Bei den sächsischen Landtagswahlen könnte die AfD mehr als ein Drittel aller Stimmen erhalten. Dann hätte sie bei vielen wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht. Verhindern ließe sich das wahrscheinlich, wenn sowohl die Grünen als auch die Linken es wieder über die Fünfprozenthürde schaffen.
Um genau das zu erreichen, wollte die Kampagnenorganisation Campact aussichtsreiche Direktkandidat*innen der beiden Parteien fördern – mit Werbung und je 25.000 Euro. Doch die ausgesuchten Direktkandidat*innen haben die Kampagne kritisiert, drei von vier haben das Geld abgelehnt. Campact-Mitarbeiterin Luise Neumann-Cosel (38) hat die Kampagne zusammen mit einem Team an Campaigner*innen organisiert.
politikorange: Welche Erfolgsaussichten hat man als Campaigner*in, Frau Neumann-Cosel?
Luise Neumann-Cosel: Man weiß vorher nie, ob man etwa bewegen kann oder nicht. Aber es lohnt sich jedes Mal wieder, es auszuprobieren.
politikorange: Warum?
Neumann-Cosel: Die Frage, die uns viel bewegt, ist: „Wo können wir als Bürger*innen möglichst viel gemeinsam ausrichten?“, „Wie können wir uns als progressiver Teil der Gesellschaft clever aufstellen?“ Deswegen denken wir jetzt auch über so was wie strategisches Wählen nach.
politikorange: Was war die größte Herausforderung bei der Organisation dieser Kampagne?
Neumann-Cosel: In diesem Fall war klar: Auch Menschen, die uns politisch nahestehen, werden nicht glücklich sein über diese Kampagne, weil wir eine Wahlempfehlung für ihren Konkurrenten oder ihre Konkurrentin aussprechen. Wie man mit allen Beteiligten fair umgeht und gleichzeitig versucht, die Verantwortung anzuerkennen, die wir als Organisation gegen Rechtsextremismus haben – das ist, glaube ich, die größte Herausforderung gewesen.
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Luise Neumann-Cosel arbeitet seit sieben Jahren bei Campact. Ihr Schwerpunkt ist der Klimaaktivismus. Seit Anfang des Jahres organisiert sie auch Kampagnen gegen Rechtsextremismus. Sie leitet das Team der Direktstimmen-Kampagne zur sächsischen Landtagswahl.
Luise Neumann-Cosel im Jahr 2014. Foto: Andi Weiland/Berliner Gazette unter CC BY 2.0
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politikorange: Nach welchen Kriterien haben Sie die Direktkandidat*innen ausgesucht?
Neumann-Cosel: Es gibt eigentlich nur vier Wahlkreise, in denen es relativ sicher ist, dass die Grünen oder die Linken gewinnen. Für uns war die Frage: In welchem hat die Grünenkandidatin die besseren Chancen und in welchem der Linkenkandidat? Das war für uns das alleinige Kriterium.
politikorange: Und wie sind Sie dann mit der Entscheidung zwischen Grünen- und Linkenkandidat*innen umgegangen, wenn diese in Konkurrenz um ein Direktmandat standen?
Neumann-Cosel: Wir haben zuerst mit den Parteien gesprochen und gefragt: Wollt ihr euch einigen, wer wo antritt, damit ihr sicherstellen könnt, dass ihr jeweils zwei Direktmandate holt und im Landtag vertreten seid? Leider konnten sich die Parteien das nicht vorstellen. Wir haben dann alle Zahlen, alle Daten, also alle Wahltrends der vergangenen Wahlergebnisse überprüft und die dadurch aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt.
politikorange: Die ausgesuchte Direktkandidatin Juliane Nagel von der Linken hat in der taz kritisiert, dass sie sich nicht mit in die Planung einbezogen gefühlt hat.
Neumann-Cosel: Wir haben sehr frühzeitig mit den Parteien gesprochen. Als klar wurde, dass die Parteien sich nicht untereinander einigen, haben wir auch mit den Kandidat*innen geredet. Aber wir haben bewusst nicht zu ihnen gesagt: Wir wollen, dass ihr zurückzieht. Zu sagen, du musst jetzt fürs größere Ganze zurückziehen, das ist schon viel verlangt. Das ist Aufgabe der Parteien, sich noch mal mit ihren Direktkandidat*innen hinzusetzen und zu überlegen: Was ist denn eigentlich das Beste für die Gesellschaft, für Sachsen, für unsere Partei? Deshalb haben wir mit den Direktkandidat*innen erst später gesprochen.
politikorange: Nagel hat auch noch kritisiert, dass die Kampagne den Eindruck erwecke, ein westdeutscher Verein wolle über die Zivilgesellschaft im Osten hinweg entscheiden.
Neumann-Cosel: Ich kann nachvollziehen, aus welchen Gründen man so was sagt. Aber wir haben eine Umfrage unter unseren 130.000 Campact-Unterstützer*innen in Sachsen gemacht. Über 95 Prozent der Menschen haben da zurückgemeldet, dass sie so eine Kampagne wollen. Zu sagen, Campact ist westdeutsch und hat mit Sachsen nichts zu tun, finde ich, ehrlich gesagt, auch nicht der Realität entsprechend. Man muss auch erst mal hier so viele Menschen zusammenbringen.
politikorange: Mit welchen Geldern habt ihr die Kampagne finanziert?
Neumann-Cosel: Campact wird durch Spenden finanziert, unsere Fixkosten decken die Förderinnen und Förderer für die Kampagne. Zudem bitten wir für die Kampagnen immer um Einzelspenden. Für diese spezielle Kampagne haben wir einen Spendenaufruf per Mail geschrieben und um Unterstützung gebeten.
politikorange: Drei der vier Kandidat*innen haben das Geld ja gar nicht angenommen. Was passiert denn jetzt damit?
Neumann-Cosel: Das Geld geht in Maßnahmen wie Postwurfsendungen in den Wahlkreisen oder Social-Media-Ads. Wir machen in Sachsen auch eine Zweitstimmenkampagne, also dass wir auch dazu aufrufen, die Zweitstimme strategisch einzusetzen. Auch da geht dann Geld rein. Das gehört alles zu einem Gesamtprojekt, für das wir von vornherein um die Spenden gebeten haben.
politikorange: Und wie erfolgreich finden Sie die Kampagne jetzt insgesamt?
Neumann-Cosel: Das können wir erst hinterher vernünftig bewerten. Was für mich am wichtigsten ist, ist, dass wir versucht haben, die Chancen, die wir hatten, zu nutzen. Dass die gesellschaftliche Linke in solchen Zeiten zusammensteht und Demokrat*innen sich an einen Tisch setzen und versuchen, sich zu organisieren gegen die drohende Gefahr der AfD. Das glaube ich ist, worum es geht.