Johannes Bayer ist schon lange bei SeaWatch aktiv und seit zwei Jahren Vorstandsvorsitzender. Unsere Autorin Marlene App sprach mit ihm darüber, warum er sich für die Wahrung der Menschenrechte auf See einsetzt, was ihn mit seinen Kollegen verbindet und vor welchen Herausforderungen er momentan steht.
Wie kamst du zu SeaWatch?
Ich bin Ingenieur für Schiffsbau und Meerestechnik und habe nach meinem Bachelor eine große Segeltour mit Freunden und Familie gemacht – mit dem Ziel, nach der Rückkehr meinen Master in Stockholm zu machen. Dafür brauchte ich einen Englischtest, den ich aufgrund meiner Reise nicht rechtzeitig machen konnte. Als ich dann zurückkam, hatte ich keinen Studienplatz, keine Wohnung und entschied mich, trotzdem nach Schweden zu gehen. Dort hatte ich allerdings keine Beschäftigung. Ein Freund von einem Freund erzählte mir dann von SeaWatch, davon hatte er irgendwo gelesen. Die Organisation hatte damals nicht mal eine Internetseite und noch kein funktionstüchtiges Schiff, also habe ich meine Hilfe als Schiffsbauer angeboten und wollte zwei bis drei Wochen in Hamburg beim Ausbau helfen. Die zwei Wochen haben sich dann bis heute ausgeweitet. Meinen Master habe ich schließlich noch gemacht, parallel zur Arbeit für SeaWatch.
Warst du vorher schon politisch aktiv?
Ich war schon immer vielseitig politisch interessiert, aber nie Vollzeit-Aktivist. Als Kind haben wir mit der Familie immer Urlaub bei meinem Onkel gemacht, der von den Kanaren stammt. Er erzählte mir von den Menschen aus Senegal, die in den Achtzigern auf die Kanarischen Inseln flohen. Mein Großvater kommt aus Serbien und hat auch eine Fluchtgeschichte. Das Thema Flucht hat mich also schon immer begleitet und mich interessierten auch die Gründe, warum Menschen sich auf so eine Reise begeben.
Fahrt ihr gerade noch Missionen auf dem Wasser?
Die SeaWatch4 steht jetzt aufgrund von Corona im Hafen und soll bald wieder auf Mission gehen, allerdings gibt es da einige logistischen Probleme. Wegen der geschlossenen Grenzen ist es unklar, wie wir unsere Crewmitglieder überhaupt nach Italien bekommen. Natürlich können auf einem Schiff mit zweihundert bis dreihundert Personen keine Abstandsregelungen eingehalten werden, allerdings arbeiten wir an anderen Schutzmaßnahmen. Unsere Crewmitglieder dürfen keiner Risikogruppe angehören, für das Leben auf See muss man sowieso kerngesund sein. Die Crew darf nur unter Einhaltung von Quarantänezeiten in See stechen und soll nach Möglichkeit auf das Virus getestet werden. Die Gefahr, dass Geflüchtete sich schon angesteckt haben, bevor sie bei uns an Bord kommen, bleibt natürlich bestehen. Allerdings ist die Gefahr, sich auf dem Schiff anzustecken, aufgrund besserer Hygieneausstattung nicht größer als in einem lybischen Flüchtlingslager. Im Mittelmeer zu ertrinken ist ebenso ein Risiko, das man schlecht gegen das Risiko der Erkrankung aufwiegen kann. Unsere Arbeit jetzt zu unterbrechen, wäre ja so, als würden Berliner Krankenwagen jetzt nicht mehr zu älteren Menschen fahren, um sie nicht anzustecken. Das Retten von Menschen in Seenot hat für uns auf jeden Fall Priorität.
Welche größten Herausforderungen siehst du bei deiner Arbeit?
Als Aktivist läuft man schnell Gefahr, sich zu überarbeiten, weil man nicht für Geld oder die Karriere arbeitet. Im Zweifel kostet es Menschenleben, wenn ein Fehler passiert und deswegen Schiffe in Seenot nicht gefunden werden. Und das gilt nicht nur für den Einsatz auf See, sondern auch für die Koordination von Rettungskräften vom Land aus. Zur Arbeitsbelastung kommt die emotionale Belastung dazu, wie man sie auch im Rettungsdienst hat, wenn Menschen sterben.
Was vereint dich und deine Mitarbeiter auf dem Schiff?
Professionalität und der Wunsch nach einer sinnvollen Arbeit. Alle zeichnet ihre Empathie aus und ich denke, daher können wir alle gar nicht anders, als das Anliegen von SeaWatch zu unterstützen. Das vereint viele unserer Mitglieder.
Welche Bedeutung haben ehrenamtliche Mitarbeiter für eure Arbeit?
Die SeaWatch3 fährt zum Beispiel mit 22 Besatzungsmitgliedern aus, davon sind sechs bis acht angestellt und der Rest ist freiwillig. Ohne die Ehrenamtlichen könnten wir die Arbeit gar nicht stemmen, wir haben ein sehr begrenztes Budget.
Welche Möglichkeiten haben Menschen, die nicht für die Arbeit auf dem Schiff ausgebildet sind, sich bei euch zu engagieren?
Neben Finanzen, Medien und Personalwesen suchen wir immer wieder Freiwillige im Eventbereich, die zum Beispiel an unseren Ständen mithelfen. Wir brauchen Leute, die als Multiplikatoren unserer Arbeit wirken können, egal ob am Gartentisch oder bei einem lokalen Konzert. Auf unserer Internetseite suchen wir auch manchmal Praktikanten in diesen Bereichen.
Wie finanziert ihr eure Arbeit?
Es gibt glücklicherweise eine große Community, die unsere Arbeit mit kleinen Beiträgen unterstützt. Unsere durchschnittlichen Spenden pro Person liegen unter fünfzig Euro, das heißt dass wir uns hauptsächlich durch private Kleinspender finanzieren. Das kann über eine Fördermitgliedschaft laufen, die ungefähr so viel kostet wie ein Netflixabo, aber auch durch Einmalspenden oder Facebook-Spendenaufrufe. Ein bisschen bekommen wir auch durch unserem Onlineshop (Dort gibt es z.B. Shirts, Taschen und Mützen). Ein weiterer Unterstützer ist die Evangelische Kirche Deutschland, die das erste Aufklärungsflugzeug Moonbird und die SeaWatch4 mitfinanziert hat.
Bekommt ihr denn auch negative Reaktionen auf eure Arbeit?
Es gibt natürlich auch viele Menschen in Deutschland und Europa, die das, was wir tun, nicht gut heißen, wahrscheinlich die gesamte AfD, mindestens die Hälfte der CDU und mindestens ein Drittel der SPD. Unsere Arbeit ist definitiv polarisierend. Zwar retten wir Menschen im Meer, es ist aber auch alternativlos, dass sie nach Europa gebracht werden. Frontex bringt sie eigentlich auch in europäische Häfen, wir jedoch machen öffentlich darauf aufmerksam. Wir fordern, dass sichere Fluchtwege geschaffen werden müssen und sind auch mit anderen Kampagnen ein Ärgernis für die Politik, weil wir dadurch, dass wir in einem legalen Rahmen arbeiten, kaum angreifbar sind. In den letzten drei Jahren wird uns aber mit neuen Gesetzen das Leben schwer gemacht, fast die Hälfte unserer Kraft verwenden wir darauf, gegen diese Hindernisse zu kämpfen .
Welche Maßnahmen müssten denn deiner Meinung nach getroffen werden, damit eure Arbeit überflüssig werden könnte?
Als erstes müsste es sichere und legale Einreisewege in die Europäische Union geben, die de facto nicht existieren. In einer globalen Welt müssen Gesetze her, die es Menschen ermöglichen, vor Leid und Verfolgung zu fliehen. Solange Europa ein Platz ist, wo man noch etwas abzugeben hat, ist es meiner Überzeugung nach auch eine Verpflichtung, Menschen diesen Schutz zu gewähren. Dafür kämpfen wir. Die Fluchtursachenbekämpfung ist natürlich auch schon lange ein Problem, dessen Lösung man schon seit Jahrzehnten nach hinten verschiebt, weil man nicht weiß, wie man das angehen soll. Wir wünschen uns, dass da ein Umdenken stattfindet, weil die Folgeschäden immens sind. Mit dem Geld, das da in kriminelle Netzwerke fließt, werden Kriege in Libyen geführt. Die Menschen kommen in Europa an und sind traumatisiert. Wenn man Teile seiner Familie verloren hat oder in Lagern bzw. auf der Flucht schwer traumatisiert wurde, ist es umso schwerer, in Europa anzukommen.
Wie genau setzt ihr euch für sichere Fluchtwege ein?
Hauptsächlich versuchen wir, die Problematik aufzuzeigen, indem wir mit Medien zusammenarbeiten. Teams aller namhaften Sender in Deutschland haben bereits von Bord aus berichtet. Das Mittelmeer ist ein weißer Fleck. Wenn wir nicht dort sind, gibt es keine Informationen von dort. Wir wollen zeigen, dass es unter Einhaltung unserer europäischen Werte keine Möglichkeit gibt, um dieses Problem herumzukommen, denn Fluchtbewegungen sind nicht direkt von uns oder vom Individuum steuerbar. Es gibt eigentlich nur zwei Wege, damit umzugehen. Entweder, große Zäune zu bauen und auf die Menschen zu schießen, oder die Menschen ins Land zu lassen. An einem gewissen Punkt muss man sich dann für das eine oder andere entscheiden und eine Lösung finden oder warten, bis es zu großen Katastrophen kommt. Flucht folgt ja einer bestimmten Logik, die von syrischen Familien war schließlich auch absehbar. Ich frage mich dann, wieso man nicht vor solchen Katastrophen eine Debatte führen und Vorbereitungen treffen kann? Es ist wichtig, das in den politischen Diskurs zu bringen und so die Möglichkeit zu schaffen, Lösungen zu finden. Im Moment versuchen alle, die Augen vor der nahenden Realität zu verschließen. Am Ende muss man sich damit aber trotzdem auseinandersetzen. Alle wissen, was passiert, alle kennen die Fakten, aber trotzdem wird versucht, die Lösung des Problems auf die Zeit nach der eigenen Amtszeit zu verschieben, ein bisschen wie bei der Klimakrise.
Was sagt es über Europa aus, dass nicht die Regierung, sondern eine NGO wie ihr die Arbeit erledigen muss, die notwendig ist, um die Menschenrechte zu schützen?
Es handelt sich um ein komplettes Versagen der europäischen Politik und der europäischen Wertegemeinschaft, das zeigen wir ja schon seit Jahren auf. Man muss sollte da mal eingestehen, dass Europa eben keine Wertegemeinschaft ist, so wie wir uns das vor sechzig Jahren überlegt haben, sondern eine Wirtschaftsgemeinschaft.
Hat sich da in den letzten Jahren etwas verändert?
Ich denke schon, dass sich in den letzten Jahren unter anderem durch den Syrienkrieg viel geändert hat. Die AfD kann heute im Bundestag Aussagen treffen, die früher so nicht durchgegangen wären. In Italien hat sich auch viel geändert. 2014 wurde zum Beispiel die militärisch gestützte italienische Rettungsoperation Mare Nostrum eingestellt, weil sie für Italien zu teuer wurde. Italien hat dann bei Europa angefragt, ob sie dafür finanzielle Unterstützung erhalten können – die klare Antwort war Nein. Es gibt schon europäische Länder, die eher progressiv handeln als andere, am Ende ist es aber ein Schwarzer Peter-Spiel. Deutschland hat damals im Alleingang gehandelt. Das war zwar richtig und wichtig, aber eben kein europäischer Schritt.
Denkst du da manchmal, dass deine Arbeit vielleicht gar keinen Sinn macht?
Unsere Arbeit ist, ähnlich wie die der Umweltbewegung, ziemlich optionslos. Die Klimabewegung will die Erde irgendwie noch retten und das funktioniert genau wie unsere Ideen nur mit dem Zusammenhalt Europas. Dementsprechend habe ich nicht das Gefühl, dass es sinnlos ist, aber an eine schnelle Lösung glaube ich nicht. Selbst wenn sich das Problem niemals lösen wird, ist es trotzdem legitim, durchgängig dafür zu arbeiten.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Liebe Marlene,
danke für deine eindrucksvollen und aufschlussreichen Fragen! Durch Johannes – natürlich auch ein Danke an dich 🙂 – Antworten darauf, erhlät der Leser einen sehr informativen Blick auf seine Arbeit und die von Sea-Watch allgemein. Viel Freude beim Studium und bei deinem Engagement für politikorange. Sonnige Grüße, Gaby