„Die Mitte lebt!“ lautete der Spruch der FDP in diesem Wahlkampf. Bei der Wahlparty am Sonntagabend war noch nicht entschieden, ob die Mitte auch in der kommenden Hamburger Bürgerschaft leben wird. politikorange-Redakteurin Hannah Lee ist dort den Fragen auf den Grund gegangen: Was bedeutet die „Mitte“ und warum legt eine Partei den Fokus so stark auf diesen Aspekt?
Die These, dass die Mitte wieder intensiver gestärkt werden muss, entwickelt sich hauptsächlich aus zwei Gründen. Einerseits geht es um die bürgerliche Mitte, die den deutschen Mittelstand zwischen arm und reich meint. Andererseits geht es um die Mitte zwischen links und rechts auf dem politischen Spektrum, die Angstschürung vor aufkommendem Extremismus und Radikalität verhindern will.
Beides bestätigt Ria Schröder, 27, die Vorsitzende der Jungen Liberalen (JuLis) mit ihrer Aussage, dass die Mitte aus allen demokratischen Menschen bestehe, die zum Wohlstand des Landes beitragen. Sie würden daher auch nicht versuchen neue politische Systeme zu etablieren. Ähnlich äußern sich die FDP-Mitglieder Jeanette, 50, und Detlef, 61: Sie fürchten die Mitte verliere Stimmen, obwohl doch die meisten Menschen Teil dieser Mitte seien. Nach Ron Schumacher, 44, dem Vize-Landesvorsitzenden der FDP, gehen diese dann an „die, die am lautesten schreien“.
Was bedeutet „Mitte“ und was nicht?
Mit seiner Aussage meint er die Randparteien und trifft einen Punkt, in dem sich alle einig zu sein scheinen. Man könnte meinen, eine Mitte sei ganz einfach der Mittelwert aus dem was sie umgibt – ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Bei der FDP ist dies jedoch nicht der Fall.
Nein, die Partei vertrete auf keinen Fall Schnittmengen zwischen links und rechts und habe weder mit dem einen, noch dem anderen auch nur Gemeinsamkeiten, erwiderten viele. Detlef verglich links und rechts mit gegenüberliegenden Ufern, wobei die FDP der Fluss sei – keines von beiden, doch eben die Mitte.
Die Ränder sind, der FDP und ihren Mitgliedern zufolge, auf beiden politischen Seiten, Gruppen, mit denen nicht kooperiert werden sollte – so steht es auch im Wahlprogramm. Johannes, 21, von den JuLis betonte aber freundlich, dass sie nicht per se gegen ihre Wähler seien. Im Gegenteil, berichtete er, sie seien neulich erst an beispielsweise AfD geprägten Orten gewesen, um Protestwählern zu zeigen, dass sie auch anderswo gehört und beachtet werden. Von beiden Seiten abgelehnt zu werden ist zwar die unbequemste Situation, wie Carl Coste, 23, beteuert, aber sie sei gerade die, wo sie als Liberale sein müssen. Obwohl Sie sich so stark durch ihre Meinung abgrenzt, sei die Position nicht extrem.
Der Mittelweg: Gesellschaftliche Zielgerade oder Sackgasse?
Die Mitte ist also nicht links, nicht rechts; nicht arm, nicht reich – aber bietet sie Lösungen für die Probleme und Bedürfnisse unserer Welt? Und vor allem rechtzeitig? Besondere Umstände fordern bekanntlich besondere Maßnahmen. Ein Mittelweg scheint in jeder Hinsicht durchschnittlich. Kann die Lösung von Krisen wie dem Klimawandel und dem Umgang mit Geflüchteten so erreicht werden? Heino Dittmayer, 69, glaubt, dass die FDP dies besser kann als die Parteien der politischen Ränder. Diese würden nämlich vor allem nicht-zielführende „Kurzschlusslösungen“ und Verbote fordern.
Immer wieder wird erzählt, dass die FDP mit Rationalität und Hilfe der Wissenschaft Antworten auf beispielsweise die Umweltfrage finden möchte. Wenn es um verbesserte Integrationsmöglichkeiten oder die effizienteste Art der Mobilitätswende in Hamburg geht, gibt die Wissenschaft jedoch nicht so klare Linien vor. Ganz anders als beim Thema Klimawandel. Hier gibt die Wissenschaft Antworten, die eine radikale Handlungsoffensive der Menschheit fordern. Carl Coste erwidert, die FDP gehe nicht immer den Mittelweg, sondern ergreife in Sachen Klima oder beispielsweise Bürgerrecht, Seiten die eindeutig seien. Die Mitte ergebe sich aus der Zusammensetzung aller Werte.
Kann die FDP, wenn sie sich in der Mitte positioniert, nicht auch eine Rolle als Vermittlerpartei spielen? Kann nicht gerade sie dann, einfacher als andere Parteien, in beide Richtungen eine Hand ausstrecken und Kompromisse schließen? Aber die Mitglieder und Kandidatinnen und Kandidaten der FDP drücken wiederkehrend Ablehnung jeglicher Kooperation aus. Nach dem Fehler in Thüringen distanziert sich die Partei von jedem Anschein der Sympathisierung mit der AfD – manifestiert die Linke aber einfach als Gegenstück der AfD.
Mitte – ohne die FDP
Nun ist die Wahl entschieden und die FDP konnte sich keinen Platz in der Bürgerschaft sichern. Nur ihre Spitzenkandidatin Anna von Treuenfeld-Howein könnte ein Direktmandat erringen. Entgegen der ersten Prognosen ist die AfD doch noch knapp an der FDP vorbeigezogen. Die Partei hatte sich zu früh gefreut und war damit sicherlich nicht allein. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass die Mitte damit gestorben ist.
Ob die Liberalen wahrhaftig in der Mitte zuhause sind, und diese Richtlinie, Mittelwert oder Prämisse ist, bleibt vermutlich Meinungssache. In einer Zeit in der soziale Spaltung und globale Spannungen vorherrschen, kann und muss auch die Lokalpolitik, gerade im Sonderfall des Stadtstaates, mit dem Geist der Zeit gehen. Die breite Mitte einzufangen, Menschen mitzunehmen und in ein Boot zu setzen, die sich ansonsten gegeneinander stellen würden, ist ein Versuch Balance zu schaffen. Doch wie das stattfinden kann bleibt unbekannt.
Die Freie Demokratische Partei ist in Hamburg daran gescheitert, ausreichend Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger zu bündeln, um Einfluss auf den Werdegang der Metropole zu nehmen. Vielleicht können die demokratisch gewählten Machtinhabenden aber trotzdem durch Diskussion und Kompromiss einen Mittelweg finden, der das Boot sicher in den Hafen steuert. Im Wahlkampf ist es unumstritten wichtig sich zu profilieren und zu zeigen was einen besonders macht. Trotzdem ziehen alle Parteien an einem demokratischen Strang.