfolg scheint ihm Recht zu geben.
Es heißt viele Köch*innen verderben den Brei. Ob nun der politische Brei, den die Freien Wähler in Bayern produzieren, einem Hauptgericht in Alfons Schuhbecks bestem Restaurant entspricht oder kaum runterzubekommen ist, das muss jede*r für sich selbst entscheiden. Klar ist: An der hohen Anzahl der Köch*innen kann es nicht gelegen haben. Seit Jahren gibt es genau einen Chefkoch: Hubert Aiwanger. Auch in diesem Wahljahr richtete sich die ganze Partei – ach was, der ganze Wahlkampf in Bayern – nach seinem Rezept.
Eine Besonderheit des bayrischen Wahlkampfs waren schon immer die obligatorischen Auftritte bei aufgeheizter Stimmung und Temperatur in den Bierzelten des Freistaats. Eine Umgebung, die, laut des Kommunikationsexperten Olaf Hoffjann, besonders empfänglich für „Emotionales, Postfaktisches und Übertriebenes“ ist – ähnlich wie in den sozialen Medien. Beides sind Spielwiesen, auf denen Aiwanger sich besonders wohlfühlt. Hier wie dort stößt seine direkte, unverblümte Art auf viel Zustimmung. Unter den blau-weißen Planen der bayrischen Festzelte und auf seinem X-Account ist er die Stimme einer Wähler*innenzunft, die sich hohem Druck aus Politik und Gesellschaft ausgesetzt fühlt. Das sind laut Hoffjann überwiegend Männer, die unter anderem ihren gesellschaftlichen Status in Gefahr sehen. Damit setzte er den Ton im Wahlkampf. Markus Söder scheiterte in Erding an dem Versuch, ihn zu kopieren und die Ampelparteien hatten kaum Chancen, überhaupt in Erscheinung zu treten.
Ende August sorgte eine Recherche der Süddeutschen Zeitung dafür, dass das Spotlight auf den FW-Vorsitzenden noch heller strahlte. Die Zeitung berichtete über Kopien eines extrem menschenverachtenden und antisemitischen Flugblatts, das er während seines 17. Lebensjahres in seiner Schultasche bei sich trug. Zwar bekannte sich anschließend sein Bruder dazu, dieses verfasst zu haben, doch Zweifel daran halten sich bis heute. Sein Umgang mit dieser Affäre sorgte bei vielen für Kopfschütteln. Auf eine für viele unzureichende Entschuldigung folgten relativierende Aussagen, mit denen er sich auch in den Augen Olaf Hoffjanns „um Kopf und Kragen redete.“ Anschließend ging er in die Gegenoffensive und warf den Medien vor, eine gezielte Hexenjagd gegen ihn durchzuführen. Ein Vorgehen, das stark and Donald Trump erinnerte, der ebenfalls immer wieder von einer „Witch Hunt“ gegen sich sprach. Im Stile des ehemaligen Präsidenten der USA stellt sich Aiwanger damit als das eigentliche Opfer dieser Geschichte dar. Seine Partei trägt das mit und stärkt ihm den Rücken. Susann Enders, Generalsekretärin der Freien Wähler Bayern, gratuliert ihm auf der Wahlparty am Abend des Wahltags zum Überleben des schmutzigsten Wahlkampfs, den sie je erlebt habe. Und Loraine Bender, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Freien Wähler, erzählt im Gespräch mit politikorange, die Affäre habe ihm sehr zugesetzt. Er sei oft blass gewesen. Es funktionierte. Mehr als einen Monat später muss auch der Experte Hoffjann zugeben: „Am Ende hat Aiwanger alles richtig gemacht. Zynisch gesprochen war die Flugblattaffäre aus seiner Perspektive ein Geschenk, das vom Himmel gefallen ist. Er ist weiterhin stellvertretender Ministerpräsident und die Freien Wähler sind in der Wählergunst gestiegen.“ Letzteres zeigte sich am vergangenen Wahlsonntag. Der Bundes- und Landesvorsitzende der Freien Wähler führte seine Partei zum Rekordergebnis von 15,8% der abgegebenen Stimmen und holt dabei selbst das erste Direktmandat für die Partei.
Nicht nur deswegen ist er in den eigenen Reihen weiterhin unumstritten. Für Bender, war und ist er „ein riesiges Zugpferd für die Partei.” In Zukunft soll er das auch auf Bundesebene sein. Aiwanger möchte bei den Wahlen 2025 in den Bundestag einziehen. Olaf Hoffjann denkt, dass dies gelingen kann: „Seine offene, gerade Art, auf Augenhöhe mit den Menschen käme auch außerhalb Bayerns gut an.“