Jessica Rosenthal (28), Bundesvorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos, kandidiert in Bonn für den Bundestag. politikorange-Redakteurin Anna Rumpf hat mit ihr über eine gerechtere, von jungen Stimmen geprägte Zukunftspolitik und den Wahlkampf gesprochen.
Im Januar haben Sie den Vorsitz der Jusos übernommen. Ihr Vorgänger Kevin Kühnert war deutlich weiter links positioniert als die eigentliche SPD. Planen Sie in seine Fußstapfen zu treten oder sehen Sie auch Möglichkeiten oder sogar Notwendigkeiten für Kompromisse mit der Mutterpartei?
Wir haben eine lange Tradition bei den Jusos. Wir haben das Ziel, die SPD stark auf unseren Linkskurs mitzuziehen. Für uns heißt das, dass wir eine andere Verteilung in der Welt brauchen. Bei den oberen 10% werden die Vermögen immer größer, während ein großer Teil der Bevölkerung gar kein Vermögen hat. Wir können eine gerechtere Verteilung schaffen. Dazu zählt auch, dass während der Corona-Pandemie hier bald das dritte Mal geimpft wird, aber manche Länder noch überhaupt keinen Impfstoff haben. Neu ist, dass wir als Jusos ein großer Machtfaktor innerhalb der SPD geworden sind. Weil wir uns eben absprechen, weil wir als Team Politik machen, weil wir auch klare Vorstellungen haben, wo es inhaltlich hingehen soll. Diesen Weg werde ich weitergehen. Dafür braucht es junge Menschen – vor allem Jusos – im Bundestag.
Während der JugendPolitikTage meinte Jens Spahn sinngemäß, dass natürlich Politik für ältere Menschen gemacht wird, da ein Großteil der Wählerschaft älter sei. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass in der nächsten Legislaturperiode wirklich Politik für junge Menschen gemacht wird?
Das ist ziemlich wahrscheinlich. Wir garantieren als Jusos Politik für junge Menschen. Wir haben natürlich auch bei anderen Parteien Bündnispartner*innen, die jungen Themen spielen wollen. Aber ich sage auch klar: Es ist schwer, sich durchzusetzen, vor allem als junger Mensch. Ich gehe auch auf die Straße und werde auch weiterhin auf der Straße sein. Aber die Gesetze werden im Bundestag gemacht. Und das heißt, wir müssen in den Parteien aktiv sein. Ich wünsche mir sehr, dass viel mehr junge Menschen das auch tun.
Was hat dazu geführt, dass dieses Jahr so viele junge Erwachsene für den Bundestag kandidieren?
Einmal ist es die Initiative von uns jungen Leuten. Aber es geht auch um Machtpolitik. Es ist nicht so, dass einem eine Kandidatur geschenkt wird. Leute, die schon in bestimmten Machtpositionen sind, versuchen, diese Machtposition zu verteidigen. Und man hat es als Neuer, besonders als junge Person und dann noch als Frau oder als Mensch mit Zuwanderungsgeschichte viel schwerer. Das muss sich ändern. Es müssen alle verstehen, dass es „die Jugend“ nicht gibt. Wir sind vielfältig. Um nochmal auf das Thema junge Frauen einzugehen: Wir müssen uns klar machen, dass nur 30% der Menschen in Parteien Frauen sind! Wir müssen uns diese Macht irgendwie nehmen. Sie steht uns zu. Die Hälfte der Welt gehört uns Frauen.
Denken Sie, dass man junge Menschen, die die AfD wählen wollen, für die SPD gewinnen kann?
Es kommt darauf an, mit was für einem AfD-Wähler man es zu tun hat. Es gibt einen bestimmten Prozentsatz an Menschen in diesem Land, die rassistisches Gedankengut vertreten und dem müssen wir entschieden entgegentreten.
Natürlich geht es uns aber auch darum, einen anderen Politikstil zu prägen. Es gibt so viel Veränderung und man hat das Gefühl, dass man selber keine Stimme hat, Andere für einen entscheiden und man nichts bewirken kann. Wir können Dinge aber so verändern, dass Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen und am Ende trotzdem kaum Geld haben, auch profitieren und sich nicht entwürdigt fühlen oder das Gefühl haben, dass sie wenig Wert in der Gesellschaft haben.
Bildung gehört zu Ihren Kernthemen. Mit welchen Maßnahmen und Mitteln kann man die soziale Spaltung in Schulen durchbrechen?
Wir müssen aufhören, nur in Parteipapiere zu schreiben, dass Bildung Priorität hat, sondern endlich danach handeln. Das bedeutet: Mehr Geld für Bildung. Beispielsweise muss der Bund die Kommunen unterstützen dürfen und es muss eine nationale Bildungsplattform geben, damit alle Zugriff auf dieselben Ressourcen haben. Ich frage mich aber, ob das reicht. Wir müssen auch darüber sprechen, wie Schule sich verändern soll. Brauchen wir eigentlich noch starre Fächer? Brauchen wir Unterstützungsgruppen, Lerngruppen, Sozialarbeiter*innen? Es wird Zeit für ein ganz anderes System von Schule, das Neugier nicht mehr abtötet. Das wird ein hartes Brett auch in meiner eigenen Partei – ich habe mir viel vorgenommen.
