Partei der Reichen, Kanzler*innenmacher, One-Man-Show — die FDP erhält kurz vor der Wahl viele Zuschreibungen. Felicitas Nagler beobachtet das Auftreten der Partei beim Wahlkampfabschluss in Berlin.
„Wenn wir es schaffen, unseren Wohlstand mit Freiheit und Klimaschutz zu verbinden, dann sind wir ein Modell für die Welt – und dann werden uns andere auch folgen können“, ruft Christian Lindner. Der Parteichef erntet tobenden Applaus, murmelnde Zustimmung und nickende Köpfe. Hier, vor der Königlichen Porzellanmanufaktur in der gehobenen Gegend der Friedrichsstraße findet der Wahlkampfabschluss der FDP Berlin statt. Pinke und blaue Lichtsäulen erstrecken sich in die Höhe und erhellen die Gesichter hunderter Zuschauer*innen, die zu Füßen der steinernen Treppe den Worten der Sprechenden lauschen.
Lindner steht oben, ohne Krawatte, seine Rede untermalt er mit ausladenden Handbewegungen. Hinter ihm steht ein Großflächenplakat der FDP. Darauf: Christian Lindner. Zu Beginn seiner Rede wischt der echte Parteichef imaginären Staub von seinem Bild. Er wechselt einen Blick mit dem Publikum. Vielleicht bin ich so selbstverliebt, wie die Medien sagen, könnte das heißen. Aber nicht ohne Grund.
Eine neugeborene Partei?
Eine Zeitreisende aus 2013 würde die FDP nicht wiedererkennen. Zunächst noch Regierungspartei wurden die Liberalen wöchentlich von der Heute Show in die Mangel genommen, bei der Bundestagswahl flog die FDP schließlich mit 4,8% aus dem Bundestag. 2021 ist die FDP jung und cool. Teenager in Anzügen und Hoodies stehen wie selbstverständlich neben älteren Damen mit Goldringen. Was ist passiert? Christian Lindner, natürlich. Seit Dezember 2013 ist er Vorsitzender; die Wahlplakate 2017 und 2021 setzen voll auf sein Gesicht.
Christoph Meyer, seit 2017 im Bundestag, kennt noch einen anderen Grund für das Revival der Partei. „Wir versprühen einen Zeitgeist, der junge Menschen anspricht“, verrät er.
„Angebote statt Verbote“, predigt Lindner von der Bühne. Mit den Ängsten vor Fremdbestimmung weiß er zu spielen. „Wir lassen euch mit dem Auto fahren“, verspricht er, „das ist der Unterschied zwischen uns und den Grünen.“ Er erntet Gelächter, nicht zum ersten Mal an dem Abend. Die FDP betont den Stellenwert der persönlichen Freiheit – und das zieht auch viele junge Menschen an. Die Veranstaltung empfiehlt eine Gesichtsmaske, doch nur wenige kommen dem nach. Es gilt die 3G-Regelung, aber keine Überprüfung findet statt. Jede*r ist selbst dafür verantwortlich, sich per Corona-Warn- oder Luca-App in die Veranstaltung einzuloggen.
Relatable statt hoch zu Ross
Der Grundtenor des Abends: Es gibt eine Menge Unterschiede zwischen der FDP und den anderen Parteien. Lindner schlängelt sich rhetorisch geschickt durch die Themen des Wahlprogramms, ob Digitalisierung über Bildung bis zur Rente, und erspart dabei keiner einzigen Partei süß-sauren Spott. Sei es Armin Laschet, der Geld wie Kamellen um sich werfe oder die Grünen, die Berlin zum „Bullerbü“ machen wollen würden. Mit seinen zahlreichen Anekdoten von Fernsehshows verwandelt Lindner den Platz in sein Wohnzimmer, er macht die wildfremden Menschen zu Vertrauten. Einmal ertönt Applaus, bevor Lindner sein Plädoyer zu Ende führen kann. „Sie sind schon meiner Meinung“, scherzt er, „aber ich würde trotzdem gerne noch ein Argument nachliefern.“
Lindner bemüht sich, kompetent aufzutreten, dabei aber gleichzeitig down-to-earth-relatable zu wirken. Bloß nicht das alte Image nähren, die FDP sei abgehoben oder fern vom Menschen. Dazu passt die Anekdote, die er von einem Maskenbildern vor einem Fernsehauftritt erzählt. Der habe ihn nach seinem Sternzeichen gefragt und auf die Antwort „Steinbock“ zufrieden festgestellt, dass Lindner damit ein guter Finanzminister wäre.
Jamaica Aus? Jamaica Erfolg!
Auf diese Weise bringt der Parteichef elegant eine mögliche Regierungsbeteiligung ins Spiel. Die geplatzten Jamaica-Verhandlungen von 2017 hangen noch lange als dunkler Schatten über der Partei. Doch was damals von vielen als das Versagen einer sturen, kompromissunfähigen Partei wahrgenommen wurde, verkauft die Partei heute als Erfolgsgeschichte. „2017 haben wir gezeigt, dass wir zu unseren Inhalten stehen“, erklärt etwa Christoph Meyer. Die Story: Die FDP ist standhaft, sie ist verlässlich und die einzige Partei, der man vertrauen kann, das umzusetzen, was sie versprochen hat. Am Ende seiner Rede mahnt Lindner das Publikum, bei dieser Wahl nicht taktisch zu wählen. Das Einzige, was Sinn habe: „Alle Stimmen für die Freiheit.“
Und wie geht es am Montag weiter, wenn die ersten Ergebnisse feststehen? Christian Lindner erwähnt politikorange gegenüber, dass Jamaica dieses Mal definitiv eine Möglichkeit ist. Alles habe sich verändert, vor allem die beteiligten Personen. Auf die Frage, von wem er sich den ersten Anruf am Montagmorgen wünsche, Olaf Scholz oder Armin Laschet, antwortet Christian Lindner: „Die Frage ist eher, wen wir anrufen.“ Und er zwinkert.