Junge Menschen sind sehr stark in der Partizipation an der Politik eingeschränkt. Was aber, wenn ein*e Jugendliche*r noch zusätzlich einer marginalisierten Gruppe angehört? Wie bewältigen diese Jugendlichen ihren Alltag und welche Chancen haben sie, in der Politik mitzureden?
Die BundesJugendKonferenz 2022. Ein Saal mit etwa 100 Personen. Zahlreiche Diskussionen über Politik in einer Talk-Runde mit jungen Abgeordneten aus dem Bundestag bzw. Repräsentant*innen der Jugendorganisationen der demokratischen Parteien. Das Thema Diversität steht im Fokus. Plötzlich hebt ein junges Mädchen ihre Hand und der gesamte Raum verfällt in Stille. Sie kritisiert, dass Menschen mit Behinderung in der Diskussion bisher völlig außer Acht gelassen wurden – Diversität wurde zu kurz gedacht. Die Teilnehmer*inne der Talk-Runde, Marlene Schönberger (Bündnis 90/Die Grünen), Rachid Khenissi (Mitglied Juso-Bundesvorstand) Felix S. Schulz (ehem. Landessprecher der Linksjugend solid Berlin), Constantin Borges (stellv. Bundesvorsitzender Junge Liberale (JuLis)) sind wie vom Donner gerührt und zeigen sich sofort einsichtig. Man sieht also: Vielfalt ist viel mehr als man denkt und es braucht noch große Aufbereitung in unserer Gesellschaft.
Dass Jugendliche in der Politik sowieso kaum Gehör finden, ist für viele von ihnen schon eine starke Belastung. So erläuterte Rachid Khenissi aus dem Bundesvorstand der Jusos: „Marginalisierte Jugendliche brauchen doppeltes Sitzfleisch!“ Das stellt ein zusätzliches Hindernis dar, in der Politik mitzuwirken.
Der Kampf um Partizipation
Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren machen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 10 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Aber sie werden oft vergessen, von der Politik nicht gehört und in ihren Partizipationsmöglichkeiten eingeschränkt. Das nennt man Adultismus. Der demographische Wandel ist der Grund dafür, dass die Bevölkerung Deutschlands immer älter wird. Daher ist es umso wichtiger, den Blick der Politiker*innen auf die jungen Menschen zu lenken und ihnen auch die Ziele der Jugend nahezulegen.
„Du bist doch noch grün hinter den Ohren!“– hat Marlene Schönberger bei ihrem Einstieg in die Kommunalpolitik zu hören bekommen. Kommentare wie diese waren jedoch kein Einzelfall. Dass sie nichts zu sagen hätte, musste sie in ihrer politischen Laufbahn des Öfteren hören. Bereits mit 19 Jahren trat sie in die Grüne Jugend ein und gründete den ersten queeren Verein in Niederbayern. Nun hat es Marlene Schönberger mit nur 31 Jahren geschafft, in den Bundestag gewählt zu werden. Sie hat sich durchgesetzt und kämpft nun im Bundestag weiter für Jugendrechte und die Rechte marginalisierter Gruppen.
Gen Z: Von Vielfalt bis zur Diskriminierung
Warum ist grün hinter den Ohren zu sein allerdings so negativ konnotiert? Genau diese Menschen sind es nämlich, die frischen Wind in die Politik bringen – die Jugendlichen.
Und diese junge Generation ist so divers wie noch nie. Laut einer aktuellen Umfrage von Gallup identifiziert sich beispielsweise jede*r sechste Bürger*in Amerikas im Alter zwischen 18 und 23 als queer. Darüber hinaus nimmt in Deutschland aber auch die kulturelle Vielfalt stark zu: Durch Immigration und interkulturellen Austausch wird Deutschland diverser. Allerdings sind die meisten Menschen, die diese Vielfalt ausmachen, stark von Ausgrenzung, sozialer Ungleichheit und Benachteiligung betroffen.
Prof. Dr. Karin Böllert, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, ist beispielsweise der Meinung, dass wir in einer „behindertenfeindlichen Gesellschaft leben“. Wenn alle berücksichtigt werden sollen, so dass keine Minderheit auf der Strecke bleibt, muss das Thema Diversität also breiter gedacht werden. So haben selbst die verschiedensten Politiker*innen der unterschiedlichen Parteien in der Talk-Runde zur BuJuKo 2022 gesagt, dass sie sich selbst an die Nase fassen müssen, wenn es darum geht, das gesamte Spektrum der Diversität in den Blick zu nehmen. So bedauerten es die Politiker*innen sehr stark, Menschen mit Behinderung in ihrem Talk nicht mit berücksichtigt zu haben.
Man sieht also: All diese marginalisierten Gruppen erfahren tagtäglich Diskriminierung in unserer Gesellschaft. Strukturen und die Gesetzgebung unseres Landes tragen dazu bei.
Der Kampf um Inklusion
Um tatsächlich Initiative gegen Diskriminierung zu ergreifen, würde es allerdings auch helfen, wenn mehr Jugendliche marginalisierter Gruppen ihren Weg in die Parlamente fänden. Denn die gesamte Jugend muss, wie Bundesjugendministerin Lisa Paus auf der BuJuKo plädierte, unbedingt „in ihrer Vielfalt abgebildet werden“. Neben der Zielsetzung der politischen Inklusion verriet die Bundesjugendministerin im direkten Gespräch, dass institutionelle Inklusion und Antidiskriminierungsprogramme politisch stark gefördert werden. Sie machte auf die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufmerksam. Dies ist eine Anlaufs- und Beratungsstelle für von Diskriminierung betroffenen Personen.
Die Quintessenz der Inklusion ist es, jegliche Hindernisse im Leben marginalisierter Gruppen abzuschaffen und ein Leben in einer pluralistischen Gesellschaft zu ermöglichen. Deswegen muss auch die Gesetzgebung fördernd für eine solche Gesellschaft sein. Die Linken wollen daher den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, der sich der Sicherstellung von Gleichberechtigung widmet, um die „sexuelle Identität“ erweitern. Heidi Reichinnek, die Vorsitzende der Linken Niedersachsen, sagte politikorange im Interview, dass sie dies als besonders wichtig erachtet. Das Thema sei zurzeit omnipräsent. So wurde beispielsweise auf dem vergangenen CSD in Münster ein 25-jähriger trans Mann totgeschlagen. Sie beteuerte, dass es in diesem Bereich noch viel Nachholbedarf gebe und noch weitere Schritte folgen müssten. So sei es jetzt ein wichtiges symbolisches Zeichen, das Grundgesetz um diesen Artikel zu erweitern.
Letztendlich liegt es aber in unseren Händen – in den Händen der Jugendlichen. Das Größte, was in unserer Macht liegt, ist Druck auf die Politik, die Regierung und die Gesellschaft auszuüben. Was uns bleibt ist, progressive Parteien zu wählen, die sich für die Interessen der Jugend einsetzen und alle marginalisierten Gruppen fördern wollen. Umso wichtiger ist es also, sich selbst zu engagieren und so seine Interessen mit einzubringen – so lange, bis die Jugend auf einen festen Platz auf dem Stuhl der Politik sitzen kann und um kein Sitzfleisch mehr bangen muss.