Klimaschutz ist ein zentrales Thema in diesem Wahlkampf. Mit Klimaschutz werden Veränderungen zwingend einhergehen. Auf welche Veränderungen sollte sich jede*r einstellen?
Erst einmal darauf, dass ein Bus oder eine Bahn auch fährt. Denn in der Mehrzahl der Fälle ist das, gerade auf dem Land, nicht der Fall. Die SPD wird sich für alle Unter-18-Jährigen einsetzen, dass man umsonst fährt. Das finde ich genau richtig. Darüber hinaus muss sich in der Autoindustrie und auf dem Arbeitsmarkt etwas bewegen. Wenn ich natürlich, das will ich nicht verschweigen, in einem sehr reichen Haushalt groß werde, dann wird man sicherlich nicht mehr so viel Geld zur Verfügung haben, weil ich finde, dass Menschen mit einem sehr hohen Einkommen auch einen größeren Teil zum Gemeinwohl beitragen sollten. Es wird eine Umverteilung geben mit der SPD. Vermögen werden belastet und der Spitzensteuersatz wird erhöht werden.
Sie haben bereits den ticketfreien Nahverkehr angesprochen, der auch im SPD-Wahlprogramm steht. Es gibt aber Menschen, die sich ihr Ticket ohne Probleme leisten können. Trägt ticketloses Fahren wirklich zu sozialer Gerechtigkeit bei oder könnte das Geld besser investiert werden?
Der grundsätzliche, geplante Wechsel sieht vor, dass nicht mehr die Nutzerinnen und Nutzer den Nahverkehr finanzieren, sondern alle. Denn alle profitieren vom Nahverkehr, inklusive Autofahrer. Ticketfrei können wir besser regulieren, welche Gruppe wie viel leisten kann. Man kann den Jahresbeitrag vom Einkommen abhängig machen. Und manche Gruppen kann man dann komplett entlasten. Ich glaube, dass das wesentlich fairer ist. Vor allem macht es deutlich, dass wir alle verantwortlich sind – für das Klima und für unsere Fortbewegungsart.
Sie haben Anfang des Jahres in einem Interview im SPIEGEL gesagt, dass Sie einen Mindestlohn von mindestens 13 Euro für notwendig halten. Im SPD-Wahlprogramm und im 100 Tage Programm steht eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. Werden da nicht gerade die Jobs von jungen Leuten gefährdet, die ohnehin durch die Pandemie in Finanzierungsnot geraten sind?
Wir haben ja, bevor wir den Mindestlohn eingeführt haben, sehr viele Horror-Storys gehört. Da wurde gesagt, dass quasi 50% der Jobs wegfallen. Passiert ist: Nichts. Es braucht Löhne, die auch absichern und von denen man leben kann. In den letzten Jahren sind Unternehmensgewinne und die Produktivität wahnsinnig gesteigert worden. Die Löhne sind aber kaum gestiegen, das heißt, nur bestimmte Bevölkerungsgruppen profitieren. Deswegen braucht es diese 12 Euro Mindestlohn. Ich sehe nicht, dass dadurch wesentlich Jobs verloren gehen. Das ist aus meiner Sicht ein Argument, was einfach herangeführt wird, um Angst zu machen.
„Es ist gut, dass die Merkel-Ära zu Ende geht.“ Das ist ein Zitat von Ihnen. Warum sehen Sie das so?
Wir haben 16 Jahre lang erlebt, dass Dinge alternativlos sind. Man hat irgendwie eine Krise, durch die man durchsteuern muss und alle halten am besten die Füße still. Das ist für mich ein desaströser Politikansatz. Es geht dabei eben nicht um Klimaschutz oder Lohnentwicklung. Wir brauchen endlich eine Debatte über die großen Fragen und wirkliche Lösungen. Das ist politische Kultur, die wir jetzt erleben können.
Herr Scholz ist zum Thema Koalitionen nicht besonders konkret. Wie stehen Sie denn zu einem Bündnis mit der Linkspartei?
Wir haben als SPD und Jusos bestimmte Ziele. In einigen Punkten können wir sehr gut mit den Linken zusammenarbeiten. Aber es gibt auch Punkte, die sind nicht mit uns verhandelbar. Und das ist die Frage von außenpolitischen Bündnissen und Verantwortung in der Welt. Die SPD steht einem Bündnis gegenüber offen, weil ich glaube, dass wir viel zusammen gestalten könnten. Aber ohne, dass sich die Linke in solchen Fragen bewegt, ist mit der SPD auch nichts machen.
Wenn sich die Linke also in ihren außenpolitischen Positionen und der Einstellung zur NATO nicht bewegt, würden Sie einer Koalition widersprechen?
Natürlich, das ist doch klar. Wir können und sollten als Deutschland auf keinen Fall aus Bündnissen austreten. Das wird unserer internationalen Rolle nicht gerecht. Das geht einfach nicht.