Eine Mehrheit der Jugendlichen fühlt sich von der Politik nicht gehört. Dabei bieten insbesondere soziale Medien Politiker*innen und Jugendlichen Möglichkeiten zu kommunizieren. Die Gründe einer unzureichenden Verständigung müssen also in den sozialen Netzwerken selbst zu finden sein.
Mit Fridays for Future gingen hunderttausende Jugendliche auf die Straße und schrien der Bundesregierung ihre Enttäuschung entgegen. Angesichts der Klimakrise wurde diese Unzufriedenheit immer wieder deutlich. Sie beschränkt sich aber nicht nur auf die Streitfrage der Klimapolitik: 73 Prozent der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland sind unzufrieden damit, wie ihre Interessen von Politiker*innen vertreten werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Infratest dimap im Auftrag der Vodafone-Stiftung. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen fühlen sich nicht gehört und verstanden.
Johannes Schraps, Bundestagsabgeordneter der SPD, hat eine Theorie, wieso dies der Fall ist. Beim Ansprechen von Politiker*innen müssten Jugendliche, so Schraps, eine Hürde überwinden. Denn viele von ihnen würden Politiker*innen nur aus dem Fernsehen kennen. Das würde den Kontakt erschweren. Politiker*innen müssten für Jugendliche greifbar sein. Sie müssten auf die Jugendliche zugehen, sei es im Wahlkreis oder in den sozialen Medien.
Laut Infratest dimap wünschen sich 73 Prozent der 14- bis 24-Jährigen, dass Politiker*innen bei Instagram aktiver wären, bei YouTube 52 Prozent. Viele Politiker*innen haben bereits ein Profil auf diesen Plattformen. Medien würden, so Schraps, in der Beziehung zwischen Politik und Jugendlichen immer wichtiger, sowohl als Informationsquelle als auch zur Kommunikation. Doch offensichtlich, das hat die Umfrage ergeben, wünschen sich viele Jugendliche noch mehr Onlineaktivität von Politiker*innen.
Eine Frage der Ansprache
Wolfgang M. Schmitt, Publizist und Podcaster, erkennt in der Art und Weise, wie viele Politiker*innen Jugendliche ansprechen das Problem: „Man sollte sich, wenn man in den sozialen Medien agiert und dort auch ein junges Publikum erreichen will, vor allem auf eine Ansprache einigen, die das Gegenüber ernst nimmt.“ Die sozialen Medien würden dazu einladen, sich peinlich zu verhalten. Dieser Cringe-Faktor schrecke Jugendliche ab. Würden sie von der Politik stattdessen ernstgenommen und wie Erwachsene angesprochen werden, bestünde auch online durchaus Interesse an politischen Inhalten. „Ich habe nicht die Erfahrung gemacht, dass man mit politischen Inhalten keine Reichweite erlangen kann. Es ist die Frage, wie man sie vermittelt.“
Auch die Studie der Vodafone Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass sich über die Hälfte aller 14- bis 24-Jährigen für Politik interessiert. Die Mehrheit davon informiert sich außerdem regelmäßig. Diese Erfahrung teilt auch Johannes Schraps. Politiker*innen, so Schraps, müssten sich mehr mit Jugendlichen austauschen und ihr Interesse wecken. Sie seien in der Pflicht, sich mit Jugendlichen auseinanderzusetzen. Im Austausch bekämen Politiker*innen außerdem wertvolle Rückmeldungen von den Jugendlichen. Und auch Schraps will sich als Politiker in sozialen Medien nicht lächerlich machen: „Mir hilft es gar nichts, wenn ich auf TikTok ständig irgendwelche verrückte Videos mache, die vielleicht Aufmerksamkeit erregen, die aber mich in meiner Authentizität und der Art und Weise, wie ich bin, nicht richtig darstellt.“ Man könne nur Politik machen, wenn man mit den eigenen Onlineauftritten seine Authentizität und Respektabilität, die man als Politiker*innen hat, nicht untergräbt. Daneben sei es „immer eine Abwägungssache zwischen öffentlicher Präsentation und Transparenz in sozialen Netzwerken einerseits und der eigentlichen Arbeit als Bundestagsabgeordneter, für die man eigentlich gewählt wurde, anderseits. Gesetze zu machen und sich in Fachthemen einzuarbeiten, ist aber halt nicht so interessant, dass man das über soziale Medien transportieren könnte.“
Auffällig ist, dass TikTok, der Umfrage von Infratest dimap zufolge, in der Frage, auf welchen Plattformen sich Jugendliche mehr politische Inhalte wünschen, mit 29 Prozent hinterherhinkt. Wolfgang M. Schmitt sieht hierfür einen klaren Grund: Die Jugendlichen würden sich eine Alternative zu den plattformtypischen Kurzvideos wünschen. Besonders zur Aufklärung über politische Themen sei ein längeres Videoformat von Nöten. Viele Jugendliche hätten außerdem noch die ersten Versuche von Politiker*innen auf der Plattform vor Augen, ihre Teilnahme an verrückten Challenges inklusive.
Zwischen Chance und Gefahr
Schließlich aber entscheiden Algorithmen darüber, was ein*e Nutzer*in in den sozialen Medien zu sehen bekommt. Schmitt sieht hier politischen Content als benachteiligt an. Hinter den sozialen Medien stünden Firmen, die ihre Geschäfte eigentlich durch Werbung machen würden. Da politischer Content werbeunfreundlich sei, habe er bei den profitorientierten Algorithmen der Techfirmen eher geringen Erfolg. „Wenn der Algorithmus nicht will, dann kann der beste politische Inhalt ein Rohrkriecher bleiben.“
Auch Johannes Schraps hat den Algorithmus im Blick. Denn dieser würden einem, „schaut man sich einen Content an, danach häufig ähnlichen Content zuspielen. Das ist sicherlich schwierig, sodass wir dann auch überlegen müssen, wie wir politisch solche Dinge regulieren können.“ Dies sei wichtig, nachdem polarisierende Aussagen meist mehr Aufmerksamkeit erhielten. Angesicht des großen Einflusses, den Algorithmen dabei auf die politische Öffentlichkeit nehmen, hält auch Wolfgang M. Schmitt regulierende Eingriffe der Regierung für möglich. Durch den Algorithmus wären viele Jugendliche einer einseitigen Berichterstattung ausgesetzt, so Schmitt. Dadurch entstehe die Gefahr, dass es zur Bildung extremer Meinungen komme.
Trotz aller Probleme sind sich Schraps und Schmitt einig, dass soziale Medien für politische Bildung eine riesige Chance bieten. Für Johannes Schraps ist klar, dass es für Politiker*innen notwendig ist, in den sozialen Medien aktiv zu sein. Es sei eine der wenigen Möglichkeiten, mit Jugendlichen in Kontakt zu bleiben und sie für Politik zu interessieren. Wolfgang M. Schmitt ist der Ansicht, dass die Reichweite von Politiker*innen und Journalist*innen in den sozialen Medien zur Aufklärung genutzt werden müsste. Er sei in den sozialen Medien schon auf interessante Ansätze gestoßen. „Ich kann sagen, dass ich vor allem durch Twitter auf Artikel und Positionen gestoßen bin, die ich wahrscheinlich nie kennengelernt hätte, wenn es das Internet nicht geben würde.“ Er empfiehlt aber auch, die sozialen Medien mal zu verlassen: „Ich würde raten, dass man diese Plattformen als einen Anlass nimmt, sich mit Themen zu konfrontieren, die man aber dann, zum Beispiel durch die Lektüre längerer Artikel, vertiefen muss. Allein auf Twitter den ganzen Tag zu sein und Twitter niemals zu verlassen, führt dazu, dass man tatsächlich nur noch in sehr wenigen Zeichen dazu bereit ist, über Dinge nachzudenken.“