Die Europäische Union finden die meisten jungen Menschen grundsätzlich gut. Aber konkrete Vorstellungen von der Zukunft der EU zu formulieren, scheint vielen schwer zu fallen. Woran das liegt, hat Jana Borchers versucht herauszufinden.
Der Brexit hat in vielen Ländern die Begeisterung für die EU neu entfacht, besonders unter jungen Menschen. In Deutschland erfährt die Bewegung „Pulse of Europe“ großen Zulauf. Menschen gehen auf die Straße, demonstrieren für den Zusammenhalt der Union, für europäische Grundrechte.
Was das im Detail bedeutet, hat die Initiative nicht näher definiert. Und vielen jungen Menschen scheint es ähnlich zu gehen: Die EU ist gut, muss aber verbessert werden. Mit diesem Gedanken hört es meistens jedoch schon auf. In dem Workshop „We are Europe, baby!“ unter der Leitung von Helen Böhmler sollen die Kongressteilnehmer und -teilnehmerinnen deshalb verschiedene Zukunftsvisionen für die Europäische Union entwickeln.
Eine gemeinsame Vision?
Helen Böhmler glaubt, dass das Fehlen einer gemeinsamen Vision die Reformierung der EU so schwierig macht. Ist eine Art Vereinigte Staaten von Europa das Ziel? Soll es eine gemeinsame Haushaltskasse geben, einen einheitlichen Steuersatz? Oder sollen die Nationalstaaten die Hoheit in den meisten Bereichen behalten und nur als beratendes Gremium zusammentreten?
Die Komplexität des Themas schrecke viele Menschen ab, über konkrete Vorschläge nachzudenken. “Der Weg zur richtigen Antwort ist sehr lang”, meint Böhmler. Gleichzeitig ist sie der Auffassung, dass viele Menschen den Glaubenssatz verinnerlicht haben, eine proeuropäische Einstellung schließe Kritik an der EU von Anfang an aus.
Man müsse sich sehr genau auskennen, um gezielt Kritik üben zu können, ansonsten argumentiere man schnell auf der Gefühlsebene. Sie hält es daher für wichtig, mehr Vorwissen zu schaffen, das Thema verstärkt in Schulen und Bildungseinrichtungen zu behandeln.
Böhmler glaubt, dass die allgemeine Ziellosigkeit über die Zukunft der EU zu einer Blockade geführt hat. Gezeigt habe sich das aktuell bei der Unterbringung von Geflüchteten. Dennoch hält sie es für möglich, dass man sich auf eine gemeinsame Vision einigen könne: „Es kann sein, dass die Konfliktlinien vor allem auf Regierungsebene ablaufen“. Deshalb denkt Böhmler, dass eine stärkere Einbindung der Bevölkerung den Prozess vereinfachen könnte.
Globale Probleme nur gemeinsam lösbar
All das klingt ziemlich schwierig und kompliziert. Dennoch scheint es auch heute, als wollten die Teilnehmenden an der Idee einer gemeinsamen Europäischen Union auf jeden Fall festhalten. „Ich glaube, es gibt viele Menschen, die die EU ganz rational als alternativlos ansehen“, sagt Böhmler. In der heutigen Zeit gibt es zu viele Probleme, die ein einzelner Staat nicht lösen kann: sei es die Flüchtlingsthematik oder die Erderwärmung.
Am Ende des Workshops präsentieren die Teilnehmenden ihre Visionen. In vielen Punkten scheinen sie sich überraschend einig zu sein. Gemeinsame Gesundheitspolitik, hat eine Gruppe auf ihr Plakat geschrieben. EU-Ausweis. Finanzielle Sanktionen für Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Gemeinsamer EU-Feiertag. Ob und wie sich das alles umsetzen lässt – darauf findet auch der Workshop keine Antwort. Aber eines hat sich in jedem Fall gezeigt: Noch sind jungen Leuten die Ideen für die Zukunft der EU nicht ausgegangen.