Was auf Bundesebene einmalig wäre, ist in Baden-Württemberg längst Tradition: Grüne und Union gemeinsam in der Regierung. Warum funktioniert die Kiwi-Koalition im Schwabenländle? Was kann Berlin davon lernen?
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©Pixabay
Kiwi-Koalition: eine Seltenheit
Die Kiwi ist eine süß-säuerliche Frucht aus Ostasien und vielleicht auch der Name der kommenden Koalition Deutschlands. “Kiwi” steht im politischen Kontext für ein Regierungsbündnis der Union und der Grünen. Was Frucht und Koalition gemeinsam haben: Exotik. Doch ist die saure Frucht zu exotisch für eine künftige Bundesregierung?
Auf Bundesebene gab es – bis dato – noch keine schwarz-grüne oder grün-schwarze Regierungskonstellation. Das könnte sich im Hinblick auf die Bundestagswahlen am 23. Februar ändern. Im RTL-Quadrell äußerte sich der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nicht abgeneigt von einer Koalition mit dem Bündnis ´90: “Möglicherweise die Sozialdemokraten, möglicherweise die Grünen.” Denn was auf Bundesebene noch exotisch wirken mag, ist auf Landesebene in Baden-Württemberg schon längst Alltag. Hier regiert seit 2016 grün-schwarz unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Der 76-jährige Schwabe ist somit der einzige grüne Regierungschef in ganz Deutschland.
Die grünen Pragmatiker im Ländle
“Kretschmann überzeugt mit seiner bodenständig-bürgerlichen Art auch über Parteigrenzen hinaus”, sagt Prof. Dr. Felix Hörisch. Er ist Professor für Politik- und Sozialwissenschaften an der HTW Saar. Gemeinsam mit Stefan Wurster schrieb er das Buch “Kiwi im Südwesten – Eine Bilanz der zweiten Regierung Kretschmann 2016-2021”.
Kretschmanns Beliebtheit machte sich bei den vergangenen Landtagswahlen 2021 bemerkbar: Die Grünen in Baden-Württemberg konnten fast 33 Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Auch aus Reihen der Union kommt Lob für die gute Zusammenarbeit zwischen Kretschmann und CDU-Fraktionschef Manuel Hagel. >>Die CDU arbeitet in Baden-Württemberg gut mit Winfried Kretschmann zusammen<<, schildert Tobias Vogt, Landtagsabgeordneter und Landesgeschäftsführer der CDU Baden-Württemberg. So finde man immer wieder gute Kompromisse, die das Land voranbringen. Trotz Coronapandemie und Energiekrise blieb die Kiwi-Koalition somit in sich stabil. Kretschmann bilanzierte zur Halbzeit der Landesregierung: “Darauf können wir stolz sein.” Einer der Hauptgründe für den Erfolg des grün-schwarzen Bündnisses: Die Grünen sind in Baden-Württemberg vergleichsweise konservativ. Umgeben von großen Automarken wie Porsche und Mercedes, machen sich die Grünen ungewohnt stark für die Automobilindustrie. “Und deshalb arbeiten wir daran, dass das klimaneutrale Auto der Zukunft hier in Baden-Württemberg erforscht, entwickelt und gebaut wird”, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen Fraktionen in Baden-Württemberg.
Koalitionskonflikt: Bitte Tür schließen!
Neben dem konservativen Kretschmann schweißt die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg vor allem eines zusammen: Konflikte werden nicht in aller Öffentlichkeit ausgetragen. “Natürlich gehören Diskussionen dazu”, sagt Landesgeschäftsführer Vogt, “doch die Menschen verlieren das Vertrauen, wenn sich Koalitionspartner öffentlich streiten.” In diesem Punkt unterscheidet sich die Kiwi-Koalition von der zerbrochenen Regierungsampel: Die drei Parteien FDP, SPD und die Grünen machten ihre Unstimmigkeiten über den Haushalt 2025 publik.
“Man muss sich Erfolge gönnen”
Der Politikwissenschaftler Hörisch beschreibt in seinem Buch das Konzept der Komplementärkoalition: “Beide Parteien ergänzen sich mit ihren jeweils sehr unterschiedlichen inhaltlichen Positionen.” Ziel sei es, seinem Partner Spielräume für Politikgestaltung zu geben und ihm Erfolge zu gönnen. Doch wie gut das schwäbische Kiwi-Modell auch auf Bundesebene funktionieren könnte, ist fragwürdig. Während Landespolitiker über Bildung und Wissenschaft verhandeln, muss die Bundespolitik größere Herausforderungen bewältigen – russischer Angriffskrieg, Migration und eine klaffende Haushaltslücke. Das erschwert die Konsensfindung auf Bundesebene. Im vorigen Dezember äußerte sich CSU-Chef Markus Söder erneut in aller Borniertheit gegen eine Koalition mit den Grünen. Im Interview mit der Bild am Sonntag sagte er: “Da bin ich ganz felsenfest klar.” CDU-Kanzlerkandidat Merz dahingegen zieht eine Kiwi-Koalition durchaus in Bedacht. Dennoch: Eine Wirtschaftspolitik wie unter Habeck wolle er nicht, so der Kanzlerkandidat im RTL-Quadrell.