Klimawandel, Ausbeutung, Umweltverschmutzung – die Probleme der Welt sind groß. Dass schon kleine Veränderungen zu großen Verbesserungen führen können, wie das gehen soll und was sich im Großen trotzdem ändern muss, das will die ZukunftsTour zeigen.
Es ist kalt, wenn man die Wagenhallen betritt. Um halb neun Uhr morgens sieht man hier seinen Atem kondensieren. Leere Stühle, verlassene Stände, einsame Banner. Es ist kalt und still. Gegen neun Uhr die schlagartige Änderung, Menschen drängen in die Halle, in die kleinen Ausstellungen, in die Workshops, die sich auf verschiedenste Weisen mit den Themen Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Überwiegend sind es Schulklassen. Freiwillig sind die nicht alle hier. Viele Körper heizen die Luft auf.
Rund ein Dutzend Aussteller, allen voran das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Baden-Würtemberg-Stiftung und TransFair e.V. nutzen die Gelegenheit, sich selbst, ihre Ziele und Strategien ins rechte Licht zu rücken. Auf ein überwiegend aus Schüler bestehendes Publikum sind sie bestens vorbereitet. Die Workshopinhalte beschränken sich auf einfach verständliche Zusammenhänge und klare Botschaften und bemühen sich dabei um Anschaulichkeit.
Das Befüllen von Fässern
Im Workshop Kinderarbeit global, Kleiderkonsum lokal – was geht mich das an? der Regionalen Bildungsstelle Baden-Würtemberg liegt ein grünes Tuch im Bereich des Äquators auf einer riesigen Weltkarte. Die Tropen seien das fruchtbarste und vielfältigste Ökosystem, erfährt man. „Was wächst denn in den Tropen?“ – „Bananen.“ – „Keine Ahnung. Früchte.“ – „Hm. Kaffee?“ Das stotternde Frage-Antwort-Spiel, den ganzen Workshop lang. Trotzdem, nach einiger Zeit sind die Gründe für Kinderarbeit beleuchtet – die Familien brauchen das Geld, es sind billige Arbeitskräfte, ihr Körperbau ist z.B. für gefährliche Minen besser geeignet – die üblen Arbeitsbedingungen beschrieben, und die Hochglanzfotos von ausgebeuteten Kindern konnten Mitleid erregen. Jetzt geht es um Textilverarbeitung. Woher die Kleider stammen, sollen die Teilnehmer*innen schätzen, indem sie Stoffbälle in das vermutete Land legen. Asien verschwindet unter einer Bällepyramide. „Gut!“ Die Bälle sind bunt und tragen Smiley-Gesichter. Kein Herkunftsland darauf vermerkt.
Nächste Information: 26 Kilo Kleidung, die kauft jede*r Deutsche durchschnittlich im Jahr ein. Die Industrie in Ländern wie Bangladesch ist auf die billige Herstellung dieser Kleidung spezialisiert, unter schlechten Arbeitsbedingungen und zu extremen Niedriglöhnen. Niemand hier will dafür verantwortlich sein. Was tun? Der Workshop schließt mit Tips: Fairtrade- und Bioklamotten kaufen. Oder gleich Secondhand. Und grundsätzlich weniger kaufen und dafür länger benutzen. Kleidertauschpartys. Upcycling, beispielsweise das Vernähen alter Jeans zu Taschen. Um Fragen wird nicht gebeten. In der Ecke steht ein Banner des BMZ, darauf ist zu lesen: „Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.“ (Heraklit, griechischer Philosoph.)
Armut ist auch politisch
Als Nächstes ist Platz beim CHAT der WELTEN, organisiert vom EPiZ. Es geht um Flüchtlinge und Fluchtursachen. Die Teilnehmer repräsentieren die Weltbevölkerung und platzieren sich auf der riesigen Weltkarte, so wie sie meinen, dass sich die Weltbevölkerung nach tatsächlich verteilt. Die Schätzungen sind erstaunlich gut. Anschließend wird mittels der bunten Hocker der Wohlstand symbolisiert und wiederum verteilt, und erneut sind die Schätzungen der Teilnehmer*innen ziemlich nahe an den Fakten: In Amerika und Europa gibt es mehr, im Rest der Welt weniger Hocker als Menschen.
Zuletzt geht es an die Flüchtlingsverteilung. Einige werden in Afrika, einige in den USA, der allergrößte Teil in Europa vermutet. Falsch – Asien und Afrika nehmen die meiste Flüchtlinge auf, während nur ein marginaler Teil nach Europa oder in die USA gelangt. Überdeutlich wird die ungerechte Verteilung von Reichtum und Flüchtlingen in der Welt. Das ist anschaulich und bleibt vermutlich bei den meisten Teilnehmern hängen, aber der CHAT will noch mehr – junge Menschen aus Deutschland mit Flüchtlingen und Experten aus anderen Ländern ins Gespräch bringen. Digital. Der Flüchtlingsaktivist Rex Osa ist jedoch physisch anwesend und stellt sich den Fragen junger Menschen, in die er als die „Politiker und Sozialarbeiter von morgen“ große Hoffnung setzt. Osa ist 2005 politisch verfolgt aus Nigeria geflohen, seit Jahren genießt er politisches Asyl in Deutschland, engagiert sich für Flüchtlinge und kritisiert scharf die Rüstungsindustrie, die sich an Kriegen überall in der Welt bereichert. Als Ursachen für Flucht nennt er Perspektivlosigkeit, Verfolgung und Armut. Auch sogenannte Armutsflüchtlinge sind für ihn politische Flüchtlinge, da ihre Lage mit politischen Entscheidungen zusammenhängt, mit dem umstrittenen Freihandelsabkommen EPA zwischen Afrika und EU etwa. Direkter als durch Menschen wie Osa kann man nicht über das Thema informiert werden. Das EPiZ versucht, was Heraklit fordert.
Draußen essen die Menschen Kürbissuppe aus Holztellern. Schüler*innen reflektiere den Input: „Wer garantiert denn, dass Fairtrade nicht auch betrügt?“ Andere beschweren sich lautstark, dass sie noch drei Stunden bleiben müssen. Drinnen beginnt die Politikarena.
Es wird früher und dann später Nachmittag. Und dann steht man draußen und will ein Fazit ziehen. Durchaus interessante Ansätze sind auf der ZukunftsTour in Stuttgart präsentiert worden. Bahnbrechende neue sind nicht darunter. Oft betont wird die Bedeutung von Aufklärung. Die Menschen müssen von den Möglichkeiten erfahren und von den Konsequenzen ihres eigenen Handelns, des Konsumverhaltens beispielsweise. Das Engagement des Einzelnen sei gefragt. Fairtrade, Bio, Selbstverpflichtung. Gleichzeitig sind Institutionen wie die UN gefordert, verbindliche Regeln zu formulieren und durchzusetzen. Es soll ja nicht nur heiße Luft übrig bleiben, es kommt also auf die Um- und Durchsetzung an.
Es ist kalt, wenn man die Wagenhallen verlässt.