4,9 Prozent. Die drei Direktmandate in Person von Gesine Lötsch, Gregor Gysi und Sören Pellmann wurden also doch zur „Lebensversicherung der Linken“. Ihr Greifen, wie bei echten Lebensversicherungen sicher auch – nur ein schwacher Trost. Ist die Partei am Sonntagabend zurecht abgestürzt? Lucie Keller kommentiert.
Man bemüht sich kollektiv um ein gegensätzliches Bild. Die Partei habe einen Auftrag, für soziale Sicherheit im Land zu sorgen, so Janine Wissler. Gregor Gysi feiert die Tatsache, dass es überhaupt eine Partei links der SPD gibt, als Erfolg für sich, sei dies doch 1998 noch undenkbar gewesen. Klar, was soll man auch sonst sagen in so einer Situation. Im Zweifel lieber gar nichts, denn 23 Jahre sind verdammt lang her, verdammt lang. So trägt man zum Teil des Problems und nicht der Lösung bei.
Das Tragische ist, dass der Nährboden eigentlich bestellt ist, um in ihm linke Ideen einzupflanzen. Bezahlbares Wohnen, Rente und Bildung sind neben dem Klima viel diskutierte Themen. Das Problem: In der Wahrnehmung Vieler ackern die Linken immer noch in einem Fantasie-Feld – während die Deutschen eher Visionstyp Bundesgartenschau sind.
Dabei ist das Programm der Linken oft realitätsnaher, als es ihnen zu kommunizieren gelingt. Zum Beispiel in Punkto Mindestlohn, den sich Scholz „respektvoll” als einzigen Inhalt auf die Plakate drucken ließ. Denn die von SPD, und im Übrigen auch Grünen, geforderten 12 Euro Mindestlohn reichen nicht aus, um Menschen tatsächlich vor Altersarmut zu schützen. Das hat auch die Regierungsantwort auf Anfrage der Linken ergeben. Will man eine Rente, die gerade einmal genauso hoch ist wie die Grundsicherung, müssen Menschen schon heute 12,21 Euro die Stunde verdienen. Die Linken-Forderung von 13 Euro hatte das im Blick. Auch bei der Klimaneutralität waren sie am ambitioniertesten. Kamen mit ihrem Programm dem – man kann es nicht genug betonen – vertraglich vereinbarten 1,5 Grad-Ziel am nächsten.
Am Ende sind das aber nur Zahlen. Schwer zu vermitteln, ohne Gesichter. Susanne, wer? Für Menschen, die nicht aus Thüringen kommen, ist Hennig-Wellsow wenn überhaupt „die Blumenstrauß-Wurf-Frau“. Noch schwieriger wird es natürlich, wenn bekannte Gesichter, wie Sahra Wagenknecht, auch noch querschießen. In der Partei ist aktuell so manches offen. Wollen sie die ewige Opposition, Pazifismus, die Lifestyle-Linke? All das sind Diskussionen, die zu lange ungeführt sind und von Gysi nur verdeckt statt moderiert wurden. Am Ende ist die Linke damit wie jeder gute Millennial: Was wehtut, wird einfach in die nächste Yoga-Session geatmet. Man kann nur hoffen, dass der Partei die 4,9% als blaues Auge reichen, um endlich den Gesamtcheck beim Arzt zu wagen. Dann braucht sie auch keine Lebensversicherung